Das letzte Weihnachtsfest hinter Gittern: Leiter der JVA verabschieden sich

Herford. Arbeit hinter Gittern. Das ist für den Leiter der JVA Herford, Friedrich Waldmann, und seinen Stellvertreter, Heinz-Herbert Droste, bald Geschichte. Sie gehen gleichzeitig zum 1. Januar 2022 in den Ruhestand. Damit verlassen fast 80 Jahre Vollzugserfahrung die JVA zwischen Werre- und Eimterstraße. In einem Abschiedsgespräch erinnern sich die beiden Männer an schöne, aber auch belastende Momente, an eine Flucht, die nach 45 Minuten endete, und Dankesbriefe von Gefangenen. An Heiligabend ist für den Leiter Schluss. Sein Stellvertreter geht bereits am 17. Dezember. Hinter den meterhohen Mauern am Rande der Innenstadt befindet sich eine andere Welt. 226 Gefangene sitzen hier derzeit ein. So multikulti wie die jungen Männer zwischen 14 und 24 Jahren sind auch deren Straftaten. "Wir haben alles hier. Diebe, Mörder, Schläger", sagen die beiden Leiter. Eines haben die meisten Gefangenen aber gemeinsam. "Die Erziehung ist vorab gescheitert", sagt Waldmann, der in seinen Jahren als Gefängnisleiter lernen musste, wie schlimm es in so manchem Elternhaus zugeht. "Da macht sich die Bevölkerung kein Bild von." Daher geht es im Jugendvollzug nicht ums Wegsperren. Die Jungs sollen wieder auf die gerade Bahn zurück. Waldmann: "Das ist unser klarer gesetzlicher Auftrag." 70 Prozent der Strafgefangenen schaffen das. "Wir erziehen hier auch", sagt Droste. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Ausbildung. Den Weihnachtsstollen etwa haben Azubis der Gefängnisbäckerei gebacken. 2014 war ein Jahr mit vielen schlimmen Momenten Für viele junge Männer ist der Gang ins Gefängnis eine Chance, auf ein "normales" Leben. Vor Jahren hat Waldemann einen Ex-Gefangenen getroffen. "Als er mir seinen Namen sagte, wusste ich sofort wer er war", erinnert sich Waldmann, der von sich aus sagt, dass er eigentlich kein gutes Namensgedächtnis hat. Man merke sich aber die besonders anstrengenden Sträflinge. "Er sagte mir, dass es gut war, hier gelandet zu sein." Er habe sich danach draußen ein Leben aufgebaut - mit Job, Ehefrau, Familie. "Das tut gut, wenn man was zurück kriegt", sagt der JVA-Leiter und nimmt einen Brief vom Schreibtisch. Darin bedankt sich ein Mann für das JVA-Sommerfest - "es ist das erste Mal seit zwei Jahren, dass ich Spaß ohne Drogen hatte", liest Waldmann vor. Doch es gibt auch aufreibende Zeiten. 2014 war solch ein Jahr. Ein 21-Jähriger ist tot in seiner Zelle gefunden worden. Laut Obduktion erlag er einem Schock wegen einer Bauchfellentzündung. "Jeder Todesfall im Vollzug ist schwer. So was nimmt man mit nach Hause." Vertrauliches zu dem Fall ist über einen Mitarbeiter an die Presse gelangt. "Der Verlass untereinander ist unsere Sicherheit", sagt Waldmann. Da sei es sehr belastend gewesen, dass das einer anders sah. Die restliche Belegschaft stand hinter ihm: "Dieser Rückhalt tat gut." Doch die ganze Situation sei für die Anstalt "traumatisierend" gewesen. Flucht über eine Mauer ohne Stacheldraht Im gleichen Jahr gelang zwei Männern die Flucht. "Das war gegenüber dem Todesfall nur eine Kleinigkeit", aber präge sich trotzdem ein. Die Gefangenen waren im Neubau untergebracht und konnten nur fliehen, weil die Fenster aus Panzerglas falsch eingebaut worden sind. Nur mit Silikon seien diese verankert worden. Ein leichtes Spiel für die Männer - zudem die Mauer auch noch nicht mit Stacheldraht versehen war. Einen Kameramast haben sie als Aufstiegshilfe genommen. "Die ganze Aktion wurde gefilmt", sagt Droste und lacht. "Da nichts passiert ist, kann man es heute gelassen sehen." Waldmann ergänzt: "Unseren Humor haben wir nicht verloren und nach 45 Minuten waren die Ausbrecher wieder in der Zelle. Seit 2018 ist die Qualität der Arbeit in der JVA eine andere geworden. Seitdem gibt es das Jugendstrafvollzugsgesetz. Hintergrund war der Foltermord eines Mitgefangenen in der JVA Siegburg. Das habe das System verändert. "Bis dato waren wir immer überbelegt, weit mehr als 400 Gefangene saßen hier", zeigt Droste das Problem auf. "Wir mussten immer auf der Hut sein, wann es wo knallt." Die Zeit ist glücklicherweise vorbei. Derzeit sitzen 226 junge Männer ihre Strafe ab - 355 Haftplätze gibt es in Herford. 247 Bedienstete - teils in Teilzeit - gehören zum Mitarbeiterstamm. Was die Leiter seit Jahren beobachten, ist eine zunehmende Respektlosigkeit der Gefangenen. "Anspucken, Beleidigungen, die Qualität der Körperverletzungen sind schwerwiegender geworden", berichten sie. Das betreffe nicht nur die Welt außerhalb der Mauern. Zudem gebe es sehr viele Gefangene, die psychisch auffällig sind. "Das belastet unsere Arbeit noch einmal anders", sagt Droste und nennt Zahlen. Mehr als 20 Gefangene sind in psychiatrischer Behandlung. Gefangene skypen mit ihren Verwandten Waldmann und Droste hoffen, dass nach ihrem Weggang die Digitalisierung weiter getrieben wird. Ein Schritt sei mit der Einführung der Videotelefonie und einem virtuellen Kiosk-System bereits gemacht. Die Tablets seien ausgeschrieben. "Das wäre vor Jahren undenkbar gewesen", sagen die beiden, die noch erlebt haben, wie sich einst Gefangene einen Fernseher erstritten hatten. "Der musste damals mit Batterien laufen, es gab nur Lichtstrom", so Droste. Nur noch wenige Tage sind Waldmann und Droste an ihrem Arbeitsplatz, der jahrelang ihr Leben prägte. "Das wir in den Ruhestand gehen, haben wir noch nicht richtig realisiert", sagt der Leiter und gibt zu, dass er sich die letzten Tage anders vorgestellt hätte. "Ich dachte, die Arbeit wird weniger", sagt er und lacht. Doch vor Weihnachten ist einfach zu viel los. Und Droste ergänzt: "Wir wollen für unsere Nachfolger ja nichts liegen lassen." Die Aufgabe des stellvertretenden Gefängnisleiters wird künftig Markus Biermann, IT-Leiter bei der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, übernehmen. Für Friedrich Waldmann kommt Elke Jungeblodt, die derzeit noch die JVA Hövelhof leitet. Keine Unbekannte in Herford. Ihr wurde 2009 die ständige Vertretung des Leiters übertragen. Doch bevor die Nachfolger übernehmen, feiert Friedrich Waldmann in der Kirche ein letztes Mal Weihnachten hinter Gittern.

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