Krisendienst: Corona-Folgen zeigen sich mit Verspätung

Kreis Herford. Warum melden Sie sich gerade heute bei uns? – Diese Frage stellen die Mitarbeiter des Krisendienstes des Kreises Herford den Menschen, die den Kontakt suchen, fast immer. &bdquo;Wir wissen, dass es für unsere Klienten häufig eine Hemmschwelle gibt, die sie überwinden, bevor sie sich bei uns melden", sagt die Leiterin Claudia Werk. Meist sei es ein besonders Stresslevel, das erreicht werde, eine starke Belastung, die ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr auszuhalten sei. &bdquo;Mit unserer Frage gehen wir dem Auslöser, der besonderen Ausnahmesituation nach", so Werk. Das Stammteam des Sozialpsychiatrischen Krisendienstes besteht aus elf Mitarbeitern aus den Bereichen Sozialarbeit oder Psychologie. Eine Krankenschwester sowie Verwaltungsfachkräfte sind ebenfalls dabei. &bdquo;Wir alle bringen Erfahrung mit im Umgang und in der Beratung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und/oder in Krisensituationen", betont Werk, die den Sozialpsychiatrischen Dienst, der an das Gesundheitsamt angeschlossen ist, seit Februar 2021 leitet. Oft würde das Angebot fälschlicherweise als Krisentelefon bezeichnet. &bdquo;Das stimmt nicht, denn wir fahren auch raus zu den Klienten. Außerdem können Menschen auch persönlich unangemeldet kommen. Aber besser ist es natürlich, wenn zuvor angerufen wird – gerade in Corona-Zeiten." Deutlich mehr neue Menschen melden sich beim Krisendienst Die besondere Zeit der Pandemie und der damit verbundenen Schutzmaßnahmen machen sich auch beim Krisendienst bemerkbar – allerdings verspätet, wie Claudia Werk und ihre Kolleginnen und Kollegen feststellen: &bdquo;Als die Schutzmaßnahmen besonders restriktiv waren, haben aber wir nicht viel festgestellt. Aber seit fünf, sechs Wochen deutet sich langsam an, dass sich Corona bei uns auswirkt. Das ist wie eine Welle, die nachschwappt." Deutlich mehr Menschen, die dem Krisendienst noch nicht bekannt seien, riefen an – auch mit schweren Vorkommnissen und Anliegen. Die vielen Veränderungen, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat, seien besonders für psychisch labile Menschen nicht einfach, erklärt Claudia Werk. &bdquo;Die Nachfrage nach therapeutischer Hilfe steigt allgemein. Dabei sind die psychischen Folgen, die die Pandemie mit sich bringt, jetzt noch nicht vollständig erkennbar." Bei vielen habe die Pandemie ein Gefühl von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Kontrollverlust ausgelöst. Oder Menschen seien durch Verluste, Todesfälle oder durch Gewalterfahrungen in Krisen geraten. Der Anteil von Männern und Frauen ist übrigens unter den Klienten weitgehend ausgewogen. Die Altersspanne liegt zwischen 18 und über 80 Jahre. &bdquo;Die meisten jüngeren Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Die meisten älteren zwischen 50 und 60", sagt Claudia Werk. Auch Familienangehörige oder Freunde äußern Sorgen Oftmals meldeten sich beim Krisendienst auch Angehörige – entweder aus der Familie oder aus dem Freundeskreis -, die sich Sorgen machen. &bdquo;Das kann zum Beispiel ein Elternteil oder ein anderer Familienangehöriger sein, der sich darum sorgt, dass ein junger Heranwachsender den Übergang von der Schule in die Ausbildung nicht schafft", erklärt Werk. Manches sei vielleicht auch wegen der Lockdown-Zeiten zunächst gar nicht so aufgefallen, weil sich ja alle sowieso in einer Ausnahmesituation befunden hätten mit Schließungen, Homeoffice und Kurzarbeit. &bdquo;Da gibt es Fälle, in denen schafft es so ein junger Mensch irgendwann vielleicht einfach nicht mehr, aus eigenem Antrieb, aus dem Bett zu kommen." Auch die Angst davor, dass sich Menschen etwas antun könnten, spiele häufig eine Rolle in den Beratungen. Manchmal thematisierten Personen mit suizidalen Tendenzen das selbst, manchmal machten sich Angehörige und Freunde Sorgen. &bdquo;Das kann zum Beispiel eine Freundin sein, die uns kontaktiert und darauf hinweist, dass ihre beste Freundin ihr mitten in der Nacht eine Nachricht geschickt hat, in der sie sich hoffnungslos und lebensmüde geäußert hat", so Werk. Alle, die sich beim Psychosozialen Krisendienst melden, müssten allerdings volljährig sein, betont die Leiterin. &bdquo;Das hat schon manchmal zu Verwirrung geführt. Für unter 18-Jährige gibt es andere Stellen im Kreis, zum Beispiel bei der AWO oder beim Diakonischen Werk." Besonders im Blick haben die Mitarbeiter des Dienstes derzeit Eltern, insbesondere Alleinerziehende. &bdquo;Da sind dann natürlich auch Kinder im Spiel, aber die sind nicht unsere Klienten. Dennoch ist es auch für die Kinder wichtig, ihr Elternteil zu stärken. Gerade Alleinerziehende, die vielleicht zusätzlich auch noch psychisch erkrankt sind, haben es schwer. Und die Kinder haben dann ein erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken." Eine weitere Gruppe macht Claudia Werk zunehmend Sorgen: &bdquo;Das sind die schwer komplex und chronisch Kranken, die mit ihrem Verhalten anderen und oft auch sich selbst nicht mehr steuerungsfähig erscheinen und damit alle Beteiligten an den Rand der Ohnmacht bringen", so dieF achärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. 20 bis 30 Prozent dieser Gruppe hätten Psychosen oder schwere Depressionen. Darüber hinaus hätten Erkrankte, die Medikamente nehmen müssen, oft mit Nebenwirkungen zu kämpfen, seien finanziell schlecht gestellt, hätten weniger Bildungschancen, ernährten sich häufig schlecht und seien insgesamt einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt. &bdquo;Für diese Menschen haben wir gesellschaftlich einfach kein Konzept", sagt Werk. Und auch, wenn die Verhaltensweisen der Erkrankten anderen manchmal Angst machten, so sei diese Gruppe von Menschen in erster Linie für sich selbst eine Gefahr. &bdquo;Rund ein Viertel von ihnen überlebt die Erkrankung nicht", so die Fachärztin. Beratung auch an Wochenenden und Feiertagen Rund 9.000 Gespräche führt der sozialpsychiatrische Dienst jährlich – Tendenz stetig steigend. Wenn eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, dauern die Kriseneinsätze zum Teil mehrere Stunden. Viele Klienten werden auch über Jahre und Jahrzehnte begleitet. Das Krisentelefon des Sozialpsychiatrischen Dienstes ist montags bis donnerstags von 8.30 bis 17 Uhr, freitags von 8.30 bis 20 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 12 bis 20 Uhr unter Tel. (0 52 21) 13 16 08 erreichbar. Die Beratung ist kostenfrei und vertraulich. Die Gespräche unterliegen der Schweigepflicht.

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