Die Folgen ihrer Straftat sind Jugendlichen oft nicht bewusst

Herford. Am Sonntagabend haben zwei 13- und 14-jährige Jugendliche unter Einsatz einer Waffe die Avia-Tankstelle an der Mindener Straße überfallen. Sie wurden durch unerschrockenes Handeln eines 18-jährigen Zeugen, der die Verfolgung aufnahm, schnell gefasst. Der Kassierer, dem die Pistole in den Nacken gedrückt wurde, leidet noch sehr unter dem Eindruck des Geschehens, berichtet die Tankstellenpächterin Manuela Train. Die Brutalität der Tat hat nicht nur bei den Betroffenen Entsetzen und Kopfschütteln ausgelöst. Der Leiter der Jugendabteilung in der Stadtverwaltung, Andreas Spilker, kann und darf zu dem Fall nichts Konkretes sagen. Er meint aber: "Es ist ja ein gutes Zeichen für Normalität, dass man sich in Herford wundert und sagt: Das kann doch nicht sein." Bei seinen Worten schwingt mit, dass es in anderen, meist größeren Städten soziale Brennpunkte gibt, in denen sich das Kopfschütteln in Grenzen hält, wenn Kinder und Heranwachsende schwere Straftaten begehen. "Insgesamt überschaubare Zahl von Vorfällen" "In Herford ist die Schlagzahl der Jugendkriminalität noch im positiven Sinne gut", so Spilkers Einschätzung. Einzelne Auswüchse seien nicht zu vermeiden. Insgesamt gebe es aber eine überschaubare Zahl von Vorfällen. Ziel des Jugendamtes sei es, in Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen schon möglichst früh zu erkennen, wenn ein Kind außergewöhnlich aggressiv ist, und mit Beratung gegenzusteuern. Ziel sei es immer, das Verhalten der Kinder und Jugendlichen nachhaltig zu verändern und anzusetzen, bevor schwere Straftaten verübt werden. Ist es doch zu Straftaten gekommen, ist es eine der ersten Aufgaben des Jugendamtes, den jungen Tätern in Gesprächen die Tragweite ihres Handelns für sich und andere Betroffene in aller Deutlichkeit vor Augen zu führen. Denn das sehen sie oft gar nicht. Spilker: &bdquo;Sie müssen erkennen, was passiert ist und sie müssen wissen, was nicht geduldet werden darf. Wichtig ist, dabei im Auge zu behalten: Es ist noch ein Kind.“ Passgenaue erzieherische Hilfen anbieten "Als Jugendamt werden wir von der Polizei oder im weiteren Verlauf von der Staatsanwalt darüber informiert, wenn gegen einen jungen Menschen ein Ermittlungs- oder Anklageverfahren eröffnet worden ist", sagt Spilker. "Unsere Aufgabe besteht darin, passgenaue erzieherische Maßnahmen zu erarbeiten, um weitere Straffälligkeit zu vermeiden." "Wir erleben die gesamte Bandbreite vom einmaligen Ladendiebstahl bis zu Wiederholungstaten und Drogenhandel, bei dem die Jugendlichen sich und andere gefährden", sagt Spilker. Seiner Beobachtung nach gab es Jugendliche mit "Straftatenerwartung" schon immer. Es habe schon immer dazugehört, auch Grenzen zu überschreiten. Jugendhilfe berät auch die Justiz Für strafunmündige Kinder und Jugendliche bis 14 Jahren erhält der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) im Jugendamt von Polizei oder Staatsanwaltschaft eine Mitteilung, dass das Ermittlungsverfahren wegen Strafunmündigkeit eingestellt worden ist. Das Jugendamt bietet dann dem Kind oder Jugendlichen und seiner Familie Beratung und Hilfen an. Die Familie kann dies aber auch ablehnen, sagt Spilker. Sie muss nicht mit dem Jugendamt zusammenarbeiten. Für straffällig gewordene strafmündige Jugendliche ab 14 Jahren und Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren wird das Amt in der Funktion der Jugendhilfe im Strafverfahren tätig. Den jungen Leuten und ihren Familien wird für das gesamte Strafverfahren über Begleitung und Unterstützung angeboten und sie werden über ihre Verfahrensrechte und den Ablauf aufgeklärt. Das Jugendamt unterstützt aber auch die Jugendjustiz in ihrer Entscheidungsfindung. "In sogenannten Jugendgerichtshilfe-Gesprächen verschaffen wir uns ein Bild von der Persönlichkeit, dem Umfeld und der Entwicklung des jungen Menschen und erstellen für Staatsanwaltschaft und Jugendgerichte entsprechende Berichte", sagt Andreas Spilker. "Wir geben individuelle Empfehlungen zu jugendrichterlichen Maßnahmen. Das sind Soziale Trainingskurse, Betreuungsweisung, Arbeitsstunden und erzieherische Hilfen. Bei Heranwachsenden werden Empfehlungen zur Anwendung des Jugendstrafrechts gegeben." Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes begleiten die Jugendlichen und Heranwachsenden zu den Jugendgerichtsverhandlungen und wirken bei der Umsetzung der gerichtlichen Auflagen und Weisungen mit. Es erfordert Mut, sich aus einem Konflikt zurückzuziehen Wird etwa ein 17-Jähriger als Schläger auffällig und wiederholt angezeigt, schlägt das Jugendamt dem Gericht soziale Trainingskurse vor. In Herford werden die Kurse vom Bielefelder Träger "Interkulturelle Familienhilfe" (IKF) angeboten. "Das funktioniert gut. Die Betroffenen im Alter von über 14 Jahren lernen an meist zehn Nachmittagen in einer Gruppenschulung, mit ihren Aggressionen umzugehen", sagt Spilker. Dabei würden Situationen provoziert, in denen der Jugendliche merke, dass er aggressiv wird. Dann muss er lernen, auch einmal Schwäche zuzulassen und sich aus einer eskalierenden Situation zurückzuziehen, ohne als Feigling dazustehen. Das erfordert Mut, der besonders in der Gruppe gelernt werden kann. Wenn jemand aber hoch aggressiv ist, kann das Gericht vorab auch eine Inhaftierung in Form von Jugendarrest oder einem längeren Aufenthalt in einer geschlossenen Einrichtung anordnen - immer mit dem Ziel, dass er oder sie das Verhalten ändert. Die Jugendhilfe war in diesem Jahr bisher in 98 Anklageverfahren bei Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren eingebunden. 2020 waren es 217, 2019 200 und 2018 215 Fälle. Die Anklageverfahren entfallen nicht alle auf Herforder Jugendliche und junge Erwachsene. In Einzelfällen, die in der Justizvollzugsanstalt in Herford mit geschlossenen Jugendvollzug einsitzen, übernimmt das Jugendamt der Stadt Herford im Rahmen der Amtshilfe für andere Kommunen die Aufgaben der Jugendhilfe im Strafverfahren. Zusammengefasst sind die Zahlen als relativ konstant zu beschreiben, so Spilker. "Einen 13-Jährigen wegsperren, das geht nicht" "Einen 13-Jährigen wegsperren, das geht nicht", stellt Spilker ganz allgemein fest. Die Erziehungsverantwortung bleibe bei den Eltern. So müsse das Jugendamt zusammen mit den Eltern sehen, wie es zu der Entwicklung gekommen sei. Wenn die Eltern das nicht wollen oder es nicht schaffen, die Einstellung des Jugendlichen zu verändern, kann das Jugendgericht ihnen diese Verantwortung entziehen und den Jugendlichen in einer stationären Erziehungseinrichtung unterbringen. Im Fall der 13- und 14-jährigen Täter hat die Polizei die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Sie sollen mit kleineren Delikten schon aufgefallen sein.

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