Wie Herford vor 70 Jahren aussah: Fahrt zum Spielzeugladen im Video

Herford. Eine Modelleisenbahnanlage mit Bahnhöfen, Häusern, Tunneln und schnaufenden Lokomotiven im Schaufenster des Spielzeugladens – das war vor Jahrzehnten für Kinder der Höhepunkt eines vorweihnachtlichen Schaufensterbummels mit der Familie – auch in Herford. Dirk Kleineberg erinnert sich gerne an die Zeit. Er hat bis 1999 das traditionsreiche Spielwarengeschäft seiner Familie an der Lübberstraße 22 geführt. Das kam zur Sprache, als die nw.de die Eheleute Dirk und Kathrin Kleineberg Ende Oktober für ein Happy-End-Foto besuchte. Autobahnpolizisten hatten ihren Welpen Paul vor dem Tod auf der Autobahn gerettet. Kleineberg erwähnte, dass er einen digitalisierten Schwarzweiß-Film hat, den seine Eltern um 1950 als Werbung fürs Kino produzieren ließen. Der Film ist ein Kleinod. Er ist ab heute auf www.nw.de zu sehen. Rechts auf der Seite zeigen wir Standbilder daraus. Der Streifen zeigt eine rasante Kamerafahrt vom Lübbertor in Richtung Neuer Markt bis zum Spielzeugladen auf Höhe des heutigen Saturn-Eingangs. Er beginnt mit einer Einstellung auf die Heuer-Ampel mitten auf der Kreuzung, zeigt einen Militär-Käfer, der rasant aus der heutigen Jahnstraße in die Lübberstraße abbiegt. 1891 gegründet als Korbmacher-Geschäft An der Haltestelle der Kleinbahn steigen Fahrgäste aus. Anti-Verwackler gab es damals noch nicht, und so sind die Aufnahmen der weiteren Kamera-Fahrt sehr dynamisch, aber nicht immer gestochen scharf. Die Gebäude links im Bild bis einschließlich Kleineberg sind später der Stadterneuerung zum Opfer gefallen. Hier wurde die Berliner Straße als Bresche geschlagen. Es entstand Mitte der 1970er Jahre das Parkhaus Neustadt. Urgroßvater und Korbmachermeister Meyer hatte sein Geschäft 1891 in einem rund 450 Jahre alten Haus mit einem Sortiment an Körben und Haushaltswaren eröffnet. Korbmacher stellten damals auch die Kinderwagen her. So war der Schritt nicht weit, anfang des 20. Jahrhunderts Spielwaren ins Sortiment aufzunehmen. Dazu gehörten auch schon früh Modelleisenbahnen von Märklin, für die das Geschäft sich im Laufe der Zeit große Expertise erwarb. Um 1920 stieg der Kaufmann und Schwiegersohn Paul Kleineberg ein. Dessen Sohn Heinz ließ nach dem Zweiten Weltkrieg einfache Brettspiele in der Justizvollzugsanstalt herstellen. Mit seinem Freund Wolfgang Muschner, einem Flugzeugbauingenieur, hat er auf Anregung eines britischen Offiziers eine Funkfernsteuerung für Modellschiffe und -flugzeuge entwickelt, die sich auch auf der Nürnberger Spielzeugmesse gut verkaufen ließ. Dirk Kleineberg ist Jahrgang 1955. Er erinnert sich, dass ausgerechnet im Weihnachtsgeschäft 1962 die Front des baufällig gewordenen Gebäudes neu gebaut werden musste. Anfang der 1970er Jahre, so Kleineberg, wollte die Stadt das Grundstück für den Bau eines Parkhauses erwerben: &bdquo;Zu einem unterirdischen Preis." 1975 kam es zu einem Gespräch, um eine Enteignung zu vermeiden. Das Angebot: Kleineberg bekam einen Neubau als Rohbau rechts neben dem heutigen Saturn-Eingang. 1976 zog man vorübergehend in zwei Pavillons auf dem Linnenbauerplatz um. 1978 war der Neubau bezugsfertig. Schon mit 11 Jahren hat Dirk Kleineberg im Weihnachtsgeschäft geholfen und so gut verkauft, dass die altgediente Verkäuferin Bauklötze staunte: &bdquo;Ein Schäfer aus Enger kaufte einmal durchs Sortiment vom Kunststofftraktor bis zum Puppenwagen für 400 Mark." 1984 hat Kleineberg nach Lehre, Bundeswehr (Spitzname: Lego) und Höherer Handelsschule den Laden vom Vater übernommen. Das Glück währte kurz: Im Frühjahr 1984 brannte die Bowlingbahn im Parkhaus und es wurde Dioxin frei. 1984 sanierte die Stadt die Fußgängerzone. &bdquo;Der falsche Verdacht, wir hätten dioxinbelastete Plüschtiere verkauft und die aufgerissene Straße in der wichtigen Vorweihnachtszeit haben uns ruiniert" erinnert sich Kleineberg. &bdquo;Dann wurde der Neue Markt Baustelle und uns fehlte die Laufkundschaft aus der Innenstadt." Das Geschäft hatte sich schon seit den 70er Jahren verändert, es wurde schneller, oberflächlicher. Große Konzerne eröffneten Spielzeugmärkte, branchenfremde Anbieter verkauften Spielzeug. Kunden ließen sich beraten und kauften anderwärts. Beratung hält Kleineberg noch immer für wichtig, denn viele Eltern und Großeltern würden nicht altersgerecht für Kinder kaufen. 1999 kam das Aus für das Geschäft 1996 kam für Kleineberg ein großer Schnitt: Er strich das Kinderspielzeug aus dem Sortiment und konzentrierte sich auf technisches Spielzeug und Modelleisenbahnen, die fast nur noch von Erwachsenen gekauft wurden. Am Ende rettete das den Laden nicht. 1999 musste der damals 45-Jährige Insolvenz anmelden. Einen beruflichen Neuanfang ermöglichten ihm die Erfahrungen mit Computern, die er in den 80ern ins Sortiment aufgenommen hatte. Geblieben ist die Erinnerung ans spannende Weihnachtsgeschäft früherer Jahre, das mit dem Buß- und Bettag begann und mit Volldampf bis Weihnachten durchlief. &bdquo;Wir haben mehrfach umdekoriert und uns Mühe gegeben, dass Bewegung in den Schaufenstern war, sagt Kleineberg. Manches Mal musste Kunden an Heiligabend nach Feierabend noch mit der Modelleisenbahn geholfen werden. Dirk Kleineberg hofft, dass er für seinen jetzt fünfjährigen Enkel noch mal die kleinen Dampfloks hervorholen kann.

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