Herford Aus "Schiller" wird "Wohnzimmer": Herfords neue gute Stube ist fertig

Herford. Der Kontrast könnte nicht größer sein. Im neuen Restaurant "Wohnzimmer" lodert vor einer Sitzecke aus weichen Ledersofas im englischen Stil ein Kamin. Entspannung pur für zukünftige Gäste des Hauses, wenn nur der Lockdown für die Gastronomie erst vorüber wäre. Eine unscheinbare Tür in der Nähe führt in eine Welt aus hochglänzendem Edelstahl. Die Tür wird den Gästen verschlossen bleiben, denn hier beginnt das Reich der Köche. "Das ist unser Raumschiff" "Das ist unser ,Raumschiff' ", schwärmt Lars Uhlen, der das denkmalgeschützte Gebäude mit langer gastronomischer Vorgeschichte an der Ecke Schillerstraße/Kurfürstenstraße 2019 gekauft und aufwendig saniert hat. Nun steckt das frühere "Schiller" voller Überraschungen. Wer mit offenen Ohren über den nahegelegenen Wilhelmsplatz geht, kann ab und an schon eine davon vernehmen. Es sind Klänge in der Art eines Glockenspiels, die aus der Welschen Haube des rekonstruierten Turms über die Straße schallen. "Was wollen wir trinken, sieben Tage lang? Was wollen wir trinken? So ein Durst?" lautet der Text des Hits der holländischen Gruppe Bots. Er wird im Kopf von den Leuten mitklingen, die in den 1970er Jahren Musik gehört haben. "Noch spielen wir das Lied nur zu Testzwecken ab. Wir müssen in einem Gutachten zur Genehmigung nachweisen, dass es nicht zu laut ist", sagt Matthias Uhlen, der zusammen mit Lars Uhlen das Restaurant betreibt. Er kann das Musikstück vom Computer-Tablet aus nach Belieben starten. Das gilt auch für die Beleuchtung der Fassade, die in allen Farben des Regenbogens nacheinander erstrahlen kann. "Ich liebe solche Spielereien", sagt Lars Uhlen, dessen Traum eigentlich eine blühende Fassade aus Sommerblumen gewesen war. Anruf von Tisch zu Tisch Der Kontrast zwischen "Raumschiff" und romantisch-verspieltem Gastraum ist im Hinblick auf die Technik im Hintergrund gar nicht so groß, wie das Auge glauben möchte. So ist das Feuer im Kamin eine Gasflamme, die auf imitiertem Holz lodert. Aus Sicherheitsgründen wäre nichts anderes denkbar gewesen. Auf jedem der 50 Tische steht ein Bakelit-Telefon mit Wählscheibe, von dem aus die Gäste jeden anderen Tisch anrufen können - wie früher beim Tanztee in einer Kurstadt. Im Innern des Telefons steckt modernste Technik - es bleibt stumm doch der Fuß des Apparates leuchtet auf, wenn ein Anruf eingeht. Das Wohnzimmer lässt sich in verschiedene, nach der Farbe der Polstermöbel benannte Räume schalldicht aufteilen und für Veranstaltungen nutzen. "Manchmal fühlt man sich rot, manchmal lila", meint Uhlen. Da kann man den farbpsychologisch passenden Platz wählen. Jeder Raum verfügt über Leinwand und Projektor. Die neue Bühne ist am alten Platz und die neue Tontechnik macht es möglich, dass Live-Musik überall gut gehört werden kann. Schallschutz soll verhindern, dass sich die Nachbarschaft davon gestört fühlt. Mehr Gäste als vorher werden einen direkten Blick auf die Musiker haben können. Insgesamt gibt es 242 Plätze zuzüglich 72 Stühlen auf der Außenterrasse. Sowohl im Restaurant als auch in der Küche ist eine Lüftungstechnik mit Hochleistungsfiltern eingebaut, die Viren in der Luft keine Chance lassen soll. Küchenteam verlängert kreative Phase Das Wohnzimmer ist auch eine Galerie für Gemälde des von Uhlen geschätzten Künstlers Ralf Ohst aus Travemünde. Er hat Bekannte und Freunde sowie Lars Uhlen und Sohn Matthias selbst in Öl portraitiert. Ohst hat naturalistische, teils skurrile Situationen erschaffen, in denen es immer ums Essen geht. Die Serie heißt "Good Morning". Apropos essen. Der letzte konkret genannte Termin für eine schon einmal baubedingt verschobene Eröffnung des Restaurants war der 29. November. Dann kam der abermalige Shutdown für die Gastronomie, dessen Ende am 10. Januar mehr als fraglich erscheint. Das zwölfköpfige Küchenteam um Chefkoch Farrokh Okhovat-Esfehani, der schon in verschiedenen Sterne-Restaurants gekocht hat, setzt nun seine kreative Phase fort, in der Gerichte für die Speisekarte entwickelt werden und schnelle Arbeitsabläufe für stressige Tage trainiert werden. So soll es ostwestfälische Tapas geben, die die regionale Küche neu und saisonal interpretieren. Auch Klassiker bekommen eine neue Chance: Der Hawaii-Toast aus den 1950er Jahren setzt sich zusammen aus Maisbrot, frischer Ananas, Kochschinken, geflämmtem Lardo-Speck und Cheddar-Cream. Die verschiedenen Taps kann der Gast individuell zusammenstellen. Die Abwärme der Küche wird als Energie zurückgewonnen. "Ausdruck der Wertschätzung für Herford" "Der Laden sieht schick aus, die Preise sollen aber bezahlbar sein", versprechen Lars und Matthias Uhlen. "Wir sind beide in Herford gestrandet und haben hier unser Glück gefunden. Das Restaurant ist ein Dankeschön und ein Ausdruck der Wertschätzung für eine Stadt, die uns so gut aufgenommen hat." Die Leute sollen sich vor allem nicht gedrängt fühlen, nach dem Essen gleich wieder zu gehen. Im Gegenteil: "Sie sollen miteinander reden und sich kennenlernen." Das Plaudern von Toilettenkabine zu Toilettenkabine allerdings ist nicht möglich. Die sehen gewollt altmodisch nach den fünfziger Jahren aus, sind aber ebenfalls mit Rücksicht auf das Schamgefühl der Gäste modern schallisoliert. Für Ablenkung sorgen Märchen, die aus Lautsprechern erklingen. Lars Uhlen sieht die Toiletten als eine Visitenkarte des Hauses. "Menschenleben wichtiger als Restauranteröffnung" Lars Uhlen ist gelernter Krankenpfleger und hat sein Unternehmen Bonitas in 25 Jahren von einem kleinen Pflegedienst an der Clarenstraße zu einem deutschlandweit aktiven Konzern entwickelt, dessen Geschäftsführender Gesellschafter er ist. Und nun Frust über die Verzögerung der Restauranteröffnung? "Nein, es macht keinen Sinn, sich zu ärgern über etwas, das nicht in Menschenhand liegt. Wir sollten dankbar und stolz sein, dass in Deutschland der erste Impfstoff entwickelt wurde. Ich hoffe, dass sich die Leute möglichst schnell impfen lassen und der Spuk schnell ein Ende hat", sagt Uhlen. "Die Bedeutung von Menschenleben liegt weit über der einer Restauranteröffnung. Ob wir nun jetzt eröffnen oder in zwei Monaten - wir haben ja noch den Rest der Ewigkeit."

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