50. Todestag von Frieda Nadig: Die Mutter eines "Jahrhundertwerks"

Herford. Als ihr Leben sich dem Ende zuneigte, war Frieda Nadig mit sich selbst im Reinen. Als die Herforderin heute vor 50 Jahren in einem Bad Oeynhausener Krankenhaus im Alter von 73 Jahren starb, hatte sie ihren Platz in den Geschichtsbüchern als eine der vier &bdquo;Mütter des Grundgesetzes" und als Vorkämpferin für die Gleichstellung der Geschlechter sicher. Doch nicht nur ihre Rolle im Parlamentarischen Rat in den Jahren 1948 und 1949 trug dazu bei, dass ihr Name und ihr Wirken auch heute noch von Bedeutung sind – und das, obwohl die überzeugte Herforderin von ihren Zeitgenossen zwar als strikt und resolut, vor allem aber auch als überaus bescheiden beschrieben wurde. "In einer von Männern dominierten Welt durchgesetzt" Auf die beiden ersten Eigenschaften musste sich Frieda Nadig verlassen können, als sie sich gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel gegen den erheblichen Widerstand der 61 männlichen Mitglieder des Parlamentarischen Rates mit der Forderung durchsetzte, den Passus &bdquo;Männer und Frauen sind gleichberechtigt" in das Grundgesetz der neu zu gründenden Bundesrepublik Deutschland einzufügen. Eine historische Leistung, wegen der Frieda Nadig &bdquo;bis heute ein Vorbild und eine Ermutigung für politisch interessierte und aktive Frauen ist", wie Herfords Gleichstellungsbeauftragte Karola Althoff-Schröder betont. Durch ihren Einsatz würden Frauen nicht mehr umfassend von ihren Männern fremdbestimmt, sondern könnten gleichberechtigt leben. &bdquo;Sie hat sich erfolgreich in einer von Männern dominierten Politikwelt durchgesetzt." Bürgermeister Tim Kähler sieht in ihr ebenfalls eine Tochter der Stadt, auf die Herford stolz sein könne. Nicht zuletzt durch ihr Zutun sei das Grundgesetz zu einem mit derart viel Weitsicht und Intelligenz verfasstes &bdquo;Jahrhundertwerk" geworden, das auch nach mehr als 70 Jahren &bdquo;einen der modernsten Verfassungstexte der Welt" darstellt. &bdquo;Vor dieser Leistung muss man einfach den Hut ziehen." Mutter war Näherin, der Vater war Tischler Der ihr zugeschriebenen Bescheidenheit entsprechen wiederum eher die Verhältnisse, in die Friederike Charlotte Louise Nadig am 11. Dezember 1897 geboren wurde. Ihre Mutter Luise war Näherin, ihr Vater Wilhelm Tischler – und überzeugter Sozialdemokrat. Das politische Engagement übertrug sich früh auf die Tochter, die kurz Frieda genannte Jugendliche trat unmittelbar nach ihrer Lehre zur Verkäuferin im Herforder Konsumverein erst in die Sozialistische Arbeiterjugend und bereits mit 19 Jahren in die SPD ein. Die Niederlage des Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg wirbelte dann in der Herforder Familie praktisch alles durcheinander. Wilhelm Nadig wurde ab 1919 Mitglied des preußischen Landtages, Frieda folgte ihm nach Berlin und nahm an der von der bekannten Frauenrechtlerin und Sozialreformerin Alice Salomon gegründeten &bdquo;Sozialen Frauenschule" ihr Studium zur Wohlfahrtspflegerin auf. Von den Nazis entlassen und mit Berufsverbot belegt Dieser Schritt sollte ihr weiteres Leben entscheidend prägen: Nadig wurde Jugendfürsorgerin in Bielefeld, engagierte sich in der Arbeiterwohlfahrt, saß als SPD-Abgeordnete im Westfälischen Provinziallandtag und entwickelte sich zu einer gefragten Expertin für Fragen der Jugend- und Frauenfürsorge – bis sie von den Nazis nach der Machtübernahme 1933 wegen ihrer politischen Überzeugungen entlassen und mit einem Berufsverbot belegt wurde. Dieses wurde nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 wieder aufgehoben. Doch statt an alter Wirkungsstätte wieder anzufangen, baute Frieda Nadig die von den Nazis zerstörten Strukturen der AWO in Ostwestfalen wieder auf – und wurde auf immer größerer Bühne politisch aktiv. Nach dem Beirat für die britische Besatzungszone folgte ein Sitz im Landtag des neu gegründeten Landes Nordrhein-Westfalen sowie schließlich die Teilnahme am Parlamentarischen Rat. Mit ihrem Erfolg, die Gleichberechtigung im Artikel 3 des Grundgesetzes zu verankern, wollte es die inzwischen über 50 Jährige nicht bewenden lassen. 1949 bis 1961 war sie als SPD-Abgeordnete Mitglied des Bundestages, wo sie weiter für die Rechte der Frauen kämpfte – immerhin war sie im Parlamentarischen Rat mit ihrem zweiten großen Anliegen, der Forderung nach &bdquo;gleichem Lohn für gleiche Arbeit" gescheitert. Mit dem Ausscheiden aus dem Parlament erhielt sie für ihren Einsatz um die &bdquo;Festigung des demokratischen Gedankens vor allem bei der weiblichen Bevölkerung" das Große Bundesverdienstkreuz. "Es lohnt sich, als Frau in der Politik zu kämpfen" &bdquo;Frieda Nadig hat gezeigt, dass es sich als Frau in der Politik zu kämpfen lohnt und ist damit ein Vorbild, das Mut macht", sagt Sally Lisa Starken, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) OWL. Die Themen, die vor allem Frauen betreffen, kämen nur durch eine paritätisch ausgestaltete Politik auf den Verhandlungstisch – und bis zu einer tatsächlichen Gleichberechtigung sei es noch ein weiter Weg. &bdquo;Auch heute dürfen wir bei diesen Themen nicht lockerlassen", so Starken mit Blick auf die strikte und resolute Politikerin. &bdquo;Denn das hat Frieda Nadig auch nie getan." Bescheiden wie ihre Ursprünge war dann letztlich auch das Lebensende von Frieda Nadig. Als sie heute vor 50 Jahren starb, hatte sie ihr Vermögen in eine nach ihr benannten Stiftung eingebracht, die Bewohnern von Altenheimen kulturelle Teilhabe ermöglichen soll. Zudem hatte sie verfügt, dass sie in aller Stille beigesetzt werden sollte. Das Familiengrab auf dem Friedhof an der Hermannstraße schmückt lediglich ein schlichter Stein. Deutlich sichtbar bleibt ihr Name an anderer Stelle: Die AWO Ostwestfalen-Lippe, die sie zwei Jahrzehnte lang von 1946 bis 1966 als hauptamtliche Geschäftsführerin maßgeblich prägte, benannte ein Seniorenheim in Bielefeld und das Bildungszentrum in Herford nach ihr. Ihre Heimatstadt wiederum erinnert – bei aller Bescheidenheit – unter anderem mit dem nach ihr benannten Frieda-Nadig-Weg an die große Tochter. &bdquo;Ehre, wem Ehre gebührt", so Tim Kähler.

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