Unfallfahrer lassen Opfer im Kreis Herford immer häufiger im Stich

Kreis Herford. Ein unaufmerksamer Augenblick, eine Ablenkung, ein Fahrfehler. Ein Verkehrsunfall ist schnell passiert. Doch nicht alle Autofahrer bleiben besonnen und stehen zu ihrem Fehler. Mit erschreckender Regelmäßigkeit berichtet die Polizei von Ermittlungen wegen Unfallflucht. Manche Autofahrer kümmern sich weder um Verletzte noch um Schäden, sie hauen einfach ab. Vor allem bei Unfällen mit Verletzten steigt aktuell der Trend. Der zuletzt wohl erschreckenste Fall ereignete sich in der Nacht zum Sonntag auf der Lübbecker Straße, wo ein 41-jähriger Radfahrer aus Bielefeld angefahren und schwer verletzt liegen gelassen wurde. Gegen Mitternacht hatte ein Autofahrer plötzlich herumliegende Fahrzeugteile wahrgenommen. Doch anstatt beschädigter Fahrzeuge fand er den schwer verletzten Mann auf der Fahrbahn: Nicht weit entfernt lag sein kaputtes Fahrrad. Ermittlungen zu beinahe vier Fällen pro Tag Inzwischen sucht die Kreispolizeibehörde aufgrund der am Unfallort entdeckten Fahrzeugteilen und einem Scheinwerferglas den Fahrer eines Renault Kangoo. Im Jahr 2018 mussten Polizisten 1.404-mal im Kreis Herford wegen Fahrerflucht ermitteln - nahezu vier Fälle pro Tag und 51 Fälle mehr als noch im Vorjahr. 2010 waren es noch 1.089 Fahrerfluchten. Die aktuelle Aufklärungsquote liegt bei 42,1 Prozent. Was den Sachbearbeitern der Verkehrspolizei zusätzlich Sorgen bereitet ist der jüngste Anstieg bei den sogenannten "schwerwiegenden Unfallfluchten", also bei Zusammenstößen mit Personenschaden. Von einem Tiefstwert von 51 Fällen im Jahr 2017 ging es 2018 deutlich nach oben auf 73 - so viele wie seit 2008 nicht mehr. nw.de-Leser Peter Töne ist angesichts der zahlreichen Berichte über geflüchtete Unfallverursacher richtig wütend: "Ich sehe aktuell eine große Verrohung - auch im Straßenverkehr." Besonders schlimm sei es bei Unfällen mit Kindern. Doch auch davor machen manche Autofahrer nicht halt. Kind im vergangenen Jahr angefahren Ein solcher Fall aus der Nachbarstadt Bielefeld machte im Juli des vergangenen Jahres überregional Schlagzeilen. Damals hatte ein Autofahrer den kleinen Dilyan (6) an der Brückenstraße erfasst, durch die Luft geschleudert und dann schwer verletzt liegengelassen. Den Autofahrer traf nur bedingt eine Schuld an dem Unfall, denn der Erstklässler war hinter seinem Ball her auf die Straße gesprungen. Trotzdem gab der 28-jährige Unfallfahrer Gas und eilte zwei Kilometer weiter, um im Marktkauf Tiefkühlbrötchen zu kaufen. Zeuge Nils Winkler hatte sich aber auf die Suche nach dem beschädigten Audi gemacht und den Wagen mit verlorener Frontschürze sogar ausfindig machen können. Er zwang Michael D. (Name geändert) zurück zum Unfallort, im März wurde er zu einer Geldstrafe von 2.100 Euro (70 Tagessätze) verurteilt. Das Gericht wertete zugunsten des Angeklagten, dass er die Familie und den Jungen besuchte und sich entschuldigte. D. befindet sich seither in psychologischer Behandlung. Die Aufklärungsquote der Herforder Polizei bei Unfallfluchten mit Personenschaden lag 2018 bei 67,1 Prozent und damit knapp vier Prozent über dem Landesdurchschnitt. Dennoch zeichnet sich hier ein negativer Trend ab. Mehr Personal soll schwächelnde Aufklärung stoppen 2015 wurden noch 85 Prozent aller "schwerwiegenden Unfallfluchten" aufgeklärt, seit dem ist die Quote Jahr für Jahr gesunken. "Personelle Verstärkungen im Bereich der Ermittlungen sowie eine intensive Öffentlichkeitsarbeit sollen den Trend im Jahr 2019 stoppen", versprach die Kreispolizeibehörde in der aktuellen Verkehrsunfallstatistik. Verkehrspsychologen haben gleich mehrere Ursachen ausgemacht, weswegen Menschen sich aus der Affäre ziehen wollen. Sie reichen von schierer Panik in Stresssituationen bis zu eiskaltem Kalkül, etwa wenn bei Flüchtenden Alkohol im Spiel ist. Unfallflucht ist kein Kavaliersdelikt An Mutmaßungen will sich die Herforder Polizei nicht beteiligen. Sprecherin Simone Lah-Schnier betont nur klipp und klar: "Unfallflucht ist kein Kavaliersdelikt - wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, begeht eine Straftat und kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden." Außerdem drohten ein Fahrverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis (bei einem Schaden über 1.300 Euro). Außerdem fordert der Haftpflichtversicherer die gezahlte Schadenssumme vom Versicherungsnehmer zurück, wenn die Unfallflucht rechtskräftig wird. Lah-Schnier betont: "Ein Unfallbeteiligter muss zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeuges und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit oder durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglichen." Ist das nicht möglich, muss man eine angemessene Zeit warten. Doch was ist eine "angemessene Zeit"? Das ist knifflig. Es hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. "Hierbei sind insbesondere die Schwere des Unfalls, der Unfallort, die Tageszeit, die Verkehrsdichte und die Witterung von Bedeutung", so Lah-Schnier. 15 Minuten sind das Minimum, danach sollte man die Polizei über den Unfall benachrichtigen - ein Zettel an der Windschutzscheibe reicht nicht aus. Sind Kinder betroffen, reicht es keinesfalls, sich nach deren Befinden zu erkundigen und dann weiterzufahren. Kinder stünden oft unter Schock, wollten nur schnell weg. Verletzungen stellten sich oft verspätet heraus: "Man hat als Verkehrsteilnehmer eine gewisse Sorgfaltspflicht", sagt Simone Lah-Schnier. "Bleiben Sie also vor Ort, informieren Sie die Polizei und - wenn nötig - die Rettung."

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