
Herford. Der von allen Seiten auf ihn einströmende Druck war nicht mehr auszuhalten. Vor sechs Jahren und elf Monaten sah der an Depressionen leidende Bundesliga- und FIFA-Schiedsrichter Babak Rafati keinen Ausweg mehr: Er unternahm einen Suizidversuch. Jetzt sprach er eineinhalb Stunden auf dem Bildungscampus über die Ursachen von Mobbing, Depression und Stress – angelehnt an seine Zeit als Schiedsrichter.
Ein Elfmeterpfiff mit einer möglichen Gefahr eine Fehlentscheidung zu begehen? „Das war mein Schicksal", sagte Rafati. Täglich wurden seine Entscheidungen in den Medien ausgiebig diskutiert, Beschimpfungen, Becher- oder Feuerzeugwürfe habe er zuhauf abbekommen. Der Buhmann – und das als der am schlechtesten bezahlte Mann auf dem Platz. Dazu kam das Mobbing seiner Vorgesetzten. Sprüche wie „alle dürfen Fehler machen, nur du nicht, Babak" kamen auf den Tisch. Konstruktive Gespräche? „Fehlanzeige!". Dieser Leistungsdruck sei ein zusätzlicher Stressverstärker gewesen, so der 48-Jährige.
Er habe sich gewünscht, dass seine Vorgesetzten den Dialog suchen würden. „Worte haben eine wahnsinnige Kraft. Klare Kommunikation ist essenziell wichtig für eine gute Zusammenarbeit." Sie blieb aus und er zeigte damit den rund 100 Gästen im ehemaligen Militärkino, wie wichtig es ist, persönliche Gespräche zu führen. „Führungskräfte sind nicht dazu da, zu erkennen, ob es einem schlecht geht. Aber sie müssen etwas für ihre Mitarbeiter tun. Mit gemeinsamen Aktivitäten, an denen jeder Spaß hat. Es muss nur von unten gelebt werden", sprach er Lösungen an. „Dann steigert sich auch der Umsatz, wenn die Mitarbeiter motiviert, gesund und fröhlich sind. Denn Arbeitszeit ist kostbare Lebenszeit."
Rafati war durch den anhaltenden Druck nicht mehr motiviert
Rafati war durch den anhaltenden Druck nicht mehr motiviert und verlernte, seinen Job zu lieben. „Mit einer Zwangspause durch den DFB kamen die Lügen, mit denen man anderen erklärte, warum man sechs Wochen nicht pfeift." Er setzte sich eine Maske auf – noch ein weiterer Schritt im Teufelskreis: „Man darf im Job nicht verlernen, man selbst zu sein." Das verdeutlicht er auch in seinem Buch: „Es heißt ,Ich pfeif auf den Tod! – also pfeifen sie auf Stress", bekräftigte er.
Nach dem Suizidversuch in der Nacht zum 19. November 2011, den er nur knapp überlebte, sah alles anders aus. Er sprach ganz offen von den Geschehnissen in dem Kölner Hotel, in dem er von seinen Schiedsrichterassistenten gefunden wurde. „Es ist alles im Affekt entstanden und ich hatte Glück gehabt".
»Es entlud sich alles, der Hass und die Wut auf einen selbst«
Rafati erzählte genau, wie es ihm ergangen ist. „Ich war wie ein Banker, organisiert, strukturiert, diszipliniert. In der Nacht entlud sich dann alles, der Hass auf die Chefs und die Wut über einen selbst – ich hatte keine Kontrolle mehr."
Er ritzte sich die Arme auf, schlug sich mit einer kaputten Bierflasche an den Kopf und strangulierte sich. „Ich weiß ganz genau, wie ich durch die Gegend schreien wollte, dass ich nur als Mensch behandelt werden wollte."
"Probleme müssen privat und beruflich angesprochen werden"
Das ist der Aspekt, den er dem Publikum weitergeben möchte: „Probleme müssen privat und beruflich angesprochen werden. Das müssen Männer eher lernen, Frauen können es besser." Die Gäste lachten. Und doch hat er Recht. „Viele Männer fressen die Probleme in sich hinein. Isolation, Selbstzweifel und Schlaflosigkeit seien dann die Folgen dieser Depression. Meine Familie war mir scheiß egal und mir war gleichgültig, was ich ihr damit antue", sagte er. „Man muss stark sein und vom Ideal der Gesellschaft absehen. Wir werden so groß gezogen, dass wir dem nacheifern, wie die Mitmenschen sind oder denken." Die Selbstbestimmung sei aber wichtig und präge nun sein Leben: „Es liegt immer am eigenen Drehbuch, nicht an dem anderer."
Babak Rafati hatte im Mai 2012 seinen Rücktritt als Schiedsrichter erklärt. Heute arbeitet er als Mentaltrainer für Führungskräfte, Manager und Fußballprofis. Hinzu kommen Abende wie dieser in Herford, der von der Initiative Wirtschaftsstandort Kreis Herford (IWKH) und der BKK HMR-Krankenversicherung als Teil des Projekts „Gesund. Stark. Erfolgreich" organisiert war und von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unterstützt wird.