Diabetes Typ I: So gefährlich kann Übergewicht schon bei Kindern sein

Kinder und Jugendliche haben fast immer einen Typ-I-Diabetes. Was ist das?Dr. Chirstof Klinkert: Typ-I-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung: Das Immunsystem greift die körpereigenen Insulinzellen an. Dadurch fehlt das Insulin. Es muss ersetzt werden. Das ist eigentlich schon der gesamte Krankheitsmechanismus. Heilung gibt es nicht. Was ist der Unterschied zum Typ II, zur Altersdiabetes?Klinkert: Menschen mit Typ II fehlt zu Beginn ihrer Erkrankung kein Insulin. Sie haben sogar viel, viel mehr als gesunde Menschen, es wirkt nur nicht richtig. Dem können sie entgegenwirken, indem sie ihren Lebensstil ändern, Gewicht abnehmen, die Ernährung umstellen und so weiter. Später brauchen sie vielleicht auch mal Insulin, das steht aber nicht an erster Stelle. Sie sind Vorsitzender des Vereins KIM. Warum brauchen Familien mit Diabetes-Kindern einen Verein?Klinkert: Weil die Krankenkassen nur die ärztlichen Leistungen bezahlen. Für weitergehende Aufklärung, die Betreuung der Familien, Motivation und die Einbindung von Sport-Profis wie dem Ex-Sprinter und Diabetiker Daniel Schnelting beim Fußballcamp brauchen wir Gemeinnützigkeit. Eltern können das nicht allein finanzieren. Dafür brauchen wir Spenden. Wieso bietet der Verein Segeltouren oder Fußballcamps an?Klinkert: Unsere Sportangebote sind ein Signal an die Eltern: Ihr müsst euch keine Sorgen machen, wir achten auf den Diabetes. Das Signal an die Jugendlichen ist: Ihr könnt alles mitmachen, eure Grenzen austesten, und ihr habt da jemanden, der sich mit Diabetes auskennt und aufpasst. Dabei sammeln die Kinder positive Erfahrungen, sie kommen dann, wenn sie auf sich gestellt sind, besser zurecht. Und weil wir so etwas mit Profi-Sportlern machen, ist das für die Kinder auch attraktiv. Gehen die Kinder sonst nicht an ihre Grenzen?Klinkert: Nein. Sie werden zudem oft auch mit den Worten gebremst: Du hast Diabetes, mach das mal lieber nicht. Von wem gebremst?Klinkert: Von allen Betreuern, die sich damit nicht auskennen: Lehrer in der Schule, Trainer im Sportverein, Erzieherinnen im Kindergarten. Wie funktioniert die Betreuung in Kita und Grundschule?Klinkert: Sehr unterschiedlich. Es gibt da ein sehr buntes Bild und keine Verlässlichkeit. Im Kindergarten und in der Grundschule gibt es viele engagierte Leute. Aber bei einem Drittel der Grundschulkinder läuft es schlecht, weil sich die Lehrer nicht kümmern wollen. Das war mal besser, aber seit die Lehrkräfte durch die Inklusion Mehraufgaben haben, sagen viele eher: Das geht jetzt nicht auch noch. Zum Teil versorgen dann Pflegedienste oder Medikationskräfte den Diabetes, aber das ist schwer zu organisieren. Wie ist das bei Klassenfahrten?Klinkert: Klassenfahrten sind ein Problem, wenn sich die Lehrer nicht kümmern. Gerade erst durfte eines unserer Kinder an einer dreitägigen Fahrt nicht teilnehmen. Bei einer anderen Fahrt haben die Lehrer am zweiten Tag einen Rückzieher gemacht, die Eltern mussten ihr Kind abholen. Was war der Grund?Klinkert: Es war etwas vorgefallen, aber das waren Probleme, die sich mit zwei, drei Telefonaten leicht hätten lösen lassen. Am zweiten Tag ein Kind von Wangerooge abzuholen, weil die Betreuung nicht gesichert ist - das ist hart. Was tun Sie dagegen?Klinkert: Unsere Praxis versucht, in Schulungen aufzuklären, Ängste zu nehmen und die Lehrer zu motivieren, sich um den Diabetes zu kümmern, damit die Kinder die normalen schulischen Angebote wahrnehmen können. Zwar kann auch mal etwas passieren, aber gefährliche Situationen sind absolut selten, und Lehrkräfte tragen erst einmal keine Schuld daran. Diabetes lässt sich gemeinsam - durch Kind und Lehrer - in fast jeder Situation gut händeln. Was passiert, wenn ein Kind unterzuckert ist?Klinkert: Bei fast jeder Unterzuckerung fühlen sich die Kinder schlecht. Sie brauchen eine Pause, müssen etwas essen oder trinken, sich mal 10 oder 15 Minuten erholen, und dann geht der Alltag weiter. Gut, wenn man gerade im Watt wandert, ist das doof für die Gruppe. Aber man kann vorher planen, wie man das trotz der Anstrengung verhindert. In absolut seltenen Fällen führt eine Unterzuckerung zur Ohnmacht. Dafür gibt es Notfall-Sets, mit denen sich fast alles beheben lässt. In unseren Schulungen bereiten wir solche Situationen gedanklich vor. Die Lehrer können sie alle meistern. Die brauchen ja keine übergroße Perfektion zu erlangen, es reicht, wenn sie das Mindestmaß machen. Aber das müsste dann auch passieren. Woran scheitert es dann?Klinkert: Im Lehrer-Leitfaden des Schulministeriums ist die Betreuung von Diabetes-Kindern nicht als verbindlich festgeschrieben. Lehrer dürfen alles, müssen aber nicht. Wir sind allerdings der Ansicht, dass in einer bunten Gesellschaft Zusatzanforderungen das Normale sind. Grundschulen müssen wegen Allergien der Kinder den Speiseplan kontrollieren. Bei Asthma müssen Kinder inhalieren, bei Diabetes müssen sie eben messen und spritzen. Wie oft spritzen Diabetiker?Klinkert: Sechs bis achtmal am Tag zur Grundversorgung, dann zu jeder Mahlzeit, und wenn die Werte zu hoch sind. Die Kinder lernen, wie viel Insulin sie für das Essen benötigen, das sie zu sich nehmen wollen. Wichtig ist dabei der Kohlenhydratgehalt. Ein Ernährungsplan ist nicht nötig. Gemessen wird sechs bis zehnmal am Tag. Bei vielen passiert das schon kontinuierliche mit einem Fühler, der unter der Haut steckt. In welchem Alter tritt die Erkrankung auf?Klinkert: Typ-I-Diabetes tritt selten vor dem zweiten Geburtstag auf. Im Kleinkindalter haben wir eine ganze Reihe von Erkrankungen, und dann auch noch mal im Alter von acht bis zwölf Jahren. Woran merken Eltern, dass ihr Kind erkrankt sein könnte?Klinkert: Das übersehen Eltern nicht: Die Kinder trinken ungewöhnlich viel, sie pillern ungewöhnlich viel, sie nehmen rasch Gewicht ab, und dann geht es ihnen richtig schlecht - bis hin zu Ohnmacht und Koma. Würde Diabetes nicht behandelt, würden die Kinder sterben. Und wenn ein Kleinkind Typ-I-Diabetes hat, müssen die Eltern permanent kontrollieren?Klinkert: Ja, und häufig auch nachts. Dann schwanken die Werte teilweise stark, zum Beispiel durch Wachstumshormone oder die Art zu essen. Tagsüber schwanken sie mit dem Energieverbrauch. Ob kleine Kinder toben oder sich in den Sand setzen, ist ja nicht planbar. Wenn sich die Situation ändert, und das geht manchmal sehr schnell, müssen Eltern mit der Diabetessteuerung reagieren. Alle Eltern von Kleinkindern mit Diabetes sind erheblich belastet. Macht Typ-I-Diabetes Jugendlichen Probleme?Klinkert: Unterschiedlich. Die meisten integrieren das gut in ihr Leben. Sie fühlen sich fit und normal. Ein Viertel bis ein Drittel schafft das aber nicht. Die laufen mit permanent schlechten Werten durch die Gegend. Die sammeln eine Hypothek von Risiken für ihr späteres Leben ein. Welche Folgeschäden drohen?Klinkert: Augenschäden bis zur Blindheit. Nierenschäden bis zur Dialyse. Nervenschäden, so dass die Füße nicht mehr richtig funktionieren. Das kommt nicht sofort, sondern erst im Erwachsenenalter. Die Eltern beunruhigt es sehr, wenn es über längere Zeit schlecht läuft. Für sie ist sehr präsent, was alles droht. Und es droht tatsächlich. Haben Sie in Ihrer Praxis auch Typ-II-Kinder?Klinkert: Zwei Jugendliche. Typ II gibt es bei Kindern kaum, das kommt frühestens in der Pubertät mit der hormonellen Umstellung. Was sind dann die Ursachen?Klinkert: Genetische Belastung und bei Jugendlichen fast immer ein deutliches Übergewicht. Wer den Typ-II-Diabetes in den Genen trägt, hat fast immer auch Schwierigkeiten, sein Gewicht zu kontrollieren. Ab wann ist Übergewicht bei Kindern problematisch?Klinkert: Ab dem Kita-Alter. Das Übergewicht bei Kindern führt zu Übergewicht im Jugend- und Erwachsenenalter. Wenn dann die genetische Belastung für Diabetes Typ II hinzu kommt, ist das Risiko für sehr hoch. Was können Eltern oder die Jugendlichen dagegen tun?Klinkert: Sehr früh auf gesundes Essen und Normalgewicht achten. Damit lässt sich Typ-II-Diabetes lange herauszögern. Wer die familiäre Belastung in sich trägt, aber sportlich ist, schlank bleibt und auf gesundes Essen achtet, der ist vielleicht 98, wenn er Diabetes bekommt, und dann ist das nicht mehr wichtig. Wenn es schlecht läuft mit dem Übergewicht, noch hohe Fettwerte im Blut hinzu kommen, hohe Cholesterin-Werte, ein hoher Blutdruck, dann sind das alles Störungen, die zu frühzeitigem Herzinfarkt und zu Schlaganfällen führen. Frühzeitig heißt?Klinkert: Im Alter von 30 bis 40 Jahren. Wissenschaftler haben in einer Studie herausgefunden, in welchem Alter die Gefäßveränderung losgeht, die zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen: Ab dem fünften Geburtstag. Und dann ist es eine Frage der Zeit und der Risikofaktoren, wie schnell die Gefäße zugehen und das zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führt.

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