
Herford. Die Fliesen wurden in stundenlanger Arbeit selbst an die Toilettenwände geklebt, die Theke, der Schrank für die Putzmittel und die Abdeckung der Kabel sind Werke des Vereinsvorsitzenden, die gepolsterte Bank ist ebenfalls in Eigenregie entstanden. Günter Sibrowski, begnadeter Tischler, Fußballfan, gehörlos und seine Freunde warten jeden Tag auf die Kündigung. Voraussichtlich spätestens zum Jahresende muss der Gehörlosenverein aus dem Keller der Markthalle ausziehen.
Im nächsten Jahr ist es 30 Jahre her, dass die Gehörlosen aus Herford, dem Kreis und der Umgebung ihr Vereinszuhause zwischen Rathaus und Münsterkirche gefunden haben. Die Stadt lässt den Verein die Räume mietfrei nutzen. Investiert haben die Männer und Frauen dennoch in die 100 Quadratmeter unter der Markthalle.
Mit viel Fleiß, eigenem Geld und vor allem dem Geschick der Gehörlosen, von denen viele im Handwerk arbeiten, haben sie den Keller eingerichtet und im wahrsten Sinne des Wortes aufgemöbelt. Bis zu 60 Menschen treffen sich regelmäßig und unregelmäßig zum Diskutieren, Fußball gucken und Gebärdensprache lernen und lehren.
Die Politik suche nach Alternativen
Jetzt wird die Markthalle umgebaut und die Kellerräume werden künftig als Lagerfläche benötigt. „Die schriftliche Kündigung wird dem Verein in den nächsten Tagen zugehen", sagt Dieter Wulfmeyer, Leiter der städtischen Wirtschaftsförderung. „Noch ist es nicht sicher, dass der Verein wirklich ausziehen muss. Vielleicht können wir davon auch Abstand nehmen, wenn wir in der zweiten Jahreshälfte konkretere Pläne für den Umbau haben. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass wir die Räume brauchen."
Wulfmeyer sagt, die Politik suche bereits nach Alternativen, die sie dem Verein anbieten kann, konkrete Räume sind aber nicht im Gespräch.
Günter Sibrowski und seine Stellvertreterin Hilde Osterkamp wünschen sich ein Quartier, das ähnlich zentral gelegen ist wie die Markthalle. „Wir brauchen einen Ort in der Nähe des Bahnhofs, weil viele Mitglieder aus dem Umkreis kommen." Sibrowski hat schon ein Lieblingsobjekt ins Auge gefasst, das derzeit leer stehende Geschäft des ehemaligen Kreativmarktes nahe des Gänsemarktes. Besonders die große Fensterfront gefällt ihm. „Dann könnte jeder, der vorbeigeht, sehen, wie wir Gebärden machen."
Gut vernetzt in OWL
Das sei überhaupt das Hauptproblem, sagt Hilde Osterkamp, „dass die Gehörlosen in der Stadt nicht sichtbar sind." Eine Hörbeeinträchtigung falle auf den ersten Blick nicht auf, und somit auch nicht, dass jemand eventuell Hilfe benötigt. In unserer akustisch geprägten Welt fehle es aber oft an technischen Hilfsmitteln. Gerade im Nahverkehr würden immer noch oft Anzeigetafeln durch Durchsagen ergänzt oder ersetzt.
Die Gehörlosen sind auch außerhalb von Herford gut vernetzt, pflegen Freundschaften zu Vereinen und Sportmannschaften in ganz OWL und darüber hinaus. Sie sind es gewohnt mobil zu sein, auch weil zum Beispiel schon die Kinder nach Bielefeld auf die Gehörlosenschule oder ins Internat nach Dortmund gehen müssen. Trotz Teilhabegesetz und Inklusion sei es für gehörlose Kinder nach wie vor schwierig an einer Regelschule zu lernen. Es gibt nur wenige Dolmetscher.
Und bei der Suche nach Freunden auf dem Schulhof sind die Kinder auf sich alleine gestellt, in einer Welt, in der nur wenige Hörende sich bemühen Gebärdensprache zu lernen. „In den USA ist das zum Beispiel anders, da können auch Hörende oft zumindest das Fingeralphabet", sagt Osterkamp. „In Deutschland wird aber immer von uns erwartet zu sprechen. Das ist sehr anstrengend."
Osterkamp hofft, dass die Politiker keine Scheu haben, mit den Gehörlosen ins Gespräch zu kommen. Erste Begegnungen und Gespräche, zum Beispiel mit dem Fraktionschef der CDU, Wolfgang Rußkamp, habe es bereits gegeben. Das Ziel dieser Gespräche steht für Osterkamp, Sibroswski und ihre Freunde fest: dass der Allgemeine Gehörlosenverein, der bereits 1907 in Herford gegründet wurde, auch weiterhin ein Zuhause in der Hansestadt hat.