Herford

Fünfte OWL-Uni sollte in Herford stehen

Vor 50 Jahren fiel die Entscheidung über die fünfte nordrhein-westfälische Universität in OWL - eigentlich hatte sich die Region entlang der Achse Minden-Gütersloh bereits auf den Standort "Elverdissen/Brake II" geeinigt

Rückblick: Als vor 50 Jahren „Elverdissen/Brake II" Uni-Standort werden sollte – und dann alles ganz anders kam. | © Jens Reddeker

Hartmut Braun
13.02.2016 | 13.02.2016, 09:00

"Ravensberger Lösung"
Elverdissen/Brake II: "Das vorgesehene Gelände liegt in einer ausgedehnte Grünfläche", heißt es in der Denkschrift der zehn Kommunen - mittendrin der Hof Pahmeier an der Braker Straße. - © Jens Reddeker
Elverdissen/Brake II: "Das vorgesehene Gelände liegt in einer ausgedehnte Grünfläche", heißt es in der Denkschrift der zehn Kommunen - mittendrin der Hof Pahmeier an der Braker Straße. | © Jens Reddeker

Dumm ist nur, dass für diese "Ravensberger Lösung" der in Brüngers Denkschrift gerade erst favorisierte Standort Diebrock (das heutige Industriegebiet) wieder aufgegeben werden muss. Jetzt ruhen alle Hoffnungen auf dem Hof Pahmeier, heute Pelshenke: "Das vorgesehene Gelände liegt in einer ausgedehnte Grünfläche", heißt es in der Zehner-Denkschrift. "Beeinträchtigungen durch Luftverunreinigungen, Lärm oder Erschütterungen sind nicht zu erwarten." Zum Hof gehören 120 Hektar Land, nahe daran liegt ein Wäldchen, der Bahnhof Brake ist 700 Meter entfernt. "Die Ver- und Entsorgung der Fläche ist ohne Schwierigkeiten möglich", heißt es in der Denkschrift. Und: "Erweiterungsmöglichkeiten sind gegeben."

Die Westfälische Zeitung findet im Mai 1965 allerdings heraus, dass mit dem Pächter des Hofes Pahmeier noch niemand gesprochen habe und der Eigentümer keinesfalls verkaufsbereit sei. Schober wiegelt ab: Man solle sich nicht auf einen oder mehrere Höfe festlegen, es gebe noch weitere Grundstücke, auch in Richtung Altenhagen . . .

Die Elverdisser selbst, die damals zum Amt Herford-Hiddenhausen gehörten, scheint niemand gefragt zu haben. Weder in den noch vorhandenen Ratsprotokollen noch in Unterlagen der Amtsvertretung jener Jahre taucht das Stichwort Universität auf.

Derweil macht sich eine Münstersche Zeitung über Elverdissens Bürgermeister Gottlieb Hilker (SPD) lustig, der auf die begrenzte Kapazität der Elverdisser Kläranlage verwiesen und die Sorge geäußert haben soll, das dörfliche Leben werde durch eine Universität zerstört.

Die Bielefelder haben das Plädoyer für Brake II unterschrieben, planen aber zweigleisig: Im Westen der Stadt Richtung Dornberg gibt es den Voltmannshof, dessen Kauf der weitsichtige Oberbürgermeister Hinnendahl (SPD) im Stillen vorbereitet. Soweit sind die Herforder in Elverdissen noch lange nicht.

Im Sommer werden in Düsseldorf Fakten geschaffen. bereits im Juli 1965 spekuliert die Westfälische Zeitung, dass außer Paderborn auch Brake II aus dem Rennen sei.

Die Landesregierung hat bei Brüngers Münsteraner Kollegen Dietrich Storbeck ein Standortgutachten bestellt. Storbeck untersucht 13 Standorte in OWL, darunter auch Diebrock und den Waldfrieden. Bei ihm landet der Bielefelder Westen auf den ersten und Elverdissen auf den letzten Platz; generell hält er Herford nur für "sehr bedingt" geeignet.

Und Schelsky setzt ohnehin auf das Oberzentrum: "Bielefeld trägt noch am ehesten die Züge einer Großstadt, in der eine wissenschaftliche Geistigkeit sich zu Hause fühlen könnte," schreibt er.

Über Storbecks Kriterien wird später heftig gestritten. War er objektiv? Der Historiker Martin Lüning kommt zu dem Ergebnis, dass es sich am Ende um eine politische Entscheidung gehandelt habe, für die die Bielefelder die besseren Kontakte und Netzwerke aufzuweisen hatten.

Vorerst verkündet die Landesregierung im November 1965 jedoch nur, dass die Makro-Entscheidung für "Bielefeld-Herford" gefallen sei. Doch da wissen Insider längst mehr. Auch den Herfordern bleibt der Trend Richtung Dornberg nicht verborgen. Verkehrsdirektor Heinz Schön, wichtiger Stichwortgeber für Schober, wirft diesem später vor, zu diesem Zeitpunkt nicht noch einmal die Zehner-Gemeinschaft und die Öffentlichkeit für Elverdissen mobilisiert zu haben.

Dabei hat Schober durchaus gekämpft - auf seine Art. Er schrieb Briefe an seine Parteifreunde in Düsseldorf, in denen er eine notorische Benachteiligung Herfords gegenüber Bielefeld beklagte. Er drohte dem Landesvater Franz Meyers mit Protesten der gesamten Region.

Im März 1966 lockte er mit einer Spende der Herforder Industrie in Höhe von fünf Millionen Mark für den Fall, dass zumindest ein Teil der Uni auf Herforder Gebiet landen würde - auch die Firma Ahlers in Elverdissen gehörte wohl zu den Stiftern.

Ganz zuletzt versuchen die Herforder noch, den Standort zumindest etwas näher an sich heranzuziehen - von Großdornberg nach Vilsendorf/Theesen.

Am 6. Juni 1966, 18 Uhr, spricht Ministerpräsident Franz Meyers auf einer CDU-Veranstaltung im Bielefelder Rathaus das Urteil: Die Universität kommt in den Bielefelder Westen auf das Gelände Voltmannshof. Dort wird tatsächlich bereits drei Jahre später in einem Provisorium der Betrieb aufgenommen.

Am 24. Juni 1966 tritt in Herford noch einmal der Universitätsausschuss von Stadt und Kreis zusammen. Kurt Schober erklärt laut Protokoll, der gewählte Standort sei "objektiv falsch" und kündigt weitere Proteste an. In seiner Handakte befinden sich wütende Briefe von Heinz Schön: Herford sei wieder einmal unrecht getan worden, "ich ärgere mich über die Herforder", wütet dieser maßlos enttäuscht. Unter diesen Bedingungen, so steht es da, "wird Herford im Jahr 2000 ein Dorf sein, von dem niemand mehr spricht."

Die Leute im Kreishaus sind anderer Meinung. Herford solle lieber nicht zu laut gegen Bielefeld protestieren, gibt der besonnene Landrat Ernst Albrecht (SPD) zu Protokoll, sonst sei am Ende doch noch Paderborn der lachende Dritte.

50 Jahre später dürfen die Herforder froh sein über die Nähe zu dieser Bildungseinrichtung, an der Tausende von ihnen ihr Studium absolviert haben, in der Hunderte einen Arbeitsplatz gefunden haben und von deren Forschungsergebnissen ihre Region noch viel zu erwarten hat.

Und was wäre denn aus der Universität Bielefeld ohne die Herforder geworden? Ohne den Eickumer Lehrersohn Karl-Peter Grotemeier, den hoch geehrten Rektor von 1970 bis 1992? Ohne die vielen im Kreis Herford lebenden Professoren? Ohne die Kooperationen mit Unternehmen?

Und ohne die Herforder im einflussreichen Hochschulrat, der seit vielen Jahren von der früheren Herforder Stadtkämmerin Annette Fugmann-Heesing geführt wird und in dem der Herforder Unternehmer Andreas Hettich die OWL-Wirtschaft vertritt.