Kreis Herford

Weniger Verfahren wegen Kündigungen am Arbeitsgericht

Gericht verhandelt 1.387 Mal. Die Auswirkungen des Mindestlohns sind erst langsam spürbar

Symbolbild: Gericht. | © dpa

Miriam Scharlibbe
03.02.2016 | 04.02.2016, 15:06

Kreis Herford. Zwei Maschinenführer reichen bei ihrem Chef Bildungsurlaub ein. Der bezahlt den VHS-Kursus und liest dann erst den Seminartitel: "Kampfrhetorik". Jetzt fordert er das Geld von der Volkshochschule zurück. Eine andere Firma, ebenfalls im Kreis Herford: Ein Unternehmer zahlt seit Monaten Mindestlohn. Doch seine Mitarbeiter arbeiten im Akkord. Sie wollen die 8,50 Euro als Basissatz, und die Zusatzleistung extra bezahlt bekommen. Beide Fälle sind im vergangenen Jahr vor dem Herforder Arbeitsgericht gelandet - genau wie 1.385 andere Verfahren.

Joachim Kleveman und seine Kollegen vom Arbeitsgericht Herford müssen immer wieder Schiedsrichter sein, wenn Kündigungen angefochten, Geld einbehalten und Zeugnisse nachteilig formuliert werden. 2015 wurde ihre juristische Hilfe allerdings im Vergleich zu den Vorjahren seltener in Anspruch genommen. Das könnte sich bald wieder ändern - wenn die Auswirkungen des Mindestlohns auch vor Gericht ankommen.

Ist die Wirtschaftslage gut, wird auch weniger gekündigt

In insgesamt 1.387 Verfahren mussten die Richter am Arbeitsgericht Herford, das für den gesamten Kreis zuständig ist, im Jahr 2015 Recht sprechen oder einen Vergleich herbeiführen. 2014 waren es noch 1.767 Fälle gewesen, im Jahr davor 1.788. "Wir sind einerseits froh, dass wir etwas weniger zu tun haben", sagt Geschäftsleiterin Alexandra Möller, "andererseits hat sich die Entwicklung gleich in personellen Konsequenzen bemerkbar gemacht."

Erst im August 2015 hatte Johanna Ennemann, Richterin in Probezeit, ihre Arbeit in Herford aufgenommen um Lisa Dué zu vertreten, die aktuell in Elternzeit ist. Seit dem 1. Januar nun, arbeitet Ennemann mit einer halben Stelle am Arbeitsgericht Rheine. Neben Direktor Kleveman ist aber weiterhin Burkhard Fleer in Vollzeit in Herford als Richter tätig.

Kleveman erklärt sich die rückläufige Zahl der Verfahren mit der guten Konjunktur: "Ich glaube nicht, dass die Leute aktuell weniger streitlustig sind", so Kleveman. Das bewiesen auch die oft erstaunlich kleinen Geldbeträge, um die sich die juristischen Auseinandersetzungen drehen. "Aber wenn die Wirtschaftslage gut ist, wird auch weniger gekündigt."

Gestiegen ist dagegen die Zahl der Fälle (38), denen Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zugrunde lagen. Klevemans Theorie: "Vielleicht werden die Betriebsräte jetzt wieder mutiger. Wenn die Konjunktur schlecht ist, wollen manche den Chefs nicht zu viel zumuten." Andererseits gebe es aber auch Firmen, "die versuchen, sich gesund zu machen, indem sie Leistungen für ihre Mitarbeiter kürzen". Das provoziere natürlich den Betriebsrat.

Insgesamt wurden von allen Verfahren überhaupt nur 15 (1,2 Prozent) von der Arbeitgeberseite eingeleitet. Auch dies stellt gegenüber den Vorjahren einen Rückgang dar (2014: 61; 2013: 33 Verfahren). Gleich geblieben ist der Anteil der Antragsteller, die Prozesskostenhilfe beantragt haben. Nur 14 Prozent machten von dem staatlichen Darlehen für Anwaltskosten Gebrauch.

Deutlich gestiegen ist im Jahr 2015 die Urteilsquote des Arbeitsgerichtes, von 6,5 auf 9 Prozent. "Grundsätzlich werden fast alle Fälle am Arbeitsgericht durch einen Vergleich beendet." Die Kollegin Ennemann hätte aber in ihrer Kammer reichlich aufgeräumt - die wenig beliebten "Gürteltiere", Verfahren mit so vielen Akten, dass der Papierberg durch einen Gürtel zusammengehalten wird. Kleveman: "Wenn sich ein Verfahren über zwei Jahre zieht, sind die Gegner am Ende oft nicht bereit, sich dann auch noch zu vergleichen."

Beim Kirchenkantor scheiterte die Mediation

In anderen Fällen ist die Mediation eine gern genutzte, weil kostenfreie, Methode, sich dem Gegner anzunähern. "Eine Kündigungsklage ist oft wie eine Scheidung, da wird schmutzige Wäsche gewaschen." Das Güterichterverfahren bei der ein Richter versucht, den Konflikt zu lösen, ist aber im Gegensatz zum arbeitsrechtlichen Prozess nicht öffentlich.

Kläglich und öffentlichkeitswirksam gescheitert ist die Mediation im vergangenen Jahr allerdings im Fall des gekündigten Herforder Kirchenkantors. "Da waren die Fronten schon zu verhärtet", sagt Kleveman. "Die Gemeinde wollte sich grundsätzlich auf Dauer von ihrem Kantor trennen, der wollte aber unter keinen Umständen gehen."

In Sachen Mindestlohn erwartet Kleveman die große Klagewelle erst noch. "Aktuell werden viele Sonderfälle ja höchstrichterlich entschieden, da warten manche unzufriedene Arbeitnehmer noch auf die Ergebnisse, bevor sie selbst klagen."

Firmen aus dem Kreis Herford, die ihre Mitarbeiter neben 35 bezahlten Arbeitsstunden pro Woche auch immer noch vertraglich zugesichert zweieinhalb unbezahlte Überstunden leisten lassen, gebe es allerdings genug. Kleveman: "Wenn die Mitarbeiter erst einmal für diese Stunden den Mindestlohn einfordern, kommen bestimmt noch einige Verfahren auf uns zu."