Apotheker aus Enger kritisiert neue Preis-Regelung von Krankenkasse

Enger. Vor sechs Jahren bekommt Elke Häbel die schlimme Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs. Die Engeranerin ist damals 72. In einer Klinik in Heidelberg wird sie operiert, das kranke Organ dabei komplett entfernt. Der Eingriff rettet ihr das Leben. Heute geht es der Seniorin wieder gut. Aber: Weil ihr die Bauchspeicheldrüse fehlt, kann ihr Körper kein Insulin mehr produzieren. Sie muss sich das lebenswichtige Hormon spritzen. &bdquo;Drei- bis viermal am Tag, im Extremfall aber auch sechsmal“, sagt ihr Mann Fred Häbel. Für die Insulin-Spritzen braucht die heute 78-Jährige Hilfsmittel. Nadeln für den Insulin-Pen zum Beispiel. Es sind Einmal-Produkte, daher gehen einige davon im Monat durch. Knapp eineinhalb Packungen mit jeweils etwas mehr als 100 Stück, schätzt Fred Häbel. Für seine Frau sind die Nadeln unverzichtbar. Nun jedoch steht sie vor einem Problem. Denn: Ihre Krankenkasse, die IKK Classic, hat für Apotheken seit dem 1. Juli neue Konditionen, also Vertragspreise, für diverse Hilfsmittel angesetzt. Mitglieder der IKK Classic könnten daher ab dem 1. Juli in vielen Apotheken nicht mehr mit solchen Hilfsmitteln versorgt werden, teilt der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) mit. &bdquo;Die Krankenkasse unterbreitete ein Preisangebot, welches so niedrig ist, dass die Versorgung der Patienten für die Apotheken unwirtschaftlich wird.“ Lesen Sie auch: Ärger nach Gewichtsverlust: Frau aus Porta fühlt sich von Krankenversicherung diskriminiert Apotheker aus Kreis Herford: &bdquo;Wir können dem nicht zustimmen“ Jens Kosmiky betreibt vier Apotheken im Kreis Herford, darunter zwei in Enger. Auch er ist nicht bereit, den neuen Vertrag zu unterschreiben. Es stünde ihm frei: Denn, so erklärt er, jede Apotheke könne darüber selbst entscheiden und sei nicht an die Entscheidung eines übergeordneten Verbands gebunden. &bdquo;Aber wir können dem nicht zustimmen, das wäre das absolut falsche Signal.“ Jahrelang hat er Elke Häbel mit den für ihre Krankheit nötigen Hilfsmitteln versorgen können. Am Beispiel der Pen-Nadeln erklärt Kosmiky, was der neue Versorgungsvertrag für ihn konkret bedeutet. Lesen Sie auch: Geschäftsfrau aus dem Kreis Gütersloh ist plötzlich nicht mehr krankenversichert So konnten die Apotheken bislang abrechnen Bislang sei es bei der IKK Classic so gewesen, dass er als Apotheker auf jede Packung Pen-Nadeln 15 Prozent auf den Einkaufspreis habe draufschlagen können. &bdquo;Das war unser Gewinn, das war in Ordnung.“ Die neuen Konditionen sähen nun eine Stückvergütung vor. &bdquo;Ich darf jede einzelne Nadel mit 19 Cent berechnen.“ Bei einer Packung mit 100 Stück seien das also 19 Euro. Plus Mehrwertsteuer entsprechend 22,61 Euro. Diese Summe dürfe er nun als Apotheker der IKK Classic in Rechnung stellen. Der reguläre Einkaufspreis für das Produkt liege jedoch schon um die 25 Euro netto - inklusive Mehrwertsteuer seien es dann knapp 30 Euro, sagt Kosmiky. Wenn er nur bei null - ohne Gewinn - rauskommen wolle, müsse ihm die IKK Classic also diese rund 30 Euro erstatten. Die neuen Vertragskonditionen sähen das jedoch nicht vor. Es bleibe eine Differenz von etwa 7 Euro. Viele Produkte von neuen Vertragspreisen betroffen Bei diesem einen Produkt bleibe es außerdem nicht. Denn: Auch bei vielen anderen Hilfsmitteln sehe die IKK Classic für die Apotheken nur noch geringere Vertragspreise vor, sagt Tina Lopes de Sousa, die Kosmikys &bdquo;Sonnen-Apotheke“ in Enger leitet. Betroffen seien zum Beispiel auch Milchpumpen für Mütter, Kompressionsstrümpfe, Mehrfach-Insulin-Pens, Blutdruckmessgeräte, Inhalatoren, Blutzuckermessgeräte mit Lanzetten und weitere Produkte. Leistungen, die der bisherige Vertrag zwischen der IKK Classic und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) enthalten habe, &bdquo;wurden durch die Bank gekürzt, bis zu 30 Prozent. Für die Apotheken rechnet sich das nicht mehr, wir müssten drauflegen“, kritisiert Jens Kosmiky. Vor dem 1. Juli hätten sie zum Beispiel für Lanzetten, die für die Blutzucker-Messung nötig sind, 12 Cent pro Stück netto mit der IKK Classic abrechnen dürfen. &bdquo;Jetzt sind wir bei 8 Cent.“ Für Blutdruckmessgeräte seien die Vertragspreise von 35 Euro netto auf jetzt 28,90 Euro gekürzt worden, für Vernebler von 104 Euro auf jetzt 89,50 Euro. Die Differenz auf die Versicherten der IKK Classic umzulegen, sieht Kosmiky kritisch: &bdquo;Die Mehrkosten selbst tragen, das kann vielleicht nicht jeder. Das geht für den Patienten schlecht aus.“ Das sagt die Krankenkasse IKK Classic Im Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe hat die IKK Classic nach eigenen Angaben rund 730.000 Versicherte, deutschlandweit gut 2,9 Millionen. Die Krankenkasse betont, sie fordere &bdquo;keine Dumpingpreise, im Gegenteil: Wir bezahlen Apotheken exakt dieselben Beträge, die auch mit Sanitätshäusern und Homecare-Unternehmen vereinbart wurden“. Es gehe &bdquo;um Gleichbehandlung, nicht um Schlechterstellung“. Darum zahle die IKK Classic &bdquo;keine höheren Beträge als bei anderen Leistungserbringern“. &bdquo;Auch wenn es eine ’Gleichbehandlung’ sein sollte - trotzdem läuft es auf eine nicht-patientengerechte Versorgung hinaus, weil der Patient die Zeche zahlt und wohl die Differenz ausgleichen muss“, sagt dagegen Apotheker Jens Kosmiky. &bdquo;Hilfsmittelversorgung bleibt gesichert“ Die IKK Classic betont, die Hilfsmittelversorgung für ihre Versicherten bleibe gesichert, von der aktuellen Veränderung seien nur etwa 2,5 Prozent der Versicherten &bdquo;möglicherweise“ betroffen. &bdquo;Es geht dabei ausschließlich um bestimmte Hilfsmittel, die Apotheken abgeben dürfen.“ Arzneimittel, Teststreifen, Pflegehilfsmittel, Trinknahrung sowie Hilfsmittel aus Sanitätshäusern oder Homecare-Unternehmen seien beispielsweise nicht betroffen. Viele Apotheken würden auch weiterhin über neue Verträge versorgen. Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Hans-Peter Hubmann, teilt auf NW-Anfrage mit: &bdquo;Alle Verhandlungen und Angebote über eine Weiterführung des Vertrages endeten ohne eine tragfähige Einigung. Die von der IKK Classic neu angebotenen Konditionen ermöglichen schlichtweg keine wirtschaftliche Versorgung. Apotheken sollen mit pauschalen Vergütungen abgegolten werden, die in vielen Fällen nicht einmal die Selbstkosten der Apothekenbetriebe decken.“ Auch interessant: Größte Krankenkasse in OWL warnt: Betrüger wollen Daten abgreifen Zum Argument der &bdquo;Gleichbehandlung“ schreibt Hubmann: Dieses Argument lasse &bdquo;grundlegende Unterschiede in Struktur, Aufwand und Versorgungsauftrag der einzelnen Leistungserbringer außen vor“. Apotheken würden die Versorgung &bdquo;niedrigschwellig, wohnortnah und oft auch außerhalb regulärer Öffnungszeiten“ erbringen. &bdquo;Eine Gleichbehandlung in der Vergütung bei ungleichen Bedingungen ist deshalb weder fair noch sachgerecht. Leider entstehen durch das Verhalten der Krankenkasse nun längere Wege (...) für viele Versicherte.“ Der AVWL-Vorstandsvorsitzende Thomas Rochell fürchtet zudem, dass weitere Krankenkassen dem Beispiel der IKK Classic bei der Hilfsmittelversorgung folgen könnten - &bdquo;zu Lasten der eigenen Versicherten und deren Apotheken“. Weiterer Weg Auch die Häbels sind verärgert über ihre Krankenkasse: &bdquo;Ich dachte, die wollen mich auf die Rolle nehmen“, sagt Fred Häbel. Die IKK Classic habe ihnen nach einem Telefonat eine Liste geschickt, welche Apotheken in der Region sie mit den benötigten Hilfsmitteln versorgen könnten. Konsequenz für die beiden Rentner aus Enger wäre gewesen: Sie hätten bis nach Herford fahren müssen, um an die Nadeln für den Insulin-Pen zu kommen und dort dann gegebenenfalls auch noch eine Zuzahlung leisten müssen. Inzwischen haben sie sich für einen einfacheren Weg entschieden: Sie lassen sich die Hilfsmittel von einem Pharma-Handelsunternehmen schicken.

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