Wie eine ukrainische Familie die Weihnachtszeit in Enger verbringt

Enger. Sergei und Katerina haben schon den Weihnachtsbaum im Schlafzimmer aufgestellt. In der Ukraine haben sie als orthodoxe Christen Weihnachten erst am 6. Januar gefeiert. Doch dieses Jahr sind sie mit ihren sechs Kindern nach Deutschland geflohen. Die Kinder gehen hier schon zur Schule, sie haben die Weihnachtsmärkte in Bielefeld und Herford besucht. "Wir wollen da ein bisschen mitmachen", sagt Sergei über die deutschen Traditionen. Für den Besuch der NW hat die älteste Tochter Eva ein traditionelles Gericht vorbereitet, das an Weihnachten bei ukrainischen Familien nicht fehlen darf. Kutja ist eine Art Kompott mit gekochtem Buchweizen, Nüssen, Honig, Mohn und getrockneten Früchten. An den kleinen runden Küchentisch passt kaum die Hälfte aller Familienmitglieder zum Essen, die Kinder wuseln zwischen Küche und Schlafzimmer hin und her. Katerina schenkt schwarzen Tee ein und wiegt Milana auf dem Arm, die viel weint. Sie zahnt gerade. Am 14. Februar wurde die Jüngste der Familie geboren, zwölf Tage, bevor der Krieg begann. Zwei Wochen später hat sich die achtköpfige Familie im Auto auf den Weg nach Deutschland gemacht. Beim Raketenalarm in die Tiefgarage Die Familie lebte in Odessa, der Hafenstadt am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine. Sergei ist ein Ex-Fußballprofi, er hat unter anderem für FC Odessa, Arsenal Kiew und Metalurh Donezsk gespielt. Katerina hat sich um die sechs Kinder gekümmert und nebenbei ein Psychologie- und Lehramtsstudium abgeschlossen. Gleich zu Kriegsbeginn sei die nahe Odessa gelegene Schlangeninsel beschossen worden, es habe überall Militär gegeben, der Raketenalarm sei regelmäßig losgegangen, sagt Andri Labenok, der beim Besuch der NW für die befreundete Familie übersetzt. Katerina erinnert sich, dass die Kinder unruhig waren, ihre zehnjährige Tochter Maria sei bei dem Sirenengeheul weinend zusammengebrochen. "Odessa hat ein Luftabwehrsystem. Aber nicht alle Raketen können abgefangen werden. Und man hört es auch, wenn die Raketen über dem Meer abgeschossen werden", erklärt Andri Labenok. Katerina erzählt, dass die Kinder immer mit ihrer normalen Kleidung ins Bett gegangen seien, und bei einem Raketenalarm seien alle in die Tiefgarage geflohen. "Es war nicht mehr ungefährlich, in der Ukraine zu bleiben", sagt Sergei über den Entschluss zu fliehen. Mit wenig mehr als der Kleidung am Körper und ihren Papieren macht sich die Familie im Auto auf den Weg nach Deutschland. Ihre dreitägige Reise führt sie über Moldawien und Rumänien nach Ungarn, wo Andri Labenok bereits auf sie wartet. Er und Sergei sind Kindheitsfreunde, die in Sumy, einer nordukrainischen Stadt nahe der russischen Grenze aufgewachsen sind. Andri lebt seit mehr als 25 Jahren in Deutschland und hat seinen Freunden Unterstützung versprochen. Die Grenzkontrollen seien unproblematisch gewesen, sagt Sergei. Es sei vor allem problematisch gewesen, mit sieben Personen und einem Neugeborenen für drei Tage auf so engem Raum zu sein. Katerina sagt, sie habe ständig nur gefragt "Sind wir jetzt in Sicherheit?" In der Ukraine feiern die Menschen am 6. Januar Am 6. Januar laufen die Kinder in der Ukraine traditionell von Haus zu Haus und singen Lieder. Dann bekommen sie Süßes und kleine Geschenke. Maria, pinke Bluse, das Haar weißblond, singt ein solches Lied nun am Küchentisch in der neuen Wohnung in Enger vor. Applaus, Katerina lächelt stolz. Sie seien keine sehr religiöse Familie, aber die großen Feiertage halten sie ein. Am Abend des 6. Januar haben sie in der Ukraine immer festlich gegessen, die Kinder beschenkt und am nächsten Tag noch einmal mit der Familie zusammen gesessen, manchmal gegrillt, sagt Sergei. Doch ihre Eltern werden sie diese Weihnachten nicht sehen. Die sind in der Ukraine geblieben und nicht zur Flucht zu überreden. "Es ist eine schwere Reise für sie, und sie wollen ihr Eigentum nicht zurücklassen", sagt Sergei. Sie versuchen, den Kontakt zu halten, aber es sei schwierig wegen der zerstörten Infrastruktur. Die Heimatstadt seiner Eltern, Sumy, liege nur 50 Kilometer Luftlinie von der russischen Grenze im Norden entfernt. Die Dörfer und Städte in der Gegend werden ständig beschossen. "Es ist schwierig, das aus der Entfernung zu realisieren", sagt Sergei. Er denke jeden Tag darüber nach, warum das passiert ist. "Ich hätte mir das nie vorstellen können", sagt er. Doch sie wollen jetzt in Deutschland bleiben, auch falls der Krieg bald zu Ende gehen sollte. "Wir wollen unseren Lebensmittelpunkt hier aufbauen", sagt Sergei. Er und Katerina bedanken sich mehrmals dafür, so gut aufgenommen worden zu sein.

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