Schicksale: Diese Engeraner wurden Opfer der Nazi-Herrschaft

Enger. Es sind acht besondere Steine, die an verschiedenen Stellen im Zentrum von Enger ins Pflaster eingelassen sind: Fünf dieser Steine sind an der Steinstraße unterhalb des Hauses von Juwelier Schierholz, zwei an der Werther Straße 6, einer vor dem Haus des heutigen Geschäfts Althoff an der Bahnhofstraße zu finden. Sie sollen erinnern an das Schicksal jener acht jüdischen Menschen aus Enger, die Opfer des nationalsozialistischen Terrors wurden. Damit ihr Schicksal nicht in Vergessenheit gerät, ist jedem von ihnen ein sogenannter Stolperstein gewidmet. Normalerweise glänzen die Steine messingfarben und sind weithin sichtbar. Die Zeit jedoch hat ihren Glanz verblassen lassen. Die Mitglieder des "Engeraner Manifests" wollen das ändern und die Stolpersteine an diesem Freitag, 2. September, putzen und der Opfer gedenken. Doch wer waren diese acht jüdischen Menschen aus Enger, an die die Steine erinnern sollen, was war ihr Schicksal? Max und Adele Spanier Dort, wo heute die Brillenabteilung von Juwelier Schierholz ist, stand früher das Haus des Ehepaares Max und Adele Spanier. Bis Ende der 30er Jahre konnten sich die beiden nicht zur Emigration entschließen, als sie sich Anfang 1941 doch noch um eine Auswanderungserlaubnis bemühten, erteilten die deutschen Behörden diese nicht mehr. Am 31. Juli 1942 wurden sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Max Spanier hatte sich mit dieser Deportation bereits aufgegeben, hatte keinen Lebensmut mehr. An Heiligabend 1944 starb er in Theresienstadt - er verhungerte. Seine Frau Adele Spanier überlebte. Ihre Söhne hätten später erzählt, sie habe sich an nur einen Wunsch geklammert: noch einmal ihre Kinder zu sehen, sagt Angelika Tiemann. Die Historikerin aus Enger beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der juristischen Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen und seit Jahren auch mit der Geschichte der jüdischen Menschen aus Enger. Durch eine Initiative des Internationalen Roten Kreuzes habe Adele Spanier am 5. Februar 1945 in die Schweiz ausreisen dürfen, als eine von rund 1.000 Menschen. Nachdem sie dort lange in einem Sanatorium war, wanderte sie nach dem Krieg nach Richmond im US-Bundesstaat Virgina aus, wo zwei ihrer Kinder lebten. Dort starb sie 1957 im Alter von 76 Jahren. Helene, Jonas und Ludwig Lehmann de Vries, Bertha Marx Von 1940 bis 1942 lebte das Ehepaar Helene und Jonas de Vries mit ihrem Sohn Ludwig Lehmann in einer Wohnung im Haus von Max Spanier am Kirchplatz. Für knapp drei Monate wohnte 1940 auch ihr Sohn Hugo bei ihnen. Die jüdische Familie kam ursprünglich aus Leer in Ostfriesland, war von dort jedoch vertrieben worden, weil Ostfriesland judenfrei werden sollte. Als erster sei Ludwig Lehmann de Vries am 31. März 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert worden, wo er am 1. April ankam, sagt Angelika Tiemann. Sein genaues Schicksal dort sei unbekannt. Überlebende der Familie hätten später berichtet, Gerüchten nach habe er sich dort der jüdischen Kampforganisation angeschlossen, sei jedoch erwischt und umgebracht worden. Helene und Jonas de Vries wurden am 31. Juli 1942 zunächst ins Ghetto Theresienstadt deportiert, zusammen mit dem Ehepaar Spanier und der Jüdin Bertha Marx, die an der Bahnhofstraße in Enger wohnte, im ursprünglichen Haus von Adolf und Amalie Spanier. Mit dem ersten Mai-Transport, am 15. Mai 1944, wurde das Ehepaar de Vries, mit dem dritten Mai-Transport drei Tage später schließlich auch Bertha Marx ins Familienlager Theresienstadt gebracht. Das Lager war eine Besonderheit innerhalb des KZs Auschwitz-Birkenau. Es existierte von Anfang September 1943 bis Juli 1944. Hier gab es keine Eingangsselektion. "Jeder, der das Lager erreichte, kam auch ins Lager", sagt Angelika Tiemann und zitiert damit Dokumente. Es wurde also nicht sofort selektiert, wer direkt in den Tod geschickt wurde. In dem Familienlager durften sich die Häftlinge familienweise untereinander sehen, ihre eigene Kleidung behalten und auch Post empfangen und schreiben. Allerdings gebe es bis jetzt keine schriftlichen Lebenszeichen von Ehepaar de Vries oder von Bertha Marx aus dieser Zeit. "Man kann also nicht genau sagen, wann sie ihr Leben verloren haben." Das spätestmögliche Todesdatum sei jedoch der 10., 11. oder 12 Juli 1944. "Da wurde das Familienlager Theresienstadt aufgelöst." Einige Häftlinge unter 50, die noch Zwangsarbeit verrichten konnten, seien selektiert, die anderen in die Gaskammern geschickt worden. Darunter möglicherweise auch das Ehepaar de Vries und Bertha Marx aus Enger, die alle drei über 50 waren. Es sei allerdings nicht bekannt, ob sie überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch gelebt hätten, sagt Angelika Tiemann. Hugo de Vries, der zweite Sohn der Familie, lebte 1940 kurzzeitig bei seinen Eltern in Enger, ging dann nach Berlin, um seine Auswanderung vorzubereiten - zu der es aber nie kam. Im März 1943 wurde er nach Auschwitz III deportiert und dort ermordet. Seiner wird in Potsdam gedacht. Josef und Ernst van Pels Zwei weitere Stolpersteine gibt es an der Werther Straße 6. Sie erinnern an das Schicksal von Josef van Pels und dessen Sohn Ernst. Josef van Pels lebte seit etwa 1900 mit seiner Frau Sophie in Enger. Das Paar hatte drei Kinder. Die Schikanen gegen Josef van Pels begannen früh, schon im Jahr 1933 - nur einige Monate nach der Machtergreifung Hitlers. Er war Gründungsmitglied der "Freiwilligen Sanitätskolonne" des Deutschen Roten Kreuzes in Enger. Im Sommer 1933 jedoch bekam er vom Roten Kreuz die Aufforderung, sich als Mitglied der Sanitätskolonne abzumelden und sich als einfaches Mitglied ohne jede Rechte wieder anzumelden, sagt Angelika Tiemann. Denn als Jude habe er dort nicht mitarbeiten dürfen. Es war ein schwerer Schlag, eine große Demütigung für ihn. Als Josef van Pels krank wurde, kam er - mit Unterbrechung - in die Heilanstalt Gütersloh. Er wurde schließlich eines der vielen Opfer der sogenannten T4-Aktion. Darunter versteht man den systematischen Massenmord an mehr als 70.000 Menschen mit körperlichen, geistigen und seelischen Behinderungen in Deutschland von 1940 bis 1941 unter Leitung der Zentraldienststelle T4. Im Rahmen der Aktion wurde er am 21. September 1940 gemeinsam mit anderen Patienten in die Heilanstalt Wunstorf verlegt. Es habe dort strikte Anweisung gegeben, wie die Menschen dort unterzubringen seien: nicht in der Heilanstalt selbst, sondern in einer alten Pferdebarracke, unter einfachsten Bedingungen, gehalten wie Vieh. Weil Josef van Pels aber bereits so schwach und krank war, blieb ihm diese Unterbringung erspart, er kam in die Klinik. Dort starb er am 22. September 1940. Sein Sohn Ernst van Pels, der 1907 in Enger geboren wurde, hatte eine Nicht-Jüdin geheiratet. Ihre Kinder wurden evangelisch erzogen. "Er hätte also durchaus Chancen gehabt, zu überleben", sagt Angelika Tiemann. Den Nazis allerdings sei er "ein Dorn im Auge" gewesen, weil er im Verdacht gestanden habe, eine linke Einstellung zu haben. Besuche in Besenkamp bei einer Freundin aus Kindertagen wurden ihm schließlich zum Verhängnis: Bürger aus Besenkamp denunzierten ihn im Herbst 1943. Er und seine Bekannte, die keine Jüdin war, kamen in Bielefeld zunächst monatelang in Gestapo-Haft. Schließlich wurden beide in Konzentrationslager deportiert: seine Bekannte nach Ravensbrück, Ernst van Pels nach Auschwitz. Am 12. Mai 1944 kam er in dem Vernichtungslager an. Seine Familie durfte er bei seiner Ankunft per Postkarte unterrichten. Die Nachricht sollte das letzte Lebenszeichen sein, was sie von ihm erhielt. Ernst van Pels war einer der vielen Tausend KZ-Häftlinge, die ab 18. Januar 1945 von Auschwitz aus auf die berüchtigten Todesmärsche Richtung Westen gehen mussten. Der Grund: Die Alliierten rückten näher, das Lager wurde geräumt. Mitten im tiefsten Winter durften die Menschen dabei nichts als ihre dünne Häftlingskleidung tragen. Nach vier Wochen, am 10. Februar 1945, erreichte die Gruppe um Ernst van Pels das KZ Buchenwald. Dort starb er vier Wochen später. Er wurde tot auf seiner Pritsche gefunden. "Die genauen Umstände sind derzeit nicht bekannt", sagt Tiemann. Seine Bekannte aus Besenkamp, die nach Ravensbrück deportiert wurde, überlebte das Konzentrationslager und wurde am 5. Mai 1945 befreit.

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