Schock-Fund in Bünde: Die schlimmste Erfahrung der Müllwerker macht sprachlos

Bünde. Morgens um 9.30 Uhr soll es losgehen. Als ich mit dem weiß-roten NW-Dienstwagen in die Bauhofeinfahrt tuckere, sehe ich zwischen parkenden Transportern eine Männerrunde. Maurerfrühstück – Kippe, Kaffee und die nasskalte Luft eines Novembermorgens. Viele würden sich unter diesen Umständen lieber im Bett verkriechen oder im beheizten Büro sitzen – als ich auf die Herren zusteuere, sind ihre Gesichter aber von Neugier und Vorfreude gezeichnet. Gerade werden die Sichtungen der letzten Woche besprochen; zu jedem Fund gibt es ein ausgedrucktes Foto. Ich sehe einen Kühlschrank, viele Säcke und Autoreifen. Ich stelle mich als Mitarbeiter der NW vor. Leichte Skepsis macht sich breit. Schreiben und Schleppen sind eben häufig andere Welten. Dennoch werde ich freundlich begrüßt. &bdquo;Was darf ich denn mit euch heute schleppen?“, frage ich in die Runde. Die Gesichter der in Neonfarben gekleideten Arbeiter Mario Dethloff und Sergej Schukowsky erhellen sich und zeigen nun ein schelmisches Grinsen. Mit den beiden werde ich gleich mitfahren, wird mir in der versammelten Runde erklärt. Nach meiner Frage beginnt eine rege Diskussion, inwiefern denn außergewöhnliche Sachen abzuholen sind. &bdquo;Na ja, Autoreifen und ein Kühlschrank sind irgendwie alltäglich“, meint Dethloff. Sein Kollege hält dagegen: &bdquo;Bei diesen Mengen an Säcken wissen wir doch nie, was sich darin verbirgt. Der Hänger wird in jedem Fall voll – der Junge wird was zu tun haben.“ Rentner sammelt wilden Müll: Volle Erwachsenen-Windeln müffeln in der Sonne von Kirchlengern Bünder Bauhofmitarbeiter finden misshandelten Schäferhund Was denn nicht alltäglich sei, frage ich. Damit geht das Gedankenkarussell los: Laut denkend gehen die beiden ihre Erinnerungen seit Dethloffs Arbeitsbeginn 2001 durch. Bereits die ersten drei Anekdoten stoßen auf meinen Magen: &bdquo;Im Sommer entdecken wir regelmäßig Fisch- und Schlachtreste in der prallen Sonne. Da würde ich eigentlich schon von lebendigen Leichen sprechen – bei so vielen Würmern und Gestank ist da wieder viel Leben drin.“ Einmalig war für die beiden vor zwei bis drei Monaten ein aus Versehen ausgelaufener Kanister mit fünf Litern Altöl in Ahle. &bdquo;Da mussten wir wirklichen einen kompletten Bodenaustausch vornehmen“, sagt Schukowsky. Ich sehe ihm einen kindlichen Stolz, so etwas mal gemacht zu haben, an. Dennoch schaut er mich kurz darauf vielsagend an: Für die Umwelt war das kein Festtag. Wirklich anders sei Ihnen im Frühjahr 2025 geworden, als sie am Doberg den aufgehängten Leichnam eines Schäferhundes fanden. Dennoch finde ich, dass die beiden auch dieses schlimme Erlebnis mit einer gewissen Routine erzählen. Unweigerlich schießt mir die Bezeichnung der &bdquo;Banalität des Bösen“ Hannah Arendts in den Kopf. Sicherlich vermessen, weil es bei ihr um eine nüchterne Beschreibung des Nationalsozialismus ging – aber dass Menschen, die mitten unter uns leben, ein Tier so misshandeln, schafft Parallelen. Ich zolle den beiden innerlich meinen Respekt, dass sie damit arbeiten können. Ein wenig besorgt, wie sie damit innerlich umgehen, bin ich allerdings auch. Wenig später sollte mich eine Aussage Dethloffs beruhigen. Lesen Sie auch: Riesiger Haufen entsorgter Erdbeeren gammelt in Kirchlengern vor sich hin Auf der Suche nach den Bünder Müllsündern Nach dem Kennenlernen geht es wenig später – mit einer Warnweste ausgestattet – los. Der Transporter vorweg, brumme ich im weiß-roten NW-Auto hinterher. Nach wenigen Minuten Fahrt haben wir den Stempeldiek erreicht. Ich halte gespannt Ausschau, was mich hier zum Anpacken erwartet. Am rechten Straßenrand sehe ich einige Plastiksäcke und reibe mir am Steuer die Hände. Eilig steige ich aus und frage nach Handschuhen – diese Überraschungspakete werde ich mir nicht entgehen lassen. Beeindruckt schauen mich die Männer an. Dethloff hat die Kameraführung übernommen – eine Reportage braucht schließlich Bilder. Allerdings liegt nun auch meine Hoffnung auf gute Bilder in seinen Händen. Enthusiastisch packe ich mir den ersten Sack und öffne ihn leicht. &bdquo;Gucken kannst du später auf dem Hänger – schmeiß’ den Sack erst einmal rauf.“ Gesagt, getan. Wenig später starten wir unsere eigene kleine Bescherung. &bdquo;Hast du ’ne Freundin?“, fragt er schließlich und zeigt mir ein nach einem Waschgang sicherlich tragbares, wenn auch sehr altmodisches Kleid. In diesem Moment bin ich dann doch froh, ledig zu sein. Die Nachbetrachtung hat aber auch einen Grund: Wenn Namen oder Adressen gefunden werden, können Täter möglicherweise identifiziert werden. &bdquo;Dann wird es teuer“, sagen beide. Aufgewendete Arbeitszeit, Fahrzeugkosten und die Geldstrafe an sich sind nur ein Teil der zu erwartenden Gesamtstrafe. Die gesamte Ausbeute an diesem Ort enttäuscht mich etwas. Hauptsächlich Kleidungsstücke, vermengt mit Grünabfall. Dass die Hose jetzt auch dreckig ist, war zu erwarten. Illegaler Grünschnitt: Gartenabfälle im Bünder Naturschutzgebiet: So teuer kann das für Müllsünder werden Bünder Bauhofmitarbeiter lieben ihren Beruf Es geht weiter. Die Handschuhe soll ich direkt behalten. Dreimal sind Autoreifen aus der Natur zu holen. An der Südholzstraße gibt es dann ein vorweihnachtliches Journalistengeschenk. Ein Kegel, bei dem wir lange rätseln, ob es denn ein Hut oder eine Lampe ist, liegt etwas abseits im Wald. Jetzt sehe ich, dass die beiden ihren Job mit Freude machen: Nachdem die Hutlampe eigentlich schon verstaut wurde, wollen die beiden sich das Fundstück gegenseitig auf den Kopf setzen. Lachend posieren beide anschließend für ein Foto. &bdquo;Ich liebe meinen Beruf“, sagt mir Dethloff ein wenig rührselig. &bdquo;Ich bin immer an der frischen Luft, habe stets etwas Neues zu tun und das mit dem besten Kollegen, den es geben kann.“ Seit Schukowsky am 16. Dezember 2016 seinen Dienst auf dem Bauhof aufnahm, fahren die beiden fast jede Woche auf der Suche nach wildem Müll durch Bünde. Aber auch bei Straßenschildern oder -schäden ist das Team am Start. Diese Worte beruhigen mich angesichts ihrer Erlebnisse. Wieder geht es weiter. Am Surensiekweg liegt eine halbe Küche auf der Straße. Als ich die Herdplatte bemerke, bin ich nicht mehr zu halten. &bdquo;Das schaffst du doch niemals alleine. Pass auf deinen Rücken auf.“ Aber da posiere ich bereits für das Foto. Mit einem Lächeln zeigt Mario Dethloff seine fotografischen Künste. &bdquo;Jungs, schaut mal her: Die haben es mit der Kücheneinrichtung wirklich ernst gemeint“, ruft von der anderen Seite des Transporters Schukowsky und präsentiert einen vollständigen, wenn auch eiskalten Döner. Die Cocktailsoße tropft immer noch auf die Straße. Sachen, gibt es, denke ich. Ich habe ein Lächeln auf dem Gesicht, als ich auf die sonnig-kalte Skyline von Bünde zum Redaktionswagen blicke. Wilder Müll: Umweltfrevler verursachen in Bünde jährlich hohe Kosten Die Bünder Müllwiese in Randringhausen Und wieder tuckert der NW-Wagen. Wir halten am Osterkamp. Auf dem Gehweg liegt ein Kühlschrank. &bdquo;Viele hoffen, dass Schrotthändler die abholen. Aber anders als bei Waschmaschinen ist in einem Kühlschrank sehr viel Chemie – deswegen bleiben die liegen.“ Jetzt ist sich der Journalist mal zu schade und fängt schlicht mit der Kamera ein, wie Dethloff und Schukowky irgendwie das Gerät auf den Hänger bugsieren. Am Ende hat das Duo in Orange noch eine Überraschung für mich: Hinter einem verlassenen Gebäudekomplex in Randringhausen verberge sich eine ganze Müllwiese. Mein Journalistenherz schlägt höher. Auf dem Parkplatz davor liegt auch einiges herum. Nur für Letzteres sind beide zuständig – die Müllwiese sei Privatgelände, sodass sie da nicht anfangen dürfen. Aber auch schon der Parkplatz ist eine Kleingeldgrube. Schukowky zeigt mir eine Handvoll Pfandflaschen. &bdquo;Manchen Leuten geht es einfach zu gut. Einmal haben wir einen fertig abgepackten Pfandflaschensack gefunden.“ Während er mir das sagt, beobachten wir, wie sich der völlig verdorbene braun-orange Inhalt einer Fantaflasche hin und her bewegt. Während die beiden ihre wohlverdiente Maurerpause machen, verabschiede ich mich und gehe für weitere Aufnahmen wieder zur Müllwiese. Ich sehe, wie offenbar ein Baum direkt vor den Weg gelegt wurde, damit nicht noch mehr Müll abgeladen werden kann. Traurig, wie manche die Welt nur als riesige Müllhalde begreifen. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford

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