Bünder Ärztin: „Wir müssen unsere eigene Lebensgrundlage retten“

Frau Fiedler, das Ärztenetzwerk MuM hat in Kooperation mit der Stadt Bünde jetzt eine Klima-Aktion mit dem Schwerpunkt Hitze gestartet. Warum? Was hat Gesundheit mit dem Klima zu tun? Die Gesundheit der Bevölkerung ist zunehmend durch den Klimawandel bedroht – insbesondere durch häufigere und intensivere Hitzeperioden. Als regionales Ärztenetz wollen wir unsere Verantwortung wahrnehmen und aufklären, sensibilisieren und konkrete Schutzmaßnahmen fördern. Dazu kommt, dass die Menschen immer älter werden, und im Alter wird es schwieriger mit dem Trinken, was wiederum bei Wärme besonders wichtig ist. Aber auch die generellen Belastungen für das Herz-Kreislauf-System, durch verstärkten Pollenflug oder auch durch mehr Krankheitserreger kommen bei Hitze hinzu. Welche gesundheitlichen Folgen können extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen konkret haben? Erst einmal reicht schon ein Blick auf die Zahlen: In den Sommern 2023 und 2024 ist es in Deutschland zu jeweils rund 3.000 hitzebedingten Todesfällen gekommen. Besonders betroffen sind ältere Menschen über 75 Jahre und Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Lungenleiden oder auch Demenz. Wenn die Temperatur steigt, müssen zum Beispiel auch Krankheiten zum Teil anders behandelt werden. In Italien ist es beispielsweise schon gängige Praxis, dass Blutdruck-Medikationen angepasst werden in Hitzeperioden. Darüber müssen wir hier bei uns auch nachdenken. Natürlich sollte so etwas immer nur in enger Absprache mit dem behandelnden Arzt passieren. Aber es ist Zeit, dass wir für diese Themen sensibilisieren. Welche gesundheitlichen Probleme können sich durch Hitze oder andere Umweltbelastungen verstärken? Da gibt es einige: zum Beispiel Allergien, Asthma, Hauterkrankungen, die durch Schweißbildung schlimmer werden. Grundsätzlich gilt das Risiko für alle Arten von chronischen Erkrankungen. Lesen Sie auch: Junge Ärztin verstärkt Bünder Praxis Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um die Gesundheit der Menschen vorm Klimawandel zu schützen? Aufklärung ist grundsätzlich erst einmal das Wichtigste. Und dass die Menschen begreifen, dass es hier nicht darum geht, das Klima oder die Welt zu retten, sondern vielmehr die eigene Lebensgrundlage. Wenn Hitzeperioden da sind, sollten wir darauf Rücksicht nehmen, dass sie da sind, unseren Lebenswandel daran anpassen und zum Beispiel nicht gerade in der Mittagssonne den Garten umgraben. Außerdem gilt es, Maßnahmen zu treffen, die dafür sorgen, dass es in den Städten vielleicht nicht so heiß wird. Der Schwellenwert für Hitzebelastung liegt bei einer Wochenmitteltemperatur von circa 20 Grad – in Städten wie Bünde steigt das Risiko durch den sogenannten Hitzeinseleffekt zusätzlich. Das heißt, dass durch versiegelte Flächen die Sonneneinstrahlung absorbiert und die Umgebung zusätzlich aufgeheizt wird. Angesichts zunehmender gesundheitlicher Belastungen durch den Klimawandel stehen auch Kommunen wie Bünde vor der Herausforderung, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen. Auch Bünde muss sich hier also rechtzeitig wappnen. Wir haben jetzt über physische Effekte gesprochen. Beeinflusst der Klimawandel auch das psychische Wohlbefinden der Menschen? Hier ist vor allem in der jüngeren Generation häufig von Klima-Angst die Rede. In Anbetracht der Bedrohung durch extreme Klimaereignisse fühlen sich vor allem jüngere Menschen nicht selten ausgeliefert und machtlos, denn alleine etwas dagegen zu tun, erscheint sinnlos. Und gerade länger anhaltende Hitze macht mürbe: Durch hohe Nachttemperaturen können viele Menschen nicht so gut schlafen. Das alles wirkt sich auch auf die Psyche der Menschen aus. Gibt es die Möglichkeit, dass Gesundheitsbehörden und Umweltorganisationen stärker zusammenarbeiten, um die Gesundheit der Menschen und ihre Lebensgrundlage zu verbessern? Das passiert schon. Ein Beispiel ist die Arbeit der Klima-Docs, einem Zusammenschluss von Medizinern, die sich gemeinsam mit Umweltorganisationen Gedanken darüber machen, wie Klima und Gesundheit unter einen Hut zu bringen sind. Auch in der Ausbildung, im Medizinstudium gibt es bereits Schwerpunkt-Vorlesungen zu diesem Thema. Viele Mediziner sind sich einig, dass die Klimaerwärmung eine der größten Herausforderungen – auch für die Medizin – ist. Lesen Sie auch: So steht es um die Hausarztversorgung im Bünder Land Welche politischen Maßnahmen – auch auf kommunaler Ebene – sind erforderlich? Wir arbeiten hier in Bünde bereits mit der Stadt, vor allem mit dem Klimaschutzmanager Uwe Pöppelmann, zusammen und legen dabei den Fokus jetzt verstärkt auf Hitzeschutzmaßnahmen, gesundheitliche Aufklärung und Anpassung. Städte müssen darüber hinaus dringend umgebaut werden, damit sie keine Hitzeinseln werden – dafür braucht es ausreichend freie Fläche, Bäume und eben möglichst wenig versiegelte Flächen. Auch darauf, dass es schattige Plätze als Rückzugs- und Schutzort gibt, sollte geachtet werden. Bei Neubaugebieten sollten verstärkt sogenannte Kälteschneisen – also Schneisen, durch die der Wind für Abkühlung sorgen kann – berücksichtigt werden. Das ist eine Aufgabe der Städteplanung. Welche Rolle spielen die Patientinnen und Patienten? Eine ganz entscheidende Rolle. Schließlich haben Patientinnen und Patienten unterm Strich selbst die Verantwortung für die eigene Gesundheit. Sie sollten in diesem Zusammenhang eine Hitzesensibilität entwickeln, denn wir sind alle selbst für uns zuständig und müssen darauf achten, dass wir uns in solchen Phasen hitzekonform verhalten. Das Problem ist, dass wir Dinge, die wir uns nicht vorstellen können, oft einfach ausblenden. So kommt es zum Beispiel immer wieder dazu, dass Menschen bei Hochwasser in ihrem eigenen Keller ertrinken, weil sie noch Dinge retten wollen und die Gefahr unterschätzen. Uns muss klar sein: Wir müssen uns um das Klima kümmern – nicht um die Welt zu retten, sondern um uns und unsere Lebensgrundlage zu retten. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford

Meistgelesen