100 Jahre Frühjahrsrennen: als die Bünder Wiehenstraße noch offiziell eine Rennstrecke war

Bünde. Es heißt, dass bereits 1894 auf einer 126 Kilometer messenden Strecke zwischen Paris und Rouen mit einem &bdquo;Wettbewerb für pferdelose Wagen mit mechanischem Antrieb“ das erste Rennen der Kraftfahrzeuggeschichte stattgefunden hat. Es gibt zwar keine Überlieferung, ob in dieser Zeit in Bünde überhaupt schon ein Automobil beheimatet war, aber, selbst wenn, so ein motorisierter Wettstreit war in der westfälischen Provinz bestimmt noch kein Thema. Erst im Jahre 1901 ist ein erstes Rennen belegt, das auf der Strecke Paris-Berlin ausgetragen wurde und auch mitten durch die Herforder Innenstadt führte. In etwa zu dieser Zeit hatten aber auch die Bünder schon &bdquo;Blut geleckt“, wie eine kurze – im Jahre 1903 in der &bdquo;Automobil-Welt“ veröffentlichte – Erwähnung belegt. Darin heißt es, dass die Zigarrenstadt kaum mehr als 5.000 Einwohner zählt, dabei aber sieben Automobile und etwa ein Dutzend Motorräder vorweisen kann. Eine &bdquo;Verkehrsdichte“, die selbst die Kreisstadt übertraf und vermutlich direkt auf die im Innenstadtbereich zahlreich beheimateten Zigarrenfabrikanten zurückzuführen ist. Leider scheinen keine Statistiken erhalten, die die Anzahl der Kraftfahrzeuge in Bünde in jenen Jahren dokumentieren, aber es waren augenscheinlich genug, um sportliche Vergleichsfahrten austragen zu können. So hat zumindest schon im Jahre 1924 ein solches Rennen stattgefunden, bei dem allerdings zugegebenermaßen auch eine ganze Reihe Teilnehmer von außerhalb an den Start gingen. Genau wie beim &bdquo;Bünder Frühjahrsrennen“ im Folgejahr, das exakt vor einem Jahrhundert, also am 3. Mai 1925 ausgetragen wurde. So beschreibt es ein im Original erhaltenes &bdquo;Renn-Programm“, das im Besitz des Hiddenhausers Hans Schneider die Zeiten überdauert hat. Lesen Sie auch: Exot auf Ostwestfalens Straßen: Bünder Schrauber hält 37 Jahre alten Nissan Laurel in Schuss Programmheft auch damals schon mit Werbung gefüllt Zwar sind die rund 50 Seiten des Programmheftchens weitestgehend mit Werbung gefüllt – die an sich ja schon sehenswert ist – doch belegt das kleine Druckwerk, dass schon vor einem Jahrhundert zahlreiche Funktionsträger zum Gelingen einer solchen Veranstaltung beigetragen haben. Allen voran natürlich der Ausrichter selbst, der &bdquo;Automobil- und Motorrad-Club Bünde i.W.“, der als ein sogenannter Ortsclub im 1903 gegründeten &bdquo;Allgemeinden Deutschen Automobil-Club“ organisiert war. Dieser wird unter dem Kürzel &bdquo;ADAC“ heute in erster Linie mit Pannenhilfe in Verbindung gebracht. Die &bdquo;Oberleitung“ des Rennens übernahm der Ehrenvorsitzende des örtlichen, kurz &bdquo;A.M.C.B.“ genannten Clubs, der Amtmann Richard Schaefer. Denn obwohl das Rennen als &bdquo;Bünder“ Veranstaltung tituliert wurde, spielte sich ein Großteil des Programms im Bereich des damals eigenständigen Amtes Ennigloh ab. Angefangen vom Begrüßungsabend, der bereits am Samstag im damaligen Hotel &bdquo;Lindenhof“ abgehalten wurde, über die Fahrzeugabnahme auf dem ehemaligen Marktplatz Ennigloh (vor dem Amtshaus/heute: Musikschule), bis hin zum Festabend im längst abgetragenen &bdquo;Schützenhof“ an der Wilhelmstraße, lagen alle relevanten Veranstaltungsorte im Amt. Selbst die gesamte, 7,6 Kilometer messende Rennstrecke – zwischen Ennigloh und Dünnerholz – machte da keine Ausnahme. Gestartet wurde ab &bdquo;11 ½ Uhr“ in Höhe der Sparkasse auf der (heute: Alten) Borriesstraße, von wo es in Richtung Osten bis in Spradower Gebiet ging. Kurz hinter dem Gewinghauser Bach, am Abzweig der damaligen Dünner Chaussee, bog das Starterfeld dann in die heutige Gerhart-Hauptmann-Straße nach links in Richtung Norden ab und erreichte das Ziel an der Gaststätte &bdquo;Dünner Höh“. Dort erwartete der damalige Wirt – August Heidsiek, einer der zahlreichen Förderer der Veranstaltung – die Teilnehmer, ehe diese &bdquo;gegen ½ 2 Uhr“ gemeinsam zurückfuhren. Für Liebhaber: Oldtimer-Treffen im Kreis Herford: Hier können Auto-Klassiker bewundert werden Ob Anwohner die Sportler feierten, ist nicht überliefert Erneut fanden sich die Rennfahrer mit ihren zwei- und vierrädrigen &bdquo;Boliden“ auf dem, nördlich der Bahngleise gelegenen Marktplatz ein, um die Ehrenkränze für die besten Starter entgegen zu nehmen. Daran schloss sich eine &bdquo;Korsofahrt“ durch die damals amtsfreie Stadt an der Else an, die dann den Namen &bdquo;Bünder Frühlingsrennen“ doch noch rechtfertigen sollte. Dabei ging es laut Programmheft von der Amtshausstraße, über die Borries-, Holzhauser- und Bahnhofstraße, links in die Wasserbreite. Während die Strecke bis dahin jedoch nur den damals relativ dünn besiedelten Rand des heutigen Innenstadtgebietes durchzog, sollten natürlich auch die wichtigsten Wohn- und Geschäftsstraßen mit einbezogen werden. Schließlich äußerste die Presse auch die Hoffnung, dass die Anwohner den Sportlern mit ausgehängtem Fahnenschmuck einen gebührenden Empfang bereiten würde. Ob dem so war, ist leider nicht überliefert. Über die Sedan-, durch die gesamte Esch- und Bahnhofstraße, ging es zurück zum Schützenhof, wo die Veranstaltung dann bei einem Abendprogramm mit Tanz und Musik gemütlich ausklang. Obwohl das ganze Spektakel als eine groß angelegte Sportveranstaltung eher Volksfestcharakter hatte, soll auch nicht verschwiegen werden, dass Mitte der 1920er Jahre eine solche Gelegenheit nicht ausgelassen wurde, um den verlorenen 1. Weltkrieg zu verarbeiten. Jeder Sport sei &bdquo;zum Wiederaufbau unseres Volkes und unseres Vaterlandes“ von Bedeutung und würde &bdquo;das Volk, nach den Zeiten der Dunkelheit, die es augenblicklich durchlebe, wieder hinauf zum Licht führen!“, hieß es in der Rede von Amtmann Schäfer. Warum Politik wohl keine Rolle spielte Dass ein daraufhin ausgerufenes &bdquo;Töff-Heil!“ mit dem heutigen Wissen über den weiteren Verlauf der deutschen Geschichte etwas befremdlich wirkt, liegt wohl in der Natur der Sache. Doch, auch wenn die offiziellen Redner dem deutschnationalen Zeitgeist Tribut zollten, so gingen die meisten Teilnehmer doch wohl eher unpolitisch an den Start. In insgesamt 13 Klassen, die bei den Motorrädern nach Hubraum und den Automobilen nach Leistung eingeteilt waren, fanden sich Fahrer aus ganz Westfalen zum Bünder Rennen ein. Wobei diese Schar technikbegeisterter Enthusiasten einander eher aufgrund des zum Einsatz gebrachten Fabrikates begutachteten, denn aufgrund der politischen oder gar religiösen Ausrichtung. So starten mit Leo Steinweg aus Münster, sowie Leonhard Spanier und Gustav Ahrndt aus Ennigloh auch drei Fahrer jüdischen Glaubens, was nur wenige Jahre später undenkbar gewesen wäre. Viele der Marken der Fahrzeuge, die bei diesem Rennen an den Start gingen, sind heute wohl komplett vergessen. Wie etwa Motorräder mit Namen Mabeco, Hecker und Boge oder Automobile, die nach den Produzenten Mannesmann, Selve oder Dürkopp benannt waren. Wobei die beiden letztgenannten Typen sogar in Hameln und Bielefeld hergestellt wurden. 📱News direkt aufs Smartphone: Kostenloser WhatsApp-Kanal der NW Kreis Herford Daher wundert es nicht, dass Richard Kreimer – der 1. Vorsitzende des &bdquo;A.M.C.B.“ – mit einem Selve am Rennen teilnahm und sein Clubkamerad Gustav Ahrndt einen Dürkopp steuerte. Neben weiteren lokalen Größen in der frühen Motorisierungsgeschichte des Bünder Landes, wie Wilhelm &bdquo;Seppel“ Brockfeld, Ewald Fröhlke oder Carl Becker aus Stift Quernheim, taucht auch der Name von Recklinghausen auf der Ergebnisliste des Frühjahrsrennens 1925 auf. Obwohl mittlerweile die meisten, der hier genannten Bünder Mitbürger in Vergessenheit geraten sein dürften, der Name von Recklinghausen ist zumindest den älteren Opel-Fahrern als Autohaus noch gut in Erinnerung. Zunächst war der Senior Heinrich zwar als Buchhändler an der heutigen Bahnhofstraße tätig, doch kamen er und sein Sohn Wilhelm im Ersten Weltkrieg mit Motoren in Kontakt, wodurch sich der Schwerpunkt des kleinen Handelsunternehmens in Richtung Kraftfahrzeuge verschob.

Meistgelesen