„Das ist kein Beruf für Feiglinge“: Tabak-Experte bereist die Welt für Arnold André aus Bünde

Bünde. Stefan Gerkens hat einen seltenen Beruf. Seine Kollegen hierzulande? Kaum mehr als eine Handvoll. Gerkens ist Tabakeinkäufer. Seine wichtigsten Werkzeuge sind seine Nase, seine Hände und sein Geschmackssinn. Sein Büro befindet sich zwar bei Arnold André in Königslutter, sein Arbeitsplatz aber ist die Welt – zumindest der Teil, auf dem Tabak wächst. Eine richtige Ausbildung gibt es nicht. Gerkens ist da mehr hineingeschlittert. Seine Pläne waren eigentlich ganz anders. &bdquo;Ich bin ausgebildeter Diplomingenieur und habe bei einer Ingenieurgesellschaft gearbeitet“, erinnert er sich zurück. Als er Vater wird, schaut er sich nach einem anderen Job um: &bdquo;Arnold André hatte zu dem Zeitpunkt einen Ingenieur gesucht, der die Werksleitung in Königslutter übernehmen sollte.“ Der damalige Leiter näherte sich dem Rentenalter. Gerkens passt die Stelle, der Bünder Firma passt der Bewerber, sie werden sich einig. Gerkens begann von Grund auf zu lernen, arbeitete in verschiedenen Produktionsbereichen und in der Produktionsleitung. 18 Monate ist er in der Firma, als ein tragischer Zwischenfall alles ändert. Der damalige Tabakeinkäufer starb unerwartet. Der Schock war groß. Vier Monate im Jahr unterwegs &bdquo;In dieser Notsituation wurde in die Runde geguckt, wer diese Aufgabe übernehmen kann“, erinnert er sich. Ihm wurde der Posten angeboten. &bdquo;Schließlich hatte ich schon in der Tabakaufbereitung und Qualitätsprüfung gearbeitet.“ Eine Nacht Bedenkzeit räumt er sich ein, führt ein langes Gespräch mit seiner Frau – und willigt dann ein. Für Gerkens ist das ein Sprung ins kalte Wasser – vom Bürojob zum Weltreisenden. Rund vier Monate im Jahr ist er unterwegs. Aber das war auch das Reizvolle, wie er sagt: &bdquo;Man kommt in Weltgegenden, wo man normalerweise nicht hinkäme. Weitab der Fünf-Sterne-Ressorts.“ Seine Reisen führen ihn nach Nicaragua, Honduras, Ecuador oder Kolumbien. Vor allem Letzteres war &bdquo;als ich angefangen habe, eines der gefährlichsten Länder.“ In Honduras musste seine gesamte Reisestrecke gemeldet werden. &bdquo;Überall standen Militärposten, um den Verkehr abzusichern. Ein junger Offizier steckte mir seine Handynummer zu und sagte, wenn sie zurückfahren, rufen Sie mich bitte an. Das habe ich auch gemacht.“ Auch seine Begleiter sind bewaffnet. Angst habe er aber nie gehabt. &bdquo;Gut, das ist nicht das, was man aus seinem Alltag hier gewohnt ist“, räumt er dann doch ein. Was ihm Bauchschmerzen bereitet Ein mulmiges Gefühl hat dem heute 63-Jährigen etwas ganz anderes beschert: Die aufregende Seite des Reisens ist die eine Seite des Geschäfts. Die andere, dass von seiner Arbeit die gesamte Produktion bei Arnold André abhängt. &bdquo;Ich muss ehrlich sagen, die ersten zwei bis drei Jahre habe ich Entscheidungen mit vielen Bauchschmerzen getroffen.“ Schon lange, bevor der Einkauf überhaupt anmeldet, wie viele Zigarillos und Zigarren er gedenkt zu verkaufen, hat Gerkens schon beschlossen, wie viel es sein wird. &bdquo;Das praktische Tabakkaufen ist eine Geschichte, das Kalkulieren, Hochrechnen die andere. Das macht einen gewichtigen Teil meines Alltags aus.“ Gerkens ist dafür verantwortlich, dass die Werke immer genug Material zum Arbeiten haben. &bdquo;Wenn man zu vorsichtig ist, hat man vielleicht zu wenig eingekauft oder, wenn man zu euphorisch war, hat man am Ende zu viel Tabak“, erklärt er. &bdquo;Das ist kein Beruf für Feiglinge. Die Entscheidungen müssen getroffen werden.“ Der Lieferant muss früh wissen, was der Einkäufer für einen Tabak möchte. Denn dem Verkäufer gehören unter Umständen gar nicht die Felder, auf denen angebaut wird. Er gibt stattdessen Bestellungen bei den Landwirten auf, die wiederum ihre Felder vorbereitet und einsäen müssen. Guter Tabak ist wie guter Wein Und was macht nun einen guten Tabak aus, Herr Gerkens? Immerhin gibt es 700 unterschiedliche Sorten. &bdquo;Das hängt davon ab, was ich einkaufe. Ist es ein Umblatt? Ist es die Einlage?“, erklärt Gerkens. Und: Jede Ernte ist anders. Ähnlich wie bei Wein. Ein und dieselbe Tabakpflanze oder Saat schmeckt ganz anders, je nachdem, wo sie angebaut wird: in Deutschland, in der Dominikanischen Republik oder aber in Indonesien. &bdquo;Ich bekomme vollkommen unterschiedliche Tabake, weil Bodenbeschaffenheit, Klima, Sonneneinstrahlung und Luftfeuchtigkeit ganz anders sind.“ Was diese Tabake unterscheidet, das basiert auf keiner Datenlage, sondern mehr auf Gefühl und Erfahrung. Jetzt kommen Gerkens geschulte Sinne zum Einsatz: Er fühlt die Textur, riecht das Aroma, schaut sich die Farbe an. Er will aber auch wissen, wie sich der Tabak anzünden lässt, wie er brennt, wie er sich auspusten lässt. &bdquo;Wichtig ist auch der Geruch.“ Mehrfach wird die Ernte von ihm kontrolliert. Das erste Mal, wenn der Tabak geerntet, getrocknet und klassifiziert wird. Das zweite Mal, wenn die Ballen würzig sind. Und natürlich lasse er auch Probezigarren rollen. Produktentwicklung gehört zum Job Wird eine Ernte nicht so, wie sich Gerkens das vorstellt, gibt es einen Sicherheitsbestand. Das Unternehmen könnte eine Ernte problemlos aussetzen. Die Ware befindet sich in einem Außenlager, um es zum Beispiel bei einem Brand zu schützen: &bdquo;Nichts ist teurer als keinen Tabak zu haben“, sagt er und winkt dann ab: &bdquo;Bisher hat’s immer geklappt.“ Auch die Produktentwicklung gehört zu seinem Beruf. &bdquo;Das ist allerdings nicht allein meine Aufgabe.“ Für eine neue Zigarre wird natürlich über die Mischung des Tabaks beraten. Aber es geht auch darum, welche Form und Farbe das Deckblatt haben soll, heller, dunkler? &bdquo;Kannst du das besorgen, werde ich viel gefragt.“ Gerkens verständigt sich vor allem auf Englisch und Spanisch. Wenn Gerkens in zwei Jahren in Rente geht, dann soll ein neuer Kollege seinen Job übernehmen. Praktischerweise ist Jorge Selveira Portugiese und wird zumindest bei der Sprache keine Probleme haben. Schon jetzt reisen sie zusammen, obwohl Gerkens die Zeit schon fast etwas knapp findet. Schließlich denkt er in Erntezyklen, da sind fünf Jahre schnell rum. Und wie vermittelt er sein Wissen weiter? &bdquo;Wir machen beide das Gleiche auf der Reise. Er muss mir Tabake empfehlen und genau sagen, wieso ausgerechnet der Tabak? Er muss erklären, was er empfindet und warum.“ Das Ende ist in Sicht Ein bisschen wehmütig ist Gerkens, dass seine Rente jetzt in greifbare Nähe rückt. Sagt aber auch: &bdquo;Es ist auch wahnsinnig anstrengend. Im April bin ich drei bis vier Wochen in fünf Ländern unterwegs. Ein Drittel der Zeit sitzt man im Auto, am Flughafen oder im Flugzeug.“ Darum sei er mittlerweile auch ganz froh, dass es ruhiger wird. Sein Wunsch für die Rente wirkt im ersten Moment dennoch eigenartig: &bdquo;Ich möchte mit meiner Frau in diese Länder reisen.“ Dieses Mal aber, so sagt er &bdquo;touristisch“. Sein straffer Zeitplan habe keine Muße gelassen, um auch mal in Ruhe Sightseeing zu betreiben. &bdquo;Ich bin ein Mensch, der den Winter nicht mag. Ich mag Palmen, Sonne, Strand und Meer. Und ich mag es, mit anderen Kulturen in Kontakt zu kommen.“ Und wenn er unter Palmen das Wetter mit seiner Frau genießt, dann gehört auch eine gute Zigarre dazu.

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