Kabarettist Jürgen Becker ist bei Auftritt in Bünde der Zeit etwas hinterher

Bünde. Wer an diesem Abend ein abgerundetes Programm mit geschlossenem Themenbereich wie das sehr erfolgreiche &bdquo;Der Künstler ist anwesend“ erwartet hat, der wurde enttäuscht. Freuen durften sich hingegen all diejenigen, die Becker aus den Mitternachtsspitzen kennen und mögen. Denn nichts anderes bietet &bdquo;Die Ursache liegt in der Zukunft“, das er noch bis mindestens Mai spielen wird, ob wohl sein neues Programm noch am Ende dieses Monats Vorpremiere haben wird. Es scheinen gute Zeiten fürs Kabarett zu sein. Allerdings waren die sehr aktuellen Themen mit kurzen Erwähnungen schnell abgefrühstückt. Dass die Regierung Geld laut Verfassungsgericht jetzt nur noch im Notfall ausgeben darf, wurde von ihm schlicht mit dem Kommentar bedacht, dass man doch einfach nur die gesamte &bdquo;Ampel“ zum Notfall erklären müsse. Menschen in kleinen Staat sind am glücklichsten Als die Frage nach dem Glück aufkam, war festzustellen, dass die glücklichsten Menschen in kleinen Staaten leben würden. Putin, der es mit Annexion probiere, gehe also den völlig falschen Weg. &bdquo;Wir müssten hingegen eher Land loswerden, um glücklich zu sein. Bayern zum Beispiel.“ Abseits des lauten Beifalls hielten das einige der Zuschauer wohl für einen Scherz. Dabei ist dem 64-jährigen gar nicht immer nach Scherzen zumute. Einen großen Block nimmt in Beckers Programm das Thema Gesundheit, ihr System, ihre Reform und ihr jetziger katastrophaler Zustand ein, in dem viele Fakten, aber nicht viele Pointen zu hören sind. Er sagt, was zu tun und zu ändern sei, und holt sich dafür auch seinen braven Gesinnungs-Applaus ab. &bdquo;Was ist das für eine Idee, dass in einem der reichsten Länder der Welt in der Gesundheitsversorgung ein Zweiklassensystem herrscht?“ Allerdings ist dieses wie andere Themen nicht neu, auch für das Publikum nicht. Der durchaus starke Wiedererkennungswert der Misere schaffte es aufgrund seiner Ernsthaftigkeit nicht, lustig zu wirken. Aber das hatte der gebürtige Kölner wohl auch gar nicht beabsichtigt. Warum nicht anprangern, wenn es noch nicht besser geworden ist? Lachen bleibt manchmal im Halse stecken Becker ist ein Kabarettist durch und durch, doch ohne das Beispiel vom zahnlosen Tiger bemühen zu müssen, scheint es schwer, seine Resignation zu beschreiben, die sich immer wieder Bahn auf die Bühne bricht. Oft funktioniert sein Witz so, dass er erst mal eine Behauptung aufstellt, die einen erstaunt. Dann löst er sie mit einer Pointe auf, schweift am Ende aber doch wieder zurück und lässt das Füllhorn an Fakten sich ungeschützt über das Auditorium ergießen. Im besten Sinne eines Dieter Hildebrandt platziert er seine Wortspiele im Fließtext, ist möglicherweise einer der letzten, der diese Kunst noch beherrscht, und wie Schmickler bleibt einem das Lachen bei ihm manchmal im Halse stecken. Obwohl Kabarett im Gegensatz zur Comedy ein sehr schnelles Format ist, kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass Becker nicht immer ganz auf der Höhe der Zeit ist, nicht ganz mit den Ereignissen Schritt halten kann. Dieses beschreibt er selber, wenn er sagt: &bdquo;Politik war früher wie die Lindenstraße. Da konntest Du ruhig ein paar Jahre verpassen.“ Heute ginge das eben nicht mehr. Bei ihm jagt nicht ein Gag den nächsten, seine dramaturgische Welle generiert auch willkommene Pausen. So bieten thematische Inseln auch für die Gäste immer wieder erholsame Ruhepunkte, bei denen man sich sammeln und das Gehörte auf seine Brauchbarkeit prüfen kann. &bdquo;Als einziges Lebewesen gestaltet der Mensch seine Zukunft. Aus diesem Grund haben wir die Religion erfunden.“ Auf diesem Hintergrund entwickelt der Preisträger des Prix Pantheon erfolgreich humorvolle Exkurse über die Überversicherung der Deutschen, soziale Missstände von Leiharbeitern und künstliche Intelligenz (KI). Das ist ein weites Feld. Bald würden Berufe wie Lokführer ganz wegfallen, nur bei deutschen Behörden könnte man ihrem Wesen nach nicht auf den persönlichen Kontakt verzichten. &bdquo;Ich war neulich in Köln aufm Amt, da hatten die Wartezettel noch römische Zahlen.“ Auswirkungen von Corona und KI Becker beschreibt Dinge nicht nur, er denkt sie zu Ende. Selten begnügt er sich damit, zu beschreiben, welche Auswirkungen Corona und die KI augenblicklich auf unser Leben haben, sondern er fragt sich, wie sie unser aller Leben auf Dauer verändern werden. Mit fließenden, um nicht zu schreiben abrupten Übergängen wechselt er die Themen. Von der Zukunft der Welt, die in China entschieden wird, bis hin zu einer Sahra Wagenknecht, die eine neue AfD mit 30 Prozent weniger Hitler gründet, ist es manchmal nur ein Satz. Klar ist für ihn, die Welt der Zukunft ist digital. Dieser Umstand muss aber fast zwangsläufig in die Erkenntnis münden: &bdquo;Der Mensch ist nicht Teil der Technik, er ist Teil der Natur. Nur dann kann das Leben gelingen.“ Und die Natur hat Zeit – auch die, dieser Zeit einfach mal hinterher zu sein.

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