Vortrag in Bünde: "Thema Care-Krise läuft mit gewaltiger Macht auf uns zu"

Bünde. &bdquo;Es ist kein Wunder, dass Frauen weniger verdienen. Ein Mann macht aus einem Blech ein Auto, eine Frau arbeitet am Menschen. Da haben wir nichts von“, das hätte ihr noch vor nicht zu langer Zeit mal ein Mann auf einer Veranstaltung im Kreis Herford gesagt, erzählt Karola Althoff-Schröder. Die geringe Wertschätzung, die mit dem Thema der Fürsorgearbeit mit eingeht, ist also immer noch präsent in vielen Köpfen. Wie einige andere Zuhörer ist die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Herford der Einladung des Sozialverbands Bünde zu dem Vortrag zur &bdquo;Care-Krise“ in der Bünder Gaststätte &bdquo;Die Klinke“ gefolgt. &bdquo;Das Thema Care-Krise läuft mit gewaltiger Macht auf uns zu“, erklärt Kai Unzicker vom Sozialverband Deutschland (SoVD). Deshalb hat der Ortsverband Bünde die Wissenschaftlerin Sonja Bastin als Referentin eingeladen. Die Soziologin forscht schon seit einigen Jahren an der Universität Bremen dazu und hat gemeinsam mit zwei weiteren Aktivistinnen 2021 das Projekt &bdquo;Carat – Caring all together“ (Gemeinsame Sorgearbeit) initiiert. Zudem ist sie seit 2019 ehrenamtlich in der Initiative &bdquo;Equal Care“ (Gleiche Sorgearbeit) aktiv. Ein Viertel aller Mütter sei kurbedürftig &bdquo;Es geht darum, wie ungerecht unser System mit der Fürsorgearbeit bei Eltern umgeht“, beginnt Bastin mit ihrem Vortrag. Besonders während der Pandemie habe sich die Ungleichheit gezeigt. Schon 2019 hätten 40 Prozent der Eltern angegeben, dass sie im Dauerstress seien, und dann kam Corona und machte alles noch schlimmer. &bdquo;Die größten Konsequenzen trugen die Mütter“, sagt die Soziologin. Ein Viertel aller Mütter sei laut Statistik kurbedürftig, wobei hier die Plätze in den Kurkliniken bei Weitem nicht reichen würden. Ein Drittel der Eltern und die Hälfte aller Mütter in Deutschland hätten die Arbeitsstunden in den Abend verlegen müssen, weil sie tagsüber ihre Kinder betreuen mussten – weil die Betreuungsangebote während der Pandemie ausfielen. Letzteres hätte in Deutschland aufgrund der Corona-Vorschriften weitaus länger angehalten als in anderen Ländern Europas. &bdquo;Das Konzept von Arbeit und Familie, das wir heute leben, das geht auf ein Konzept zurück, das mehr als 100 Jahre zurückliegt“, sagt sie. Damals hieß es, dass Frauen aus Liebe handeln sollten und Männer in der Wirtschaft bezahlt werden. Das Modell beinhaltete acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung und acht Stunden Schlaf – Care-Arbeit sei da gar nicht mit drin gewesen, sagt Bastin. &bdquo;Auch unser Modell heute noch beruht auf die veraltete Ansicht, obwohl die Sorgearbeit zunimmt.“ Mütter verlieren das Vertrauen in die Regierung Insgesamt arbeiten Paare mit Kindern 15 Stunden mehr in der Woche, wenn man die Care-Arbeit dazuzählen würde, sagt sie. Dabei wäre die Diskrepanz zwischen Müttern und Vätern wieder hoch: Mütter würden fünfeinhalb Stunden täglich Sorgearbeit leisten, Väter zweieinhalb. Bastin möchte den Vätern nicht absprechen, dass sie versuchen, mehr zu machen, &bdquo;aber dieser Versuch scheitert sehr häufig an den noch bestehenden gesellschaftlichen Strukturen“, sagt sie. Die ungleiche Verteilung wäre ja kein Problem, sagt Bastin, wenn denn die Sorgearbeit auch ausgeglichen werde – ideell sowie auch finanziell. Nehmen wir an, die Sorgearbeit würde mit dem Gehalt einer Hauswirtschaftlerin – etwas weniger als zehn Euro die Stunde – honoriert werden, dann wären das insgesamt 304 Milliarden Euro, die den Frauen in Deutschland zustünden. Das alles beschere der Care-Arbeit ein schlechtes Image, führe zu immer weniger Kinderwünschen und entwickle sich somit zu einem gesamtwirtschaftlichen Problem. Das und die Handlungen während der Corona-Pandemie hätten dazu geführt, dass Mütter das Vertrauen in die Regierung immer mehr verloren hätten. Betreuungsproblematik auf mehreren Schultern verteilen Die Expertin schlägt mehrere Maßnahmen vor, um das Problem anzugehen. Unter anderem sollte ein sichtbares politisches Gremium eingeführt werden, das aus Menschen besteht, die wissen, was es bedeutet, Care-Arbeit zu leisten. Es sollte schnell in Fürsorgestrukturen investiert werden, wie zum Beispiel die bundesweite Einführung einer einheitlichen Erzieherausbildung. Hausarbeit halte von Arbeit ab. Es könnten Gutscheine für Haushaltshilfen an sozialschwächere Familien erteilt werden, damit sich das alle leisten könnten. Bastins Vorstellung: Während der Pandemie hätte man in der Gastronomie einen Mittagstisch anbieten können, das hätte die Zeit des Kochens gespart und der Gastronomie geholfen. Oder die Regierung hätte die Bevölkerung stärker dazu aufrufen sollen, mitzuhelfen. Die Betreuungsproblematik hätte ein Problem von allen werden sollen. Dann hätte sich der Druck auf mehreren Schultern verteilt – und nicht nur auf die der Eltern.

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