Verstorbene Vierjährige aus Bünde: Gutachten spricht von "Kollektivversagen" im Klinikum

Bünde/Herford. Warum musste die vierjährige Emily Janke aus Bünde an Neujahr im Klinikum Herford sterben? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Eltern des Mädchens, sondern auch die Staatsanwaltschaft Bielefeld. Während die Behörden weiter ermitteln, haben die Anwälte der Familie Janke bereits ein Privatgutachten erstellen lassen. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass im Klinikum Herford sowie in der Praxis eines Kinderarztes &bdquo;erhebliche Behandlungsfehler begangen wurden“. Diese Analyse ist in Zusammenarbeit mit einer Fachärztin für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Notfallmedizin erstellt worden. Diese hat im Auftrag der von der Familie Janke eingeschalteten Anwaltskanzlei &bdquo;Brocks Medizinrecht“ aus Hamburg die Patientenunterlagen von Emily ausgewertet – und kommt zu einem deutlichen Urteil. Auf 31 Seiten ist unter anderem von einem &bdquo;Kollektivversagen“ sowie &bdquo;gravierenden Standardunterschreitungen“ die Rede. Schicksal bewegte deutschlandweit die Menschen Der Tod von Emily hat viele Menschen bewegt, nicht nur in ihrer Heimatstadt, sondern deutschlandweit. Rückblick: In der Nacht zum 27. Dezember bekommt die Vierjährige hohes Fieber und muss sich mehrfach erbrechen. Am Morgen kommt noch Nasenbluten dazu. Lara Janke ruft einen Krankenwagen. Die Besatzung soll gesagt haben, dass es für Emily besser sei, wenn die Eltern ihre Tochter selbst ins Krankenhaus bringen. Die Mutter fährt mit Emily in die Herforder Kinderklinik, wo ein großflächiger Hautausschlag (Exanthem) und ein gerötetes Trommelfell festgestellt werden. Die Temperatur liegt laut den Unterlagen bei 38,9 Grad. Weitere Vitalwerte sind nicht dokumentiert worden. Eine Therapie findet laut den Unterlagen nicht statt. Lediglich ein Rezept für Paracetamol und Ibuprofen wird ausgestellt, dann werden Mutter und Tochter nach Hause geschickt. Blutentnahme wäre notwendig gewesen In ihrem Gutachten kommt die beauftragte Fachärztin zu dem Urteil, dass &bdquo;unzureichend Befunde erhoben wurden“. Zwar würden Blutentnahmen bei Kindern gern vermieden, aufgrund des Ausschlags, des geröteten Trommelfells und des Fiebers &bdquo;wäre eine solche Blutentnahme [. . .] notwendig gewesen“, heißt es weiter in dem Bericht. Bei vorliegender Befundlage sei zudem ein Abstrich notwendig gewesen, ein Ergebnis wäre ein bis zwei Tage später da gewesen. Der nach dem Tod von Emily ans Licht gekommene Befund – eine Infektion mit Streptokokken – hätte deutlich eher vorgelegen, so die Aussage der Fachärztin. &bdquo;Spätestens dann hätte man mit der Antibiose beginnen müssen“, also der Verabreichung eines Antibiotikums. In dem Gutachten heißt es weiter: &bdquo;Es ist mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass eine frühzeitigere adäquate Antibiose am 28. oder spätestens am 29. Dezember 2022 die Entzündung abgefangen und den tödlichen Verlauf verhindert hätte.“ Kritik an Kinderarzt Weil es ihrer Tochter schlechter geht, sucht die Familie am 30. Dezember 2022 einen Kinderarzt auf. Dieser soll einen grippalen Effekt diagnostiziert haben. Eine Blutuntersuchung soll nicht stattgefunden haben. Weil sich Emilys Zustand weiter verschlechtert, fährt die Mutter an Neujahr zu einer Kinderärztin nach Löhne. Dort sei eine &bdquo;zielführende Befunderhebung“ durchgeführt worden, ist im Gutachten zu lesen. Die Ärztin ordnet eine Überweisung ins Krankenhaus an, die Aufnahme von Emily wird &bdquo;telefonisch forciert“, heißt es weiter. Die Ärztin wird als &bdquo;sehr engagiert“ beschrieben. Im Klinikum in Herford sollen anschließend &bdquo;die mit Abstand gravierendsten Standardunterschreitungen“ vorgefallen sein. Konkret heißt es in dem Gutachten: &bdquo;Das gesamte pflegerische und ärztliche Zusammenspiel, die Organisation und die ergriffenen Behandlungsschritte sind – mit Verlaub – Ausdruck eines Kollektivversagens“. Mehrere Fehler würden sich aneinanderreihen. Mehrere Fehler im Klinikum Herford? So sei die Triage-Entscheidung, also die Einteilung der Dringlichkeit der Behandlung, von den Medizinern &bdquo;unverständlich und vollkommen falsch“ getroffen worden. &bdquo;Die Entscheidung, dass kein Notfall vorliegt, war eine komplette Fehlentscheidung“, heißt es in der Studie. Zudem sei &bdquo;im Klinikum Herford von allen Seiten die Symptomatik und der Ernst der Lage verkannt“ worden. Im Gutachten kommt man zu dem Schluss, dass allein durch den Aufnahmebefund und die in der Überweisung befindlichen Informationen, &bdquo;die Alarmglocken“ hätten angehen müssen. Stattdessen sei durch eine Ärztin nur eine &bdquo;stationäre Aufnahme“ angeordnet worden. Ebenfalls wird kritisiert, dass Emilys Blut erst zwei Stunden nach dem Eintreffen im Klinikum abgenommen worden sei. Zudem soll man bei der Analyse der Probe keine Eile gehabt haben. Die Werte, die &bdquo;besorgniserregend“ gewesen sein sollen, hätten erst 94 Minuten später vorgelegen. &bdquo;Zudem sind keine Gerinnungswerte bestimmt worden“, heißt es weiter. Diese Werte, die Hinweise auf eine Blutvergiftung hätten geben können, seien erst bei einer zweiten Blutentnahme am Abend gegen 18.45 Uhr bestimmt worden. Wurde Antibiotikum zu spät gegeben? Laut den Gutachtern hätten die gemessenen Werte der Blutuntersuchung am Nachmittag auf eine &bdquo;Nierenschwäche und einen schweren Zellverfall“ schließen lassen müssen. &bdquo;Trotz dieser Werte ist keine Antibiose in die Wege geleitet worden. Das ist schlichtweg in keiner Weise verständlich“, heißt es weiter. Dass dies nicht geschehen sei, stelle &bdquo;einen weiteren groben Fehler dar“. Erst um 18.30 Uhr sei am Neujahrstag ein Antibiotikum verabreicht worden. Die Gabe von Ampicillin (700mg) – sieben Stunden nach der Krankenhausaufnahme – ist für die Gutachter eine &bdquo;verspätete Antibiose“. Zudem sei das Medikament &bdquo;unterdosiert“ verabreicht worden. Gegen 19.20 Uhr wird bei Emily, die mittlerweile beamtet wird, ein niedriger Blutdruck festgestellt. Wenige Minuten später nimmt das Klinikum laut den Unterlagen Kontakt mit dem Evangelischen Klinikum Bethel auf. Um 19.30 Uhr wird ein Intensivtransport bestellt. Gegen 21 Uhr wird die Vierjährige auf die Intensivstation des Klinikums Herford verlegt. Laut des Gutachtens soll es dabei zu einer Verzögerung von 30 Minuten gekommen sein. Es sei unverständlich, &bdquo;weshalb man nicht mal jetzt in Eile war“, heißt es in dem Schreiben. Um 21.49 Uhr wird Emily für tot erklärt Drei Minuten nach der Ankunft auf der Intensivstation muss Emily reanimiert werden. 46 Minuten kämpfen die Ärzte noch einmal um das Leben des Mädchens, doch Emily wird um 21.49 Uhr für tot erklärt. Laut Lara Janke habe man ihr Tage nach dem Tod ihrer Tochter mitgeteilt, dass Emily eine Streptokokken-Infektion gehabt habe. Das habe zu einer Blutvergiftung geführt. Für die Gutachter steht fest, dass bei beiden Behandlungen im Klinikum Herford (27. Dezember 2022, 1. Januar 2023) sowie beim Kinderarzt (30. Dezember 2022) &bdquo;Behandlungsfehler begangen“ worden sind. Die Behandlung am 1. Januar 2023 steche dabei &bdquo;aufgrund der Fehlermenge und der Schwere der Fehler hervor“, heißt es in dem Schreiben, das allein für diesen Tag neun einzelne Behandlungsfehler zusammenfasst. Die Staatsanwaltschaft ermittelt Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hat ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Dafür ist der Leichnam des Mädchens obduziert worden. Proben sind an die Gerichtsmedizin nach Münster weitergeleitet worden. Die NW hat bei der Staatsanwaltschaft mehrmals nach Ergebnissen des von den Ermittlern in Auftrag gegebenen Gutachtens gefragt, eine Antwort gibt es nicht. Es sei zu Verzögerungen gekommen, unter anderem soll ein zuständiger Pathologe für zwei Monate nicht im Haus gewesen sein. Daher werde in Münster noch immer an dem Gutachten gearbeitet. Eine Fertigstellung soll laut Staatsanwaltschaft im Sommer erfolgen. Die NW hat beim Klinikum Herford nachgefragt. Annika Vinzelberg teilt mit: &bdquo;Dem Klinikum liegt das Gutachten nicht vor, somit ist es nicht möglich, sich konkret zu den im Gutachten gemachten Vorwürfen zu äußern.“ Weitere Artikel zum Thema finden Sie hier.

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