So versucht ein Wirtschaftsverband im Kreis Herford die Corona-Politik zu beeinflussen

Kreis Herford/Bünde. Die meisten Bünder sind vermutlich schon einmal am Sitz des Wirtschaftsverbands Westfalen-Lippe (WWL) vorbeigefahren, ohne es zu merken. Die Büros befinden sich im gleichen Gebäude wie die Volksbank-Filiale an der Borriesstraße. Rund 30 teils bekannte Unternehmen aus den Kreisen Herford und Minden-Lübbecke sowie aus Melle gehören dem WWL an. Nach außen wirkt der Verband seriös, will Fachkräfte für das Lukas-Krankenhaus anwerben und engagiert sich mit Integrationsprojekten für Geflüchtete. Doch dann kommt die Corona-Pandemie. Seit vergangenem Jahr organisiert der Vorstand des Verbands eine Vortragsreihe, bei der sowohl bekannte Corona-Maßnahmen-Kritiker wie Klaus Stöhr und Hans-Jürgen Papier eingeladen sind, aber auch Vortragende mit demokratiefeindlichen Ansichten und Verbindungen in die Querdenker-Szene. Zuletzt lud der Verband dazu höchste Entscheidungsträger der Region ein. Einer der auffälligen Namen auf der Rednerliste ist Markus Krall. Bei seinen Mitgliedern wirbt der Verbandsvorsitzende Manfred Bulk mit einem Flyer für eine Veranstaltung im Stadtgarten im Oktober 2021. Darin heißt es, Krall gehöre &bdquo;zu den besten Kennern und Insidern des Banken- und Kreditwesens“. Unter den Gästen: Ein "Stichwortgeber für die extreme Rechte" Was die Einladung nicht erwähnt: &bdquo;Markus Krall fordert unverhohlen die Abschaffung der Demokratie, wie sie im Grundgesetz verankert ist“, sagt Jan Riebe von der Fachstelle Rechtsextremismus der Amadeu-Antonio-Stiftung. Krall schwebe ein &bdquo;Nachtwächterstaat“ vor, in dem diejenigen, die mehr Geld verdienen, auch mehr Mitspracherecht hätten. &bdquo;Wer dagegen Sozialhilfe erhält, dem soll das Stimmrecht bei Wahlen entzogen werden“, so Riebe. Der Experte sieht in Krall einen &bdquo;Stichwortgeber für die extreme Rechte“. Auch die weiteren Redner sind nicht ohne. Sie sind bekannt für strittige Aussagen zur Klimaforschung, zu Corona und haben zum Teil Verbindungen zur Querdenker-Szene (siehe Infokasten). Doch es sind nicht nur die Redner selbst, die auffällig sind. Ein Blick zurück in den September: Die NW wird auf den WWL aufmerksam, als die Redaktion zu einem Vortrag des renommierten Juristen Hans-Jürgen Papier eingeladen wird. Rund 350 Besucher sind an diesem Abend im Stadtgarten. Andere Veranstaltungen des WWL sollen ähnlich gut besucht gewesen sein. Im Anschluss wird eine Fragerunde zur Bühne für Verschwörungstheorien. Aus dem Publikum fallen Begriffen wie &bdquo;Plandemie“, mehrere Teilnehmer scheinen aus der Querdenker-Szene zu stammen. Dafür gibt es Applaus. WWL-Vorstand Manfred Bulk sagt damals auf Nachfrage, es hätte sich um geladene Gäste gehandelt. Teilweise kommen diese aus ganz Deutschland. Eine Teilnehmerin sagt, sie sei aus Friesland nach Bünde angereist. Bulk selbst fällt damals mit Aussagen auf wie: &bdquo;Ich werde mich zum Thema Erderwärmung nicht äußern. Dazu habe ich keine Meinung.“ Im Laufe der Recherche heißt es von einem Unternehmer, der Mitglied im WWL ist und ungenannt bleiben möchte, &bdquo;seit Corona“ habe Bulk eine &bdquo;Affinität zur Querdenkerszene“. Dass der Verband die Vorträge mit Krall und anderen Rednern organisiert, ist eine plötzliche politische Ausrichtung für einen Verein, der eigentlich aus ganz anderen Gründen gegründet wurde. Laut einem der Unternehmer des WWL handelt es sich bei dem 1997 gegründeten Verein eher um einen &bdquo;Zweckverband“ – zum Beispiel zum gemeinsamen Einkauf von Energie oder um gemeinsam Fachkräfte zu finden. Der bekannte Virologe Klaus Stöhr war Gastredner Auch der Virologe Klaus Stöhr spricht von &bdquo;lautstarken Gegenmeinungen“ und &bdquo;tumultartigen Diskussionen“ bei seinem Vortrag. &bdquo;Insgesamt schien mit dem Teilnehmerkreis weniger an einem Austausch, sondern an der Bestätigung der eigenen Position gelegen. Das konnte ich allerdings nicht liefern“, sagt er im Nachhinein. Neben dem bekannten Virologen konnte der WWL mit Hans-Jürgen-Papier sogar den ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts als Redner gewinnen. Im Nachhinein sagt Papier, er habe aufgrund der &bdquo;offenkundigen Seriosität des Verbands und seines Vorsitzenden“ zugesagt, dort einen Vortrag zu halten. Im Anschluss daran hätten sich aber Teilnehmer aus dem Publikum gemeldet, die &bdquo;zum Teil irrige Thesen“ vertraten. &bdquo;Was [Bulk] möchte ist, dass auch Leute da reinkommen, die Einfluss genießen. Ärzte, Unternehmer, Professoren“, sagt Andreas Bermpohl. Laut eigenen Angaben hat der Biologe auch Vorträge beim WWL gehalten. An einigen Veranstaltungen hätte er aber nicht teilgenommen, weil sie &bdquo;zu strange“ und &bdquo;zu sehr in eine Richtung“ gewesen seien. Einladungen an Bürgermeister und Richter Beim Vortrag von Hans-Jürgen Papier waren neben Bürgermeisterin Susanne Rutenkröger auch zwei Direktoren von Amtsgerichten im Publikum. WWL-Vorsitzender Bulk sprach damals davon, die Direktoren von Amts- und Landesgerichten ebenfalls eingeladen zu haben. Es gab auch mindestens eine Einladung an einen bekannten Bünder Arzt. Mehrere Bürgermeister aus dem Kreis Herford und der Landtagsabgeordnete Christian Dahm bestätigen, in der Vergangenheit Einladungen des Verbands bekommen zu haben. Sie wollen aber nicht an den Veranstaltungen teilgenommen haben. Rutenkröger äußerte sich im Nachhinein kritisch zur Veranstaltung. Versucht der Verband mit diesen Einladungen Einfluss auf lokale Entscheidungsträger zu nehmen? &bdquo;Wir glauben, dass Expertenmeinungen, wie zum Beispiel die Einschätzungen von Prof. Dr. Papier – als ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes – zur aktuellen Lage für diesen Kreis interessant zur Meinungsbildung sind“, heißt es auf Anfrage der NW vom WWL-Vorstand. Unterschrieben ist die Antwort-E-Mail vom Vorsitzenden Manfred Bulk sowie von den Unternehmern und WWL-Vorstandsmitgliedern Hans-Jürgen Erdbrügger sowie Frank Fahrenkämper. In der Antwort heißt es auch, dass der Vorstand die Vorträge organisiert. Auf Nachfrage zu den antidemokratischen, unwissenschaftlichen und Querdenkerpositionen mehrerer Vortragender verweist der Vorstand auf deren angebliche Expertise und ihre akademischen Titel. Unternehmen distanzieren sich Dass der Verband nun in Verbindung mit Verschwörungstheorien in der Öffentlichkeit steht, sorgt intern für Ärger. Zwei E-Mails gehen bei den Unternehmen rum, die der NW vorliegen, in denen um eine Mitgliederversammlung gebeten wird. Darin wird die Arbeit von Manfred Bulk und seinem Team gelobt, aber kritisiert, dass unter dem Verbandsnamen nun &bdquo;Veranstaltungen mit im Kern politischen Grundsatzthemen“ organisiert werden. Mehrere Unternehmer aus dem Verband distanzieren sich der NW gegenüber von der von Bulk organisierten Vortragsreihe. &bdquo;Ich kann diese Aktivitäten in keinster Weise gutheißen,“ sagt einer von ihnen. Ein anderer Unternehmer sagt: &bdquo;Wir distanzieren uns da dringend.“

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