Nach abgesagter Impfung: Eltern sind verzweifelt und verärgert

Bünde. In der Corona-Pandemie werden die Folgen für eine Gruppe oft vergessen: Es geht um Menschen mit einer Behinderung. Besonders wer in einer Behinderteneinrichtung untergebracht ist, in Deutschland sind das nach Schätzungen etwa 200.000 Menschen, muss seit fast einem Jahr mit starken Einschränkungen leben. Ein Großteil verbringt die Zeit mehr oder weniger in Selbstisolation, da ein hohes Risiko eines schweren Verlaufs von Covid-19 besteht. Roswitha Guttmann (72) ist Mutter von vier Kindern. Ihr Sohn Stefan, der heute 42 Jahre alt ist, kam mit dem Rubinstein-Taybi-Syndrom zur Welt. Die Kirchlengeranerin setzte große Hoffnung in den Impfstoff, der ihrem Sohn eigentlich bereits verabreicht werden sollte. Doch die für den 6. Februar terminierte Impfung im Pflegeheim Hüffer Heide, das zur Lebenshilfe Lübbecke gehört, wurde sehr kurzfristig abgesagt. "Bewohner sind wie eingesperrt" Der Kreis Herford erklärt die Absage durch die Kassenärztliche Vereinigung damit, dass noch nicht alle Personen, die einen Anspruch auf Schutzimpfungen mit höchster Priorität haben, geimpft worden seien. Für Roswitha Guttmann ist damit ein Stück Hoffnung auf die Rückkehr zu etwas Normalität mit einem Schlag zerstört worden. "Die Bewohner sind mittlerweile wie eingesperrt. Sie wollen auch ihre Freiheit haben", sagt sie. Die Schuld an der für sie und viele Eltern so schwierigen Situation gibt sie ausdrücklich nicht den Verantwortlichen im Wohnheim. "Die Einrichtung ist super. Für unseren Sohn ist das seine Wohnung, das ist sein Umfeld", sagt Guttmann. In der Hüffer Heide werde richtig tolle Arbeit gemacht, ergänzt sie. "Wir haben die Entscheidung, Stefan dort unterzubringen, nie bereut." Gespräche aus der Distanz Es seien aber die Umstände, die den Alltag der Menschen mit Behinderung und auch der Familien erschweren. So konnten die Guttmanns ihren Sohn an Weihnachten zwar noch nach Hause holen - aber nur kurz. "Wenn er sich bei uns infiziert, dann kann er nicht mehr zurück ins Wohnheim", sagt die Mutter. Sonst habe es auch immer eine Weihnachtsfeier im Wohnheim gegeben. "Das konnte wegen Corona natürlich nicht stattfinden." Auch das ist ein Stück Normalität, das den Bewohnern fehlt. Erst vor wenigen Tagen habe ihr Stefan Geburtstag gehabt, sagt Roswitha Guttmann. Vor Corona habe die Familie den Tag zusammen gefeiert. Oft sind sie dann ins Restaurant gefahren. "Stefan geht so gern zum Chinesen", sagt seine Mutter. Doch um sich und ihren Sohn zu schützen, halten sie den Kontakt mittlerweile nur noch aus der Distanz aufrecht. Erst am Montag sei sie zuletzt mit ihrem Mann am Wohnheim gewesen. "Wir reden dann aus der Entfernung mit Stefan", sagt Roswitha Guttmann. Durch die Distanz wollen sie das Ansteckungsrisiko minimieren. "Wir wollen das Virus nicht ins Wohnheim bringen", sagt sie. Und so könne sie weiter persönlichen Kontakt zu ihrem Sohn haben. So geht das Wohnheim mit der Pandemie um Im Wohnheim Hüffer Heide versucht man unterdessen, die schwierige Situation der Pandemie für die Bewohner so angenehm wie möglich zu gestalten. Die Mitarbeiter haben "kreative Angebote" entwickelt, erzählt Einrichtungsleiterin Sabine Anton-Mund. Morgens beginnt der Tag meist mit einem Spaziergang, anschließend gibt es dann Aktivitäten. Abends finde die Disco oder auch der Fernsehabend weiter statt. "Allerdings mit Maske und Abstand", sagt sie. Früher haben die Bewohner oft im Chor gesungen. Dabei wurde viel gelacht. Der Spaß war deutlich zu sehen. "Beim Singen kam Freude auf. Doch das ist aktuell nicht mehr möglich", sagt Roswitha Guttmann. So wird jetzt eingekauft Vor der Pandemie haben die Bewohner ihre Einkäufe im Supermarkt erledigt. Die Hygienevorschriften lassen das derzeit nicht mehr zu. Aber auch hier haben sich Sabine Anton-Mund und die Mitarbeiter etwas einfallen lassen. Aus Prospekten wurden die Fotos von Waren ausgeschnitten und laminiert. "Die Bewohner können sich damit individuell den Einkauf zusammenstellen", sagt die Einrichtungsleiterin. Die Einkäufe werden dann vom Personal durchgeführt. Besuche von Angehörigen sind laut Anton-Mund in der Hüffer Heide weiterhin möglich. Wer ins Wohnheim möchte, muss sich aber Fieber messen lassen. Zudem ist mittlerweile auch ein Schnelltest vorgeschrieben. Ist der negativ, darf der Besucher ins Haus: Für eine Stunde, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. "Für Besucher wurde extra ein eigener Raum eingerichtet", sagt Sabine Anton-Mund. Langer Lernprozess für alle Beteiligten Mit den neuen Umständen haben sich die Bewohner und auch die Mitarbeiter nach fast einem Jahr Pandemie arrangiert. Vieles musste neu gelernt, einige Prozesse mussten umgestellt werden. "Es war ein langer Lernprozess", sagt Anton-Mund. Etwas Erleichterung könnte die Impfung sein, die Anfang Februar kurzfristig abgesagt wurde. "Einen neuen Termin haben wir noch nicht", sagt die Einrichtungsleiterin.

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