Reportage: Unterwegs mit der Rehkitzrettung

Bünde/Melle. &bdquo;Treffen schon um vier Uhr früh? Das bedeutet ja um drei Uhr morgens aufstehen. Puh, das wird hart, wo doch üblicherweise mein Wecker erst vier Stunden später klingelt". &bdquo;Nur in den frühen Morgenstunden ist die Aktion richtig effektiv", erklärt mir Carsten Kemna. Er und sein Mitstreiter Sven Pots bilden das Team der Rehkitzrettung Osnabrücker Land. Seit 2017 bewahren sie mit ihrem Projekt und innovativer Technik jeden Sommer Rehkitze vor dem Mähtod auf den Wiesen und Feldern im Osnabrücker Land. Auch in Bünde sind sie regelmäßig im Einsatz. Es ist noch dunkel an diesem Sonntagmorgen. Alles scheint noch zu schlafen und auch ich bin noch nicht richtig wach. Doch dann: &bdquo;Moin, fit für den Einsatz?", fragt Carsten Kemna, mit aufgeweckter Stimme. Bald trifft auch Sven Pots ein. &bdquo;Ich kann mich nur schwer an diesen anderen Biorhythmus gewöhnen, wohingegen Carsten jedes Jahr spätestens nach dem dritten Einsatz im Turnus ist", sagt er mit noch etwas murmeliger Stimme. Die beiden Männer absolvieren mittlerweile rund 80 Rettungsaktionen pro Jahr und das ehrenamtlich, oft noch vor ihrer eigentlichen Arbeit als Rehatechniker (Kemna) und Ingenieur (Pots). Großes Netzwerk an Helfern Angefangen hatte alles 2016. Kemna, der ländlich in Melle wohnt und auch sein Mitstreiter Pots aus dem idyllischen Bissendorf gingen Bilder der durch Landmaschinen getöteten Kitze nicht mehr aus dem Kopf. Schockierende Erlebnisse wie der Anblick eines kleinen Rehs, das mit abgemähten Beinen versucht aufzustehen und nach seiner Mutter ruft, bewegten die beiden zur Gründung der &bdquo;Rehkitzrettung Osnabrücker Land". Im Winter 2016 stellten sie Jägern und Landwirten ihre Projektidee vor, in der Hoffnung, dass sich andere Naturfreunde ebenfalls engagieren. Im Frühling 2017 überflogen sie erstmals Felder kurz vor dem Mähen mit Drohne und Wärmebildkamera um Rehkitze und andere Jungtiere zu orten und anschließen aus der Gefahrenzone zu tragen. Inzwischen hat sich ihr Projekt in der Region herum gesprochen und ein großes Netzwerk ist entstanden. &bdquo;Wir sind darauf angewiesen, dass uns die Landwirte melden, wenn sie vorhaben, zu mähen. Oftmals wird das kurzfristig entschieden, weil der Mahd-Zeitpunkt vom Wetter abhängt. Da müssen wir flexibel arbeiten", erklären Pots und Kemna. Anleitung über Funk Es geht los, wir starten auf der ersten von fünf Flächen, über die ein paar Stunden später die Mähwerke rollen werden. Morgennebel dampft über den Feldern im dämmrigen Licht. Der leuchtende Hexakopter, den Kemna nun in 60 Meter Höhe treibt, erscheint vor dem Hintergrund des noch dunklen Himmels wie ein Ufo. Wir alle recken die Köpfe nach oben. Einsätze im Frühling, wenn morgens noch kühle Temperaturen herrschen, unterstützen die Aktion positiv. Weil dann die an der Drohne hängende Wärmebildkamera am besten funktioniert. Ich luke Kemna über die Schulter. Auf den Bildschirm an seiner Drohnen-Fernbedienung wird das Bild der Kamera übertragen. Zwei Minuten später ruft Kemna aufgeregt zum Landwirt: &bdquo;Macht dich bereit, lauf in Richtung Drohne". Ein großer roter Fleck ist auf dem Bildschirm erschienen, das könnte ein Kitz sein. Über Funk steuern Pots und Kemna den Landwirt in Richtung des roten Flecks. &bdquo;Weiter links, noch weiter links, jetzt 90-Grad-Drehung, weiter, weiter, ja, jetzt müsstest du direkt davor stehen", ruft Pots aufgeregt in das Funkgerät. In der Ferne meint man, das Schulterzucken des Bauern zu erkennen, der im hohen Gras steht. &bdquo;Da ist nichts, nur ein riesiger Maulwurfshaufen", hört man ihn durch den Funk. Das erste Kitz wird entdeckt Die Suche geht weiter, die Drohne zieht ihre Bahnen. Manch roter Fleck verschwindet wieder aus dem Bild, sobald der Landwirt in dessen Richtung gelenkt wird. &bdquo;Das war wohl ein Feldhase, der weggehoppelt ist, oder ein Fasan", vermuten die Kitzretter. Doch die Suchaktion an diesem Morgen soll nicht umsonst gewesen sein. Beim nächsten roten Punkt, ist es soweit. Ebker winkt wild, seine Tochter Verena Rolletschek kommt mit einem Tragekorb angelaufen. Ich darf mitlaufen. Und tatsächlich: Mit großen, dunklen Kulleraugen, schaut ein Kitz verdutzt zu uns auf. Mit Einmalhandschuhen und viel Gras nimmt Ebker das cirka zwei Wochen junge Kitz, legt es in den Korb und trägt es an den Feldrand. Dort wird das kleine Reh mit den zarten Beinchen noch einmal kurz aus dem Korb heraus genommen, auf den weichen Boden gelegt und der Korb wird hinüber gestülpt und befestigt. So niedlich es auch aussieht, streicheln darf man das Kitz keinesfalls. Denn durch menschliche Witterung nehmen die Rehmütter ihre Kitze nicht mehr an. Die ganze Aktion wäre umsonst, der Mähtod zwar verhindert, der Hungertod des Kitzes aber nicht. Warum Rehkitze ruhig bleiben Mich wundert, dass das Jungtier so ruhig bleibt. &bdquo;Das Stresslevel der Kitze bleibt hierbei niedrig, besagen sogar wissenschaftliche Untersuchungen", so die Kitzretter. Das kleine Reh bleibt unter dem Korb, bis die Wiese gegen Mittag gemäht ist. Dann wird der Korb wieder abgenommen. &bdquo;Die Ricke beobachtet uns sicher schon die ganze Zeit. Sie weiß genau wo ihr Kitz liegt, bleibt hier im Umkreis von zirka 200 Metern und wird es wieder aufsuchen, sobald Ruhe eingekehrt ist", erklärt Kemna. Wie viele Kitze von den Rettern dieses Jahr gerettet wurden, kann man im &bdquo;Kitz-Counter" auf ihrer Internetseite www.rehkitzrettung.eu einsehen. Dort finden Interessierte auch Kontakt zu den engagierten &bdquo;Reh-Helden".

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