Wie ein Bünder ins Fadenkreuz der Stasi gelangt ist

Bünde. "Diese Akten sehe ich zum ersten Mal", sagt Reinhard Göhner, als nw.de dem 67-Jährigen die Unterlagen aus der Jahn-Behörde vorlegt. Die Dokumente belegen, dass der langjährige Berufspolitiker, der für die CDU zwischen 1983 und 2007 im Bundestag saß, mindestens seit 1981 von den Spitzeln überwacht wurde. So interessierten sich die Schlapphütte bereits Anfang der 1980er Jahre, zu einer Zeit, in der der Mauerfall und eine mögliche Wiedervereinigung noch in weiter Ferne lagen, für einen privaten DDR-Besuch von Reinhard Göhner bei Verwandten in der Nähe von Neubrandenburg. Aufmerksam wurden die Spitzel auf ein kleines Tonbandgerät, das der CDU-Politiker am Grenzübergang bei sich hatte. "Das lag im Handschuhfach", erinnert sich Göhner fast 39 Jahre nach der DDR-Reise zurück. Das Gerät, das er für seine Arbeit als Jurist benötigte, durfte Göhner behalten, nicht aber die beiden Kassetten. Diese wurden "beim Leiter der Grenzkontrollstelle hinterlegt", heißt es in der Akte. "Dass die so einen privaten Besuch aufschreiben, das kann ich gar nicht fassen", sagt Reinhard Göhner beim Lesen der Dokumente. Stasi nannte ihn "Scharfmacher" Nach dem Einzug in den Bundestag im Jahr 1983 und aufgrund seiner Arbeit als Geschäftsführer des Fachverbandes der Serienmöbelbetriebe wurde die Stasi aktiver und begann damit, weitere Informationen über den Bünder zu sammeln. Neben Karteikarten und Zeitungstexten beinhaltet die Göhner-Akte auch Gesprächsprotokolle. Am 31. Juli 1984 befiehlt ein Generalmajor der Stasi in Schwerin, dass "alle weiteren Maßnahmen zur Sicherung, Kontrolle und Überwachung" von Reinhard Göhner zu veranlassen seien. Und die Spitzel sind fleißig: Aus "seiner reaktionären Haltung gegenüber der DDR" mache er "keinen Hehl", notiert ein Hauptmann Müller im Juli 1985. Reinhard Göhner sind zu dieser Zeit die DDR-Möbelexporte in die Bundesrepublik ein Dorn im Auge. Die DDR verkaufte Möbel weit unter dem Marktpreis, um Devisen zu erhalten. Dagegen bezieht er öffentlich Stellung. Für die Stasi ist er damit "ein Scharfmacher", wie ein Agent notiert. Nach der Wende kommt heraus, dass mit der Erlösen aus den Möbel-Exporten kommunistische Parteien und Organisationen im Westen unterstützt wurden. "Damit wurden die DKP und der Marxistische Studentenbund Spartakus finanziert. Das ist heute bewiesen", sagt Göhner. Die Gefahr war bekannt Besonders aktiv sind die Spitzel, als Reinhard Göhner 1985 auf Einladung des Außenhandelsbetrieb (AHB) Holz und Papier in Ostdeutschland weilte. Dass er dabei von der Staatssicherheit im Blick behalten wird, war dem Politiker vor der Abreise klar. "Wir mussten damit rechnen, dass wir auf Schritt und Tritt überwacht werden", sagt der 67-Jährige. Als Abgeordneter sei er im Vorfeld auf diese Gefahr hingewiesen worden. Tatsächlich finden sich in den Stasi-Akten des Politikers zahlreiche Protokolle des Besuchs, die auch Zusammenfassungen der geführten Gespräche beinhalten. An einen Mann, der eines der Protokolle unterschrieben hat, kann sich Göhner noch gut erinnern. "Das war der, der immer viele Witze gemacht hat", sagt er. Zwei Jahre später übernimmt Göhner den Vorsitz des Umweltausschusses im Bundestag. "Damals haben wir einmal im Jahr im Reichstag getagt, um die Verbundenheit mit der Stadt Berlin zu symbolisieren", sagt der Ex-Politiker. Auch dabei hören die Spitzel zu. Nach der Wende kommt heraus, dass der Sitzungssaal verwanzt war. Alles, was die Abgeordneten besprachen, wurde aufgezeichnet. Göhner und Kollegen wussten das. "Daher haben wir keine geheimen Dinge besprochen", sagt er. Nicht immer sorgfältig gearbeitet Doch mit der Wahrheit nahmen es die Stasi-Agenten offenbar nicht immer so genau. 1987 notiert ein MfS-Mitarbeiter, dass Reinhard Göhner im März die Semperoper in Dresden besuchte. "Über das Protokoll gelang es, sehr gute Opernkarten zu beschaffen", ist in der Akte notiert. Diesen Besuch hat es laut Reinhard Göhner aber nie gegeben. "Ich war nie in der Semperoper", sagt der Rechtsanwalt und vermutet: "An einigen Stellen ist wohl viel Phantasie dabei gewesen." Und nicht immer sind die Agenten bei ihrer Schnüffelarbeit sorgfältig. So schleicht sich beim Geburtsdatum Göhners ein Fehler ein. Anstatt des 16. Januars notiert ein Stasi-Mitarbeiter den 26. Januar. Auch beim Geburtsjahr liegen die Agenten nicht immer richtig. "Das ist ja ein Ding", sagt Reinhard Göhner nachdem er die etwa 80 Seiten seiner Stasi-Akten durchgeblättert hat. Weitere Dokumente dürften schon bald hinzukommen. Die Stasi-Unterlagenbehörde hat dem Bünder erst vor wenige Tagen mitgeteilt, dass weitere Unterlagen mit seinem Namen gefunden wurden. Bis diese sortiert und aufbereitet sind, können aber noch zwei Jahre vergehen.

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