Das Bünder Freibad: Mit dem Bademantel vom Bad in die Bäckerei

Bünde. Grell ist das Licht, das durch das bewegte Wasser reflektiert wird. Die Kacheln am Grund des Beckens schimmern himmelblau. Es platscht, planscht und plätschert. Kinder rufen, die älteren Herrschaften ziehen gemächlich ihre Bahnen von Beckenrand zu Beckenrand. Unter einem Sonnenschirm sitzt Kerstin Lech neben einem weißen Plastiktisch: breitbeinig, schwarze knielange Hose, rotes T-Shirt, Sonnenbrille. Ins Bünder Freibad kam sie 1994 als Schwimmmeistergehilfin, heute ist sie Badbetriebsleiterin der Bünder Bäder. &bdquo;Hallo Kerstin!" ruft eine Dame mittleren Alters, die im Badeanzug vorüberspaziert. &bdquo;Guten Morgen" ruft eine andere. Kerstin Lech fordert eine der beiden auf, sich an ihren Tisch zu setzen. Siegrid Brunsch, so heißt die Dame, setzt sich. &bdquo;Früher haben die anderen Mütter immer zu mir gesagt, ich habe keine Zeit zum Schwimmen. Dann habe ich gesagt, wissen Sie was? Ich habe drei Kinder." Sie vollführt mit den Händen eine Bewegung, als würde sie ein Brötchen mit Butter beschmieren. &bdquo;Um sechs Uhr morgens habe ich für alle Frühstück gemacht, dann bin ich hier herüber ins Bad gelaufen." Sie richtet sich gerade auf: &bdquo;Das kann man heute nicht mehr machen. Damals bin ich hinterher im Bademantel in die Bäckerei gegangen." Heute ist Siegrid Brunsch 72 Jahre alt. &bdquo;Seit vierzig Jahren gehe ich jeden Tag ins Bad. Sieben Tage die Woche", sagt sie. &bdquo;Am Anfang bin ich als Ennigloherin natürlich immer nach Ennigloh gegangen. Als das nicht mehr ging, kam ich nach Bünde." Die Flussbadeanstalt an der Else war nicht rentabel Lauscht man den Freibad-Anekdoten der alteingesessenen Bünder, scheinen die Geschichten des Bünder und des Ennigloher Bads nicht voneinander trennbar. &bdquo;Ich bin auch Ennigloher", sagt ein älterer Herr und verweilt im Stehen neben der Gesprächsrunde an Kerstin Lechs Tisch. Er trägt Badehosen und ein Handtuch über der Schulter. &bdquo;Früher bin ich deshalb nur in Ennigloh geschwommen", sagt er. Immer mehr Männer und Frauen gesellen sich jetzt hinzu. &bdquo;Beim Bahnhof war die Grenze zwischen Ennigloh und Bünde." Dennoch: zeitweilig betrieben die Gemeinden Bünde und Ennigloh sogar eine gemeinsame Flussbadeanstalt an der Else. 1928 erbaut, wurde das Bad in den 1930ern wieder geschlossen, weil es nicht rentable genug war. Die Ennigloher errichteten daraufhin ein eigenes Bad mit seinerzeit hochmodernem Beton-Schwimmbecken. Die Freibad-Stammgäste an Kerstin Lechs Tisch kommen ins Plaudern. &bdquo;Erinnert ihr euch noch an den alten Wienecke?" fragt einer in die Runde. &bdquo;Wie er immer mit der Gießkanne das Becken gechlort hat!" Gelächter: &bdquo;Jaja!" Im Jahr 2002 wurde das Ennigloher Freibad geschlossen. An seiner Stelle entstand die heutige Bünder Welle. &bdquo;Meine Mutter ist hier hergekommen bis sie 85 Jahre alt war", sagt Siegrid Brunsch. &bdquo;Auch im Winter. Da hat sie sich grob gestrickte Socken über die Schuhe gezogen, damit sie unterwegs nicht hinfiel." Eine hochgewachsene Dame im dunkelblauen Badeanzug lässt sich auf einem der weißen Plastikstühle unter dem Sonnenschirm nieder. &bdquo;Das ist aber ein schöner Badeanzug", bemerkt eine der anderen Damen. &bdquo;Richtig elegant." »Wichtig ist, dass wir eine Gemeinschaft sind« Die &bdquo;Elegante" lässt immer wieder ihre Zähne aufblitzen, wenn sie spricht. Kleine Lachfältchen bilden sich dabei in ihren Augenwinkeln. &bdquo;Ich bin 1939 geboren, ab 41 war ich bestimmt im Bad, mit meiner Mutter." Ihre Stimme wirkt tief und klangvoll. &bdquo;Meine Mutter war eine große Schwimmerin. Mit 80 ging sie noch schwimmen, dann mussten wir es ihr leider verbieten." Ihren linken Arm lässt sie auf dem Tisch ruhen, während sie ihren Oberkörper zurücklehnt und die Beine vor sich ausstreckt. Ob sie und ihre Mutter regelmäßig gemeinsam das Freibad besuchten? &bdquo;Nein, nein, nein", mit ihrer kehligen Stimme lacht sie kurz auf und lässt wieder die Zähne blitzen: &bdquo;Mutter wäre niemals mit mir schwimmen gegangen, die hatte ihre eigene feste Gruppe." Eine der anderen Damen schaltet sich ins Gespräch ein: &bdquo;Die haben immer Kekse und Kaffee an der Kasse hinterlegt, dann sind sie schwimmen gegangen. Die Kassierin wusste schon, wann sie den Kaffee fertig kochen musste." Die Dame gestikuliert lebhaft. &bdquo;Dann kamen die Frauen aus dem Becken, tranken einen Kaffee, aßen einen Keks dazu. Dann haben sie sich wieder auf ihre Fahrräder geschwungen und fuhren von dannen." Allmählich verlassen die Frauen und Männer einer nach dem anderen den Tisch von Kerstin Lech. &bdquo;Ich muss mich mal abkühlen", sagt schließlich auch die &bdquo;Elegante" und erhebt sich. Sie fasst zusammen: &bdquo;Das Wichtigste ist, dass wir hier eine große Gemeinschaft sind. Und dass wir uns alle unendlich lange kennen." Alle Geschichten aus dem Bünder Freibad finden Sie in unserer großen Multimedia-Reportage:

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