Bünde

Über einen Wohltäter, der unter der Nazi-Herrschaft alles verlor

Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Familie Levison zu den wohlhabendsten Einwohnern der Stadt

Während der Zeit des Ersten Weltkrieges: Familie Levison mit Sohn Paul, der auf Heimaturlaub ist. Die Fahnen sind als Ausdruck der nationalen Gesinnung der Familie zu verstehen. | © Sammlung Sahrhage

08.05.2019 | 09.05.2019, 15:19

Bünde. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Familie Levison zu den wohlhabendsten Einwohnern von Bünde. Carl Levison engagierte sich stark in Bünde, unterstützte unter anderem den Bau des heutigen Lukas-Krankenhauses. Dann kamen die Nationalsozialisten an die Macht und die bekannte jüdische Familie wurde bald danach in ein Konzentrationslager deportiert.

Als Carl Levison am 16. Mai 1862 in Bünde geboren wurde, war die jüdische Familie Levison bereits seit mehreren Generationen in der Stadt ansässig. Carl Levisons Vater, Moses Levison, war Kaufmann und besaß ein Haus an der Bahnhofstraße. Er gehörte von 1868 bis zu seinem Tod im Jahre 1896 der Bünder Stadtverordnetenversammlung an. Moses Levison war zudem Vorstandsmitglied der Synagogengemeinde.

Carl Levison hatte sechs Geschwister, von denen drei im Kindesalter starben. Carl Levison führte zunächst das Geschäft seines Vaters weiter, im Jahre 1898 gründete er zusammen mit Carl Warmann die Zigarrenfabrik Warmann & Co. Mit der Produktion wurde zunächst im Privathaus Carl Warmanns an der Winkelstraße begonnen, in Folge des guten Geschäftsganges ließen die beiden Geschäftsinhaber im Jahre 1906 in der Bachstraße ein neues Fabrikgebäude errichten.

Die Familie war fest in die bürgerliche Gesellschaft integiert

Anfang der 1890er Jahre hatte Carl Levison Auguste Roos aus Ahlen geheiratet. Der Ehe entstammten drei Kinder: Alfred (geb. 1895), Paul (geb. 1896) und Johanna (geb. 1900). Für seine Familie ließ Carl Levison ein Haus im Stil der Gründerzeit an der Hindenburgstraße bauen, die sogenannte Villa Levison.

Die Familie war fest in die bürgerlichen Kreise Bündes eingebunden. Carl Levison gehörte mehreren Vereinen an und war im Jahre 1891 Schützenkönig, seine Frau Auguste bildete im Jahre 1903 zusammen mit Hermann Arnolds das Königspaar. Anfang des 20. Jahrhunderts zählte Carl Levison zu den wohlhabendsten Bürgern der Stadt.

Gewaltsamer Zutritt zur Villa während der Reichsprogromnacht

Er war Vorstandsmitglied der Stadtsparkasse und als Schöffe beim Amtsgericht tätig. Mehrfach spendete er für das im Aufbau befindliche Bünder Krankenhaus. Carl Levison war Mitglied im "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens", der sich für die gesellschaftliche Gleichstellung der Juden einsetzte und versuchte, Judentum und Deutschtum miteinander zu verbinden.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Ende Januar 1933 musste sich Carl Levison bald aus dem gemeinsamen Unternehmen mit Carl Warmann zurückziehen, blieb mit der Familie Warmann aber weiterhin freundschaftlich verbunden. Während der Reichspogromnacht 1938 verschafften sich Nationalsozialisten aus Bünde gewaltsam Zutritt zur Villa Levison und verwüsteten das Haus, das danach als so genanntes Judenhaus diente, das heißt als Aufenthaltsort mehrerer jüdischer Familien bis zu ihrer Deportation.

Wie zwei Levisons den Krieg überlebten

Während der Sohn Paul Levison, der in Hamburg als Kinderarzt arbeitete, dem Holocaust durch Auswanderung in die USA entkommen konnte, wurden Carl Levison, seine Frau Auguste und der ältere Sohn Alfred am 31. Juli 1942 von Bünde aus in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo alle drei infolge der unmenschlichen Aufenthaltsbedingungen und der schlechten Ernährungslage starben. Carl Levison starb am 21. März 1944, Auguste Levison am 21. April 1944 und Sohn Alfred am 27. Februar 1945.

Auch Tochter Johanna, die den Herforder Kaufmann Albert Schiff geheiratet hatte, wurde – gemeinsam mit ihrem Ehemann – deportiert; beide kamen im Warschauer Ghetto ums Leben. Wie Paul Levison überlebte auch Thekla Schiff, das Enkelkind Carl und Auguste Levisons, den Holocaust, weil sie bereits im Jahre 1939 zu einer Pflegefamilie nach Schweden gegeben worden war.

In Erinnerung an die Familie Levison erhielt die in den 1970er Jahren erbaute neue Stadtentlastungsstraße, die die Holser Straße mit der Wittekindstraße verbindet, den Namen „Levisonstraße.

INFORMATION


Die Serie

  • Seit 300 Jahren besitzt Bünde die Stadtrechte. Der Historiker Norbert Sahrhage hat sich ausführlich mit der Geschichte der Stadt beschäftigt und herausragende Persönlichkeiten porträtiert.
  • Die Ergebnisse aus den Nachforschungen hat Sahrhage aufgeschrieben, aktuell ist sein Buch über die Stadtgeschichte erschienen, das sich hier bequem übers Internet bestellen lässt.
  • Die Neue Westfälische veröffentlicht dazu exklusiv wöchentlich eine Geschichte über die Männer und Frauen, die in den vergangenen drei Jahrhunderten wesentlichen Einfluss auf die Stadt Bünde gehabt haben.
  • Bisher erschienen in dieser Serie sind folgende Porträts:
  • Hertha Koenig: Gutsherrin und Schriftstellerin
  • Tönnies Wellensiek und August Steinmeister: Die Zigarrenpioniere
  • Salomon Blumenau: Lehrer, Kantor, Literat
  • August Steinmeister jr.: Zigarrenfabrikant und Stadtentwickler
  • Karl Thiele: Ein innovativer Unternehmer
  • Ferdinand von Schütz: Ein Amtmann und Bürgermeister