Kampf mit Behörden: Mutter aus dem Kreis Gütersloh hofft auf Betreuung für kranken Sohn

Versmold. Im Januar 2023 änderte sich das Leben von Lisanne und Michael Berger schlagartig. Der Kinderarzt diagnostizierte bei ihrem Sohn Aaron Diabetes Typ I. Die Autoimmun-Erkrankung erfordert Betreuung rund um die Uhr. Zwar hilft moderne Technik beim Verabreichen vom lebensnotwendigen Insulin, aber das allein reicht nicht. Gerade die Erzieherinnen und Erzieher im Kindergarten stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Im Gespräch berichtet Lisanne Berger ganz offen über ihren Alltag mit der Krankheit ihres Sohnes und die Anfangsphase. &bdquo;Uns ist aufgefallen, dass Aaron viel getrunken hat. Dadurch hatte er stärkeren Harndrang. Anfangs habe ich mich einfach gefreut, dass mein Kind viel trinkt“, sagt die Mutter. Aber der damals Einjährige wurde immer häufiger müde und antriebslos. &bdquo;Da war uns klar, dass etwas nicht stimmt und eine Krankheit vorliegt, die sich auf den ganzen Körper auswirkt.“ Der Kinderarzt fand schnell heraus, was Aaron fehlt. Der Blutzuckerwert war deutlich erhöht. Die Diagnose: Diabetes Typ 1. &bdquo;Anfangs war ich sogar erleichtert. Ich hatte befürchtet, dass Aaron Krebs oder eine andere schwere Erkrankung hat“, gesteht Berger. &bdquo;Ich hatte gedacht, dass es mit ein bisschen Insulin spritzen getan ist.“ Weit gefehlt. Versmolder Familie muss ihr ganzes Leben umstellen Die junge Familie musste ihr gesamtes Leben umstellen. Auf die Diagnose folgte ein fast zweiwöchiger Aufenthalt in der Kinderklinik Bethel. Dort wurde vor allem den Eltern alles im Umgang mit der Krankheit beigebracht. Das ist nicht ohne. Jeden Tag gab es Schulungen über Ernährung, Technik und den Alltag allgemein. Lesen Sie auch: Bekannte ehemalige Geschäftsfrau aus dem Kreis Gütersloh bekommt ein Happy End Das Abwiegen und Kohlenhydrate zählen gehört nun ins Familienleben. Der mittlerweile dreijährige Aaron trägt eine Insulinpumpe an einem Gürtel, die ihn mit Insulin versorgt. Auf jedes Essen müssen Eltern und Betreuer reagieren. Die Blutzuckerwerte schwanken. Aarons Körper kann das lebenswichtige Hormon nicht selber produzieren. Die Werte verändern sich je nach Nahrung, aber auch beim Sport oder wenn Stress auftritt. Ein Sensor an Aarons Arm ist mit einer Handy-App verbunden, der junge Versmolder steht quasi permanent unter Aufsicht. Auch im Kindergarten. Wer zahlt die Betreuungskraft für das Kind? Und genau das wird zum Problem. Aaron besucht die evangelische Kindertagesstätte in Loxten. &bdquo;Dort ist er wirklich gut aufgehoben“, sagt Lisanne Berger. Die Erzieherinnen bildeten sich nach der Diagnose fort und machten eine besondere Schulung. Derzeit besucht Aaron eine kleine Gruppe mit etwa zehn Kindern. Hier ist die Betreuung noch möglich. Aber er soll altersgemäß im Sommer wechseln. In der größeren Gruppe ist der Betreuungsschlüssel anders, die Erzieherinnen können dann nicht mehr so genau hinsehen. Also: Eine Betreuungskraft müsste her. Das ist problematisch. Denn so ganz klar ist nicht, wer sie bezahlt. Seit Monaten kämpfen die Bergers mit ihrer Krankenkasse und dem Sozialverband LWL, der unter anderem für Inklusionskräfte verantwortlich ist. Bei anderen Betroffenen sei immer unterschiedlich entschieden worden Eine medizinisch geschulte Fachkraft könnte die Versmolder Familie mit Hilfe einer Einrichtung in Bielefeld bekommen. Dass der Bedarf da ist, liegt auf der Hand. &bdquo;Aber die Behörden sind sich nicht einig darüber, ob es sich um medizinische Leistungen oder Inklusion handelt. Deshalb ist unklar, wer bezahlt“, sagt Lisanne Berger. Das Problem ist flächendeckend. Berger hat Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe. Dort engagieren sich etwa 50 Betroffene. &bdquo;Bei jedem wurde anders entschieden. Eine Mutter musste sogar ihre Arbeit aufgeben, um ihr Kind in der Kita zu betreuen. Eine andere hat ihr Homeoffice in einen Nebenraum einer Tagesstätte verlagert.“ Für das Thema Inklusion ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit Sitz in Münster zuständig. Dort kennt man die Problematik und schaut genau hin. &bdquo;Die Betreuungs- und Unterstützungsbedarfe von Kindern im Kindergartenalter mit Diabetes Typ 1 sind keinesfalls bei allen Kindern gleich, sondern variieren von Einzelfall zu Einzelfall sehr stark, deshalb gibt es hier kein Standard-Verfahren“, sagt Pressesprecher Markus Fischer auf Anfrage. So äußert sich der LWL in der Angelegenheit Kindertagesstätten erhalten bei einer (drohenden) Behinderung zusätzliche Finanzmittel. &bdquo;Sollten diese Leistungen für Kinder mit besonders hohen Förderbedarf nicht bedarfsdeckend sein, werden durch den LWL darüber hinaus sogenannte zusätzliche individuelle Leistungen für einen weitergehenden Personalaufbau gewährt“, so Fischer. Grundsätzlich sei es also möglich, so der LWL, zusätzliches Personal einzusetzen. Leistungen des LWL und medizinische Leistungen der Krankenkassen &bdquo;sind zwar zwei selbstständige separate Leistungen“, so Fischer, &bdquo;gerade bei kleinen Kindern mit Diabetes sind die Übergänge häufig fließend“. Lesen Sie auch: &bdquo;Die Lage ist beispiellos“: Ehrliche Worte von Chefin des Gütersloher Klinikums Um in den Fällen, in denen beide Leistungsbereiche betroffen sind, mehr Rechtssicherheit und Klarheit zu schaffen, werden aktuell Gespräche zu übergreifenden Kostenvereinbarungen aus einer Hand in NRW geführt. &bdquo;Wir sind zuversichtlich, dass diese bald positiv zu einem Abschluss zwischen Krankenkassen und Landschaftsverbänden gebracht werden“, meint der Sprecher. SPD-Politiker Thorsten Klute hat sich inzwischen eingeschaltet &bdquo;Solche Fälle häufen sich immer mehr“, sagt SPD-Landtagsabgeordneter Thorsten Kute. Er hat mit Familie Berger Kontakt aufgenommen und verspricht, sich politisch einzusetzen. Denn in solchen Fällen &bdquo;bleibt die berufstätige Familie auf der Strecke. Das darf nicht sein.“ Die Belastung tragen auch die Kindertagesstätten mit. Bei der evangelischen Kita in Loxten legt sich das Personal jedenfalls ins Zeug, um den Alltag von Aaron Berger so gut wie möglich zu gestalten. &bdquo;Bei uns ist jedes Kind herzlich willkommen“, sagt Leiterin Birte Siekendieck. Inklusion wird in Loxten seit 1995 großgeschrieben. Zwei ausgebildete Heilpädagoginnen arbeiten in der Einrichtung. So gelingt die Inklusion. Doch bei Aaron kommt ein hoher pflegerischer Aufwand hinzu. Kita will weiterhin die Betreuung übernehmen &bdquo;Das erfordert eine Eins-Zu-Eins-Betreuung“, sagt Siekendieck. Denn die Blutzuckerwerte würden stark schwanken, je nach Aktivität des Kindes. &bdquo;Dabei können lebensbedrohliche Situationen entstehen“, weiß die Leiterin. So weit solle es auf keinen Fall kommen. Daher ist aus ihrer Sicht eine zusätzliche Betreuungskraft angemessen. Birte Siekendieck konkretisiert: &bdquo;Medizinische und soziale Betreuung sind zwei verschiedene Paar Schuhe.“ Sie versichert aber: &bdquo;Sollte es keine zusätzliche Betreuungskraft geben, werden wir alles Mögliche umsetzen, um jedes Kind bestmöglich zu betreuen.“ Familie Berges indes rechnet nicht mehr mit einer schnellen Entscheidung der Behörden, ist aber hoffnungsvoll. &bdquo;Ich hoffe, dass andere Eltern mit so einem Problem irgendwann nicht mehr diesen Stress durchstehen müssen.“

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