Lohnt sich ein Passivhaus? Architektin aus dem Kreis Gütersloh über Vor- und Nachteile

Steinhagen. Als 2013 die Bauarbeiten zwischen dem Hilterweg und dem Steinhagener Bürgerpark begannen, galt die dort geplante Klimaschutzsiedlung als höchst innovatives Projekt. 33 Gebäude sollten entstehen, alle als Drei-Liter- oder Passivhaus. Steinhagen hatte die Landesregierung überzeugt, am Projekt &bdquo;100 Klimaschutzsiedlungen in Nordrhein-Westfalen“ teilnehmen zu dürfen und konnte so Fördergelder abstauben. Der Ort gehörte zu den kleineren beteiligten Kommunen, vor allem aber machte das Steinhagener Rathaus etwas Außergewöhnliches, das sich nur die wenigsten trauten. Die Verwaltung plante und vermarktete die Siedlung komplett selbstständig, statt – wie üblich – auf einen erfahrenen Bauträger aus der freien Wirtschaft zu setzen. So habe man besonders &bdquo;günstige Preise“ für die Grundstücke aufrufen können, erläutert Bauamtsleiter Stephan Walter. Mit 110 Euro pro Quadratmeter plus Erschließung sei man ziemlich preiswert unterwegs gewesen. &bdquo;Das Steinhagener Modell könnte beispielgebend für ganz Nordrhein-Westfalen sein“, warb der damalige Bürgermeister Klaus Besser. Die Zahlen seien für das Gelingen des Projekts entscheidend gewesen, erklärt Stephan Walter. Immerhin hätten die Kosten für ein Passivhaus damals bis zu 25 Prozent über denen für ein &bdquo;normales“ Haus gelegen. Tatsächlich bekamen die Bauherren einen ganzen Katalog mit Vorgaben überreicht. &bdquo;Die Auflagen im Baugebiet lagen weit über dem Standard“, so der Amtsleiter. &bdquo;Das bedeutet natürlich einen großen finanziellen Input.“ Am Ende bauten deshalb auch nur drei Bauherren echte Passiv-Einfamilienhäuser. Die anderen nahmen etwas höhere Verbräuche in Kauf. &bdquo;Steinhagener Modell beispielgebend für ganz NRW“ &bdquo;Auch wenn es sich am Ende amortisiert, das Geld muss man erst mal haben“, bestätigt Hildegard Fuest. Die Architektin bewohnt eines der drei extrem sparsamen Gebäude. Sie selbst habe sich 2016 bewusst, aus purem Idealismus, für diese teure Art zu bauen entschieden, auch wenn sie Risiken barg. &bdquo;Wir wussten alle nicht, was in den folgenden Jahren passiert. Man konnte nicht in die Glaskugel schauen. Zuletzt habe ich gedacht: Alles richtig gemacht.“ Steigende Gas- und Öl-Preise lassen sie kalt, genauso wie geplante Öl-Heizungs-Verbote. &bdquo;Unsere laufenden Energiekosten sind minimal.“ Das Passivhaus von Hildegard Fuest wird über eine kleine Erd-Wärme-Pumpe geheizt. Der Strom dafür kommt aus der eigenen Solaranlage. Entscheidender ist aber noch die extrem gute Dämmung des Hauses in Kombination mit einer Zwangsbelüftung, die dafür sorgt, dass keine Energie zum Beispiel durch die Fenster verloren geht. Besonders diese Technik ließ vor knapp zehn Jahren viele kritisch auf Passivhäuser blicken. &bdquo;Am Anfang waren viele skeptisch“, bestätigt die Architektin. Wohnen im Kreis Gütersloh: Das sind die günstigsten und teuersten Wohnviertel &bdquo;Darf ich überhaupt die Fenster öffnen? Zieht es da immer wegen der Lüftungsanlage? Da gab es viele Zweifel“, weiß auch Stephan Walter. Unberechtigt, wie beide heute wissen. Natürlich könne man die Fenster öffnen. &bdquo;Man muss es aber eben nicht“, sagt Fuest. Tatsächlich sei das Raumklima immer angenehm. Von Zugluft könne ebenfalls keine Rede sein. Finanziell habe sich der höhere Immobilien-Kredit durchaus gelohnt. Dank steigender Energiepreise rentieren sich die Mehrkosten. Bauherrin aus Steinhagen zieht nach acht Jahren Resümee Tatsächlich sei das Haus so gut gedämmt, dass sie im Winter schon mal Eisblumen auf den äußeren Scheiben habe, während es innen mollig warm sei. Schon Gäste, die zusätzliche Körperwärme abstrahlten, machten bei der Temperatur im Haus einen Unterschied. &bdquo;Wenn ich die Weihnachtsgans für acht Gäste aus dem Ofen hole, muss ich die Fenster aufreißen“, sagt die Hausherrin. Selbiges gelte für den Föhn im Badezimmer. Tatsächlich könne sie mit ihrer Fußbodenheizung gegebenenfalls sogar gegenkühlen. Wegen der Dämmung ist Hitze ein größeres Problem als Kälte. &bdquo;Wir müssen aufpassen, dass nicht zu viel Wärme ins Haus kommt“, erläutert die Immobilien-Expertin. Vor allem im Sommer fahre sie teilweise schon früh die Rollos herunter, um die großen Fenster zu beschatten. Sonst werde es im Haus unangenehm. Lesen Sie auch: Neubau mit 21 Wohnungen im Kreis Gütersloh geplant – Anwohner wehren sich gegen Pläne Nach ihrer Erfahrung seien die meisten der Bewohner der Klimaschutzsiedlung mit ihrer Entscheidung, dort zu bauen, rückblickend glücklich. Besonders ist das Viertel nicht nur wegen der sparsamen Gebäude. Eine Rolle bei der Planung spielte auch die Nähe zum Ortskern. Hildegard Fuest zum Beispiel kann alle Erledigungen zu Fuß oder mit dem Rad machen. Das spart ebenfalls CO2. Gleichzeitig sind die Nachbarn gut vernetzt. Zwei Mal im Jahr treffen sie sich zum &bdquo;Sommer-“ und zum &bdquo;Glühweinfest“ auf dem eigens angelegten &bdquo;Quartiersplatz“. Per Whatsapp-Gruppe werden schon mal Gartenpflanzen getauscht. Steinhagener Architektin sicher: Passivhaus? Gerne wieder Aus Hildegard Fuests Sicht ist klar: Passivhaus? Sofort wieder! Ob sich die fast energieautarken Immobilien durchsetzen, bleibt trotzdem fraglich. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits haben immer weniger Familien das nötige Geld, um über dem Mindeststandard zu bauen, während die Baukosten weiter steigen. Tatsächlich sieht Stephan Walter sogar eher eine Entwicklung weg vom eigenen Häuschen. &bdquo;Das klassische Einfamilienhaus wird irgendwann nicht mehr bezahlbar sein“, sagt der Steinhagener Bauamtsleiter. Dazu kämen veränderte Lebenskonzepte. &bdquo;Viele junge Familien fragen sich zunehmend: Wollen wir wirklich 700.000 Euro für ein Haus ausgeben?“ Paradoxerweise kommt noch die Erderwärmung hinzu, die Klimaschutzsiedlungen zunehmend infrage stellt, denn: Je wärmer die Winter werden, desto weniger Sinn macht eine teure Dämmung. Und der Klimawandel überrennt Deutschland bekanntlich mit großen Schritten. Daran konnten auch die &bdquo;100 Klimaschutzsiedlungen in Nordrhein-Westfalen“ nichts ändern. Das &bdquo;Steinhagener Modell“ der Selbstvermarktung hat sich übrigens ebenfalls bewährt. Auch wenn im Ort bisher keine weiteren Klimaschutzsiedlungen entstanden, bleibt das Rathaus bis heute dabei, Wohngebiete komplett selbst zu planen und zu vermarkten. So konnte man auch beim neuesten Projekt in Amshausen besonders günstige Bauplätze anbieten für Bauherren, die sich bereit erklärten, auf besonders hohe Umweltstandards zu achten. Aktuelle Nachrichten bekommen Sie täglich über den Whatsapp-Kanal der NW Gütersloh

Meistgelesen