Das Grauen kehrt als Theaterstück zurück

Schloß Holte-Stukenbrock. Den ehemaligen Zwangsarbeiter Ferdinand Matuszek hat Michael Grunert schon oft gespielt. Aber dieses beklemmende Stück an diesem Ort des tausendfachen Todes aufzuführen, ist auch für den erfahrenen Schauspieler eine Ausnahmesituation. Im April 2018 hat Grunert die Lebensgeschichte des Ferdinand Matuszek zum ersten Mal in Bielefeld aufgeführt. Dann überwiegend bei Anlässen, die sich thematisch mit der NS-Zeit auseinandersetzen, und in Schulen. &bdquo;Das Stück löst auch etwas bei Jugendlichen aus, die sich nicht mit dem Nationalsozialismus auskennen", sagt Grunerts Ehefrau und Texterin Regina Berges. Sie erkennen Parallelen zur aktuellen Flucht und Vertreibung. Andere Jugendliche sind selbst vor dem Krieg geflohen. Das Theaterstück &bdquo;Im Herzen ein Nest aus Stacheldraht" basiert auf dem Buch &bdquo;Ich hatte nichts gegen Deutsche, nur gegen Faschisten". Darin erzählen die Historiker Oliver Nickel und Friedhelm Schäffer die Lebensgeschichte des Polen Ferdinand Matuszek. Er ist nicht geflohen, SS-Schergen hatten ihn 1942 mit vielen anderen Jugendlichen im Alter von 15 Jahren aus seiner ostgalizischen Heimat verschleppt. Er landete schließlich als Zwangsarbeiter auf einem Bauernhof in Rehme bei Bad Oeynhausen. Auch wenn er dort gut behandelt worden war, hat er viel Leid gesehen, erlebt – und überlebt. Eng an der Buchvorlage Ferdinand Matuszek hat lange geschwiegen, bis er sich traute, über seine Erlebnisse zu sprechen. Vor einem größeren Publikum tat er das 2013 in der Gedenkstätte in Stukenbrock-Senne – ebenfalls in der ehemaligen Entlausung, in der jetzt auch das Stück des Theaterlabors Bielefeld aufgeführt wurde. Matuszeks Schilderungen haben damals bei den Teilnehmern einiges ausgelöst: Demokrat Ramadani brachte die Geschichte mit dem Drei-Schulen-Theater auf die Bühne, Friedhelm Schäffer und Oliver Nickel haben Matuszek anschließend häufig getroffen und dessen Erinnerungen in Bild, Ton und auf Papier festgehalten. Daraus ist das Buch entstanden. Das Manuskript hat Ferdinand Matuszek noch lesen können, das fertige Buch jedoch nicht mehr erlebt. Er starb am 11. Juli 2014 im Alter von 88 Jahren. Das Theaterstück hält sich eng an die Buchvorlage. Texterin und Regisseurin Regina Berges erzählt das Leben nicht chronologisch. Sie springt in Zeit und Ort. Das bringt Wendungen in das Kammerspiel, ohne jedoch den Zuschauer zu verwirren. Rahmen des Stücks ist die Frage, ob Ferdinand Matuszek nach all den schlimmen Erfahrungen sein Leben als glücklich bezeichnen kann. Michael Grunert ringt als Ferdinand Matuszek um eine Antwort. Gutes zieht Böses nach sich, auf Böses folgt wiederum Gutes. Das ist der Ringkampf des Lebens. &bdquo;Alles tot – und ich? Lebe ich?" Der Zuschauer sieht Michael Grunert als jungen Ferdinand Matuszek, der aus Mitleid jüdischen Häftlingen Brot zuwirft. Dem Häftling, der nach dem Brot greift, schlägt ein Soldat mit dem Gewehrkolben die Zähne aus. Ferdinand Matuszek fühlt sich schuldig und sucht nach Entschuldigungen. &bdquo;Warum hat er das Brot auch genommen?" Oder Matuszek, der sich mit einem deutschen Mädchen befreundet, obwohl das laut Polenerlass streng verboten ist und von den Nazis hart bestraft wird. Matuszek muss eine Exekution mit ansehen. Ein Pole wird gehenkt, dessen deutsche Freundin in ein Lager geschickt. Warum darf die Liebe nicht sein? Oder Matuszek, der einem Häftling eine Kartoffel überlässt. Für den Besitz wird der Häftling erschossen. Viele Jahre später besucht Matuszek dessen Grab auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof in Stukenbrock-Senne. &bdquo;Das war ihm sehr wichtig", sagt Gedenkstättenleiter Oliver Nickel. Und immer wieder Geräusche von Zügen, die über Schienen rattern. So ein Transport hat Ferdinand Matuszek aus seinem alten Leben gerissen. Wo versteckt sich das Glück? Wo ist es zu suchen? &bdquo;Andere waren schlimmer dran." Jetzt singt er wieder Knapp eine Stunde lang ist Michael Grunert allein auf der Bühne. Ein spärliches Bühnenbild. Stacheldraht, vereinzelt Familienfotos. Ab und zu Videoeinspieler, die den Bezug zu heutigen Krisen herstellen: Geflüchtete in einem überfüllten Boot, Soldaten, die einen Zaun bewachen. Allein das Stück berührt. Gespielt in der ehemaligen Entlausung, wirkt es erdrückend. &bdquo;Das ist der Ort, wo es hingehört", sagt Regisseurin Regina Berges. &bdquo;Ferdinand Matuszeks Schicksal ist eines unter vielen." Das Publikum ist berührt, aber begeistert. Ähnlich geht es dem Gedenkstättenleiter Oliver Nickel, bei dem am Ende des Stückes viele Erinnerungen an Ferdinand Matuszek aufkommen. Zwei Wochen vor seinem Tod hatte Matuszek mit Jugendlichen die Gedenkstätte besucht und ihnen in der Entlausung das russische Lied &bdquo;Katjuscha" vorgesungen. Im Krieg hatten er und die anderen Deportierten es während der Arbeit gesungen. Jetzt singt er es wieder. Im Video, auf der Leinwand. Als er fertig ist, lächelt er.

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