„Tiere sollen als Mitgeschöpfe geachtet werden“

Herr Härtel, warum sind Sie Tierarzt geworden?Wolf Härtel: Ich bin damit aufgewachsen. Mein Vater war auch Tierarzt. Den Beruf kenne ich also seit meiner Geburt. Ich mache genau das, was mich von klein auf begeistert hat. Und mir liegt das Wohl der Tiere am Herzen. Die Tierrechtlerin und Tierärztin Astrid Reinke bezeichnet Ponykarussells als &bdquo;eklatanten Tiermissbrauch und Quälerei". Sie argumentiert: &bdquo;Ein Pferd aus einem Ponykarussell wird nicht zu Ihnen sprechen. Somit kann das Veterinäramt nicht nachweisen, dass die Tiere leiden, solange sie zum Beispiel nicht abgemagert sind oder bluten." Nun kann ein Pony aber auch nicht sagen, dass es ihm gut geht. Woran erkennen Sie, dass ein Tier sich wohlfühlt?Härtel: Es ist gesund, wach, gut genährt, nicht lahm, neugierig und interessiert. Es macht einen guten Eindruck. Und die Kollegen vom Veterinäramt sind genauso studierte Leute wie die Kollegin Reinke. Sie spricht diesen Kollegen die Fachkompetenz ab. Auf den Begriff &bdquo;Nutztier" angesprochen, sagt die Tierrechtlerin: &bdquo;Keiner hat uns das Recht gegeben, Tiere nutzen oder benutzen zu dürfen. Der Begriff suggeriert auch, dass Hühner, Schweine, Rinder weniger Empfinden haben als etwa ein Hund. Es macht uns zudem ein gutes Gefühl, das tun zu dürfen." Stimmen Sie diesen Aussagen zu?Härtel: Wie definiert man Nutztiere? Ist es wirklich ein Unterschied, ob ich ein Tier esse oder von ihm Milch gewinne oder ob ich einen seelischen Gewinn von dem Tier habe, wie beim Hund, der uns Freude bereitet. Das ist auch ein Nutzen. Und ob ich ein Pferd reite, mit einem Hund spazieren gehe oder eine Kuh melke – ich sehe da keinen großen Unterschied, ob ich einen körperlichen oder seelischen Nutzen von dem Tier habe. Also jedes Tier hat irgendwo seinen Nutzen. Es muss nur gut behandelt werden. Der Verbraucher hat Einfluss auf die Massenproduktion Nun gibt es in der konventionellen Lebensmittelproduktion sicherlich Dinge, die kritikwürdig sind, beispielsweise Hühner in Legebatterien oder Kleingruppenkäfigen. Wie viele Eier legen Hühner in solchen Haltungsformen im Jahr?Härtel: Mit Hühnern habe ich nichts zu tun. Da kann ich nur schätzen. Vielleicht 300 Eier pro Jahr. Aber Legebatterien sind seit 2010 in Deutschland verboten, und ab dem Jahr 2025 werden auch die Kleingruppenkäfige verboten. Da tut sich also etwas. Allerdings ist die Massentierhaltung in gewissem Sinn notwendig, um billige Lebensmittel zu produzieren, die vom Verbraucher nachgefragt werden. Weil allerdings der Verbraucher keine Eier aus Legebatterien mehr wollte, wurden sie abgeschafft und verboten. Allerdings gibt es Legebatterien noch im Ausland. Und von dort werden Eier wieder nach Deutschland importiert. Das ist also Augenwischerei. Die sogenannte Massentierhaltung wie der Verbraucher sie versteht, ist eine Folge der Geiz-ist-geil-Mentalität. Um mal den alten Bauernpräsidenten Constantin Freiherr Heereman von Zuydtwyck zu zitieren: Jeder Bauer ist bereit, jedem Huhn ein Eigenheim zu bauen – wenn der Verbraucher es bezahlt. Frau Reinke sagt, dass die Hühner nach einem Jahr fertig sind. Sie sagt: &bdquo;Sie werden leidvoll gefangen, transportiert, aufgehängt und oft unbetäubt geschlachtet – bevor sie sauber verpackt im Regal liegen."Härtel: Es mag sein, dass Einzeltiere nicht korrekt betäubt werden. Das kann passieren beim Schlachten. Aber der Schlachtprozess wird überwacht von Tierärzten, die darauf aufpassen, dass das nicht passiert. Es sollte die Ausnahme sein. Tatsache ist, dass von diesen Hühnern wirklich alles verwertet wird. Tiere, an denen noch genug Fleisch ist, werden als Suppenhühner auf den Markt gebracht. Andere werden zu Brühwürfeln verarbeitet. Es wird alles genutzt. Eine Position der Tierrechtler lautet: Man muss keine Tiere in Gefangenschaft halten und züchten, um sie zu töten und aufzuessen. Es geht anders. Und wenn es ohne Leid geht, müssen wir als vernunftbegabte Menschen anders handeln. Wie könnte das aussehen?Härtel: Das weiß ich nicht. Die Alternative der Nichthaltung von Tieren und der Verzicht von Zucht heißt, dass wir jagen müssen und auch das wird von Tierrechtlern abgelehnt. Die logische Folge wäre für mich, dass alle Menschen Veganer oder Vegetarier werden müssen. Das lese ich daraus. Aber das ist uns biologisch nicht gegeben. Der Mensch ist ein Allesfresser. Wir brauchen tierisches Protein. Na gut, aber es gibt genug Vegetarier, die auch ohne Fleisch gut zurecht kommen . . .Härtel: Ja, ja, aber wenn Sie einen Menschen von Geburt an ausschließlich pflanzlich ernähren, wird dieser Mensch sehr schnell mit Mangelerkrankungen zu kämpfen haben. Das ist nachgewiesen. Und ich weiß nicht, ob man die Welt rettet, indem man sich aus Südafrika den Quinoasamen hierher holt. Nochmal: der Mensch ist ein Allesfresser. Da brauchen Sie sich nur unser Gebiss anzuschauen. Das ist ein Allesfressergebiss. Richtig ist allerdings, dass wir in unserer Luxusgesellschaft zu viel tierisches Eiweiß aufnehmen. Vegetarismus bedeutet, dass durchaus auch Eier und Milch konsumiert werden kann. Veganismus hingegen wird ohne zusätzliche Ergänzungen zu Problemen führen. Massentierhaltung wird nicht nur von Tierrechtlern kritisiert. Entscheidungen kann aber nur der Markt herbeiführen. Es geht also um den Preis. Da gibt es den Spruch: Wer sein Brathähnchen für 2,60 Euro im Supermarkt kauft, gibt an der Kasse sein Recht ab, gegen Massentierhaltung zu protestieren . . .Härtel: Wie definiert man Massentierhaltung? Gerade große Betriebe sind oft vorbildlich Viele Tiere auf zu engem Raum.Härtel: Ich kenne die Aussage, dass alles über 300 Schweine in einem Betrieb eine Massentierhaltung ist. Ich kann Ihnen aber versichern, dass Betriebe, in denen 2.000, 3.000 oder 10.000 Schweine gehalten werden, die Tiere oft zu viel besseren Bedingungen halten als die kleinen Betriebe. Wie ist das zu erklären?Härtel: Wenn viele Tiere auf engem Raum in einem Stall stehen, vermehren sich Krankheiten oft explosionsartig. Und damit genau das nicht passiert, muss in dieser sogenannten Massentierhaltung alles optimal laufen. Und jeder Mastschweinebauer hat größtes Interesse daran, dass es seinen Tieren gut geht. Denn sonst würden die Tiere keine Leistung bringen, der Bauer würde nichts verdienen. Das ist die Krux: Ich weiß, dass viele Bauern auch lieber nur 20 Schweine hätten – aber damit lässt sich keine Familie versorgen, die bei Bauern oft aus mehreren Generationen besteht. Ähnlich ist es bei Milchbauern. Die müssen 100 oder 200 Kühe halten. Damit sind einige überfordert, und dann entstehen Situationen, die kritikwürdig sind. Aber es gibt sehr viele sehr gut funktionierende Massenproduktionen. Aus meiner Berufspraxis kann ich sagen: Gerade die großen Betriebe sind oft vorbildlich. Eine Frage zu den Kühen: Astrid Reinke sagt: &bdquo;Wie kann man einer Kuh ihr Kälbchen wegnehmen? Würden wir das bei Menschen dulden? Warum gucken Mütter weg? Es gibt doch kaum etwas Grausameres für Kind und Mutter . . ."Härtel: Zwischen Kuh und Kalb ist direkt nach der Geburt noch keine emotionale Bindung entstanden. Deshalb ist der Vergleich mit dem Menschen auch absolut unzulässig. Zurück zu den Schweinen. Die Ferkelkastration mit oder ohne Betäubung ist von der Politik auf die lange Bank geschoben worden. Fehlt es an Möglichkeiten?Härtel: Ja, eine ganz klares Ja. Die Möglichkeiten, die wir haben, sind unzureichend. Was passiert, wenn auf die Kastration verzichtet wird? Es werden dann Eber gemästet. Und wenn die in die Pubertät kommen, wird es im Stall fürchterlich. Die beißen sich gegenseitig in den Penis und verletzen sich sehr schwer. Das ist fehlender Tierschutz. Außerdem schmecken 20 Prozent der Bevölkerung beim Eberfleisch Urin. Um diesen Geschmack zu verdecken, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder wird das Fleisch so stark gewürzt, dass dadurch der Geschmack überdeckt wird, oder die Eber werden vor dem Schlachten geimpft, damit der Geruch verschwindet. Eine Nebenwirkung ist, dass die Hoden schrumpfen und die Libido erlischt. Beim Schwein. Also ICH mag das nicht essen. Das haben auch große Schlachtereien erkannt. Eine andere Möglichkeit ist, dass Tierärzte den Ferkeln in der ersten Lebenswoche eine Vollnarkose verpassen. Da würden sehr viele Tiere sterben. Und dann gibt es noch die Inhalationsnarkose, wie sie in der Schweiz praktiziert wird. Es ist aber sicher, dass bei dieser Art, auch wenn eine Maske verwendet wird, immer etwas Narkosegas daneben geht. Und das atmet der Bauer ein . . . Alles in allem gibt es keine vernünftige Alternative. In der Konsequenz sorgen die steigende Bürokratie und der Verbraucherwille dafür, dass kleine Betriebe aufgeben müssen, weil sie die geforderten Behandlungen einfach nicht bezahlen können. Übrig bleiben große und größte Betriebe, die diese Forderungen erfüllen können. Die Tierrechtlerin Astrid Reinke spricht davon, dass viele Menschen Tier und Lebensmittel nicht mehr als Einheit sehen. Das Kälbchen oder das Ferkel wird als niedlich empfunden, das Schnitzel oder der Braten als lecker. Dass dafür aber ein Tier sterben musste, wird ausgeblendet. Sie hat damit bestimmt Recht. Was könnte man machen, um die Menschen wieder zu sensibilisieren?Härtel: Ja, das ist so. Die Menschen dürften nicht mehr so realitätsfremd erzogen werden. Es sollte zur Grundbildung eines Menschen gehören zu wissen, wie Lebensmittel entstehen, wie man selbst kocht. Denn dafür müsste ein Stück Fleisch in die Hand genommen werden. In viel zu vielen Familien gibt es nur noch vorgefertigte Gerichte. Das ist Mangel an Bildung. Jäger sagen, dass sie helfen, die Population der Wildtiere im Gleichgewicht zu halten. Astrid Reinke sagt: &bdquo;Die Tiermedizin würde Mittel und Wege finden, um eine massenhafte Vermehrung von Wildtieren zuverhindern. Aber das ist nicht gewollt."Härtel: Wie soll das aussehen? Sollen wir Hormone an Fütterungsplätzen für Wildschweine zur freien Verfügung stellen? Hormone einfach in den Wald zu schmeißen ist sicherlich auch nicht gewollt. Entschuldigung, aber diese Argumentation ist vollkommener Unsinn. Tierschutz ist im Grundgesetz verankert Weiterhin sagt sie über Jäger: &bdquo;Jagd hat etwas durchaus Elitäres, was sich schon darin ausdrückt, dass sich die Jäger eine eigene Sprache gegeben haben. Lichter statt Augen, Strecke statt Leichen. Tiere werden wie ein gefühlloser Gegenstand dargestellt." Richtig? Härtel: Jedes Gebiet hat eine eigene Sprache entwickelt. Verstehen Sie etwas, wenn Sie sich mit einem Computerexperten unterhalten? Wir Mediziner reden untereinander in einer eigenen Sprache und Jäger eben auch. Das ist nun einmal so. Ich denke, dass Astrid Reinke den Jägern vorwirft, keinen Respekt vor Tieren zu haben.Härtel: Das kann ich absolut nicht bestätigen. Natürlich gibt es auch unter den Jägern schwarze Schafe – wie in jeder anderen Gesellschaft auch. Aber die allermeisten Jäger betreiben Hege. Die kümmern sich um viele Sachen. Ein großer Teil ihrer Zeit im Wald ist Beobachtung,. Die rennen nicht 100 Prozent ihrer Zeit durch den Wald und ballern um sich. Das Schießen macht vielleicht ein Prozent aus. Und die Jäger schießen auch nicht auf alles, was sich bewegt. Es gibt da ganz klare Regeln. Wildschweine kommen in unsere Gärten und Rehe fressen unsere Blumen ab, weil wir immer weiter in den Lebensraum der Wildtiere eindringen. Und Rehe laufen vors Auto, weil immer mehr Straßen durch ihren Lebensraum gebaut werden . . .Härtel: Ja, da ist etwas dran. Aber das kann man auch nicht zurückdrehen. Die Autos werden immer mehr und immer schneller. Da hilft nur Aufklärung und der Appell an die Vernunft. Ich halte dieses Aussage für eine Form von Populismus. Die Tierrechtlerin Astrid Reinke möchte, &bdquo;dass die Tiere in den Bereichen, wo sie uns ähnlich sind, auch ähnliche Rechte erhalten. Tiere müssen Persönlichkeitsrechte bekommen, denn sie sind Persönlichkeiten." Stimmen Sie da zu?Härtel: Ich glaube, da wird ein bisschen sehr viel hineininterpretiert. Ein Hund kann sehr viel nachmachen. Andere Tiere können sich sehr gut anpassen. Aber Persönlichkeitsrechte . . . Dürfen die dann wählen? Tiere sollen als Mitgeschöpfe unbedingt geachtet werden. Und die geltende Rechtslage gibt Tieren meiner Ansicht nach genug Rechte, dass sie geachtet werden. Wir müssen das aber auch entsprechend durchsetzen. Schließlich ist der Tierschutz mittlerweile im Grundgesetz verankert.

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