
Schloß Holte-Stukenbrock. Ich möchte ein Tattoo. Oder zumindest wissen, wie sich das Stechen anfühlt. Fest entschlossen und mit einem ganz schlichten Motivwunsch gewappnet gehe ich zum Tätowierer. Sascha Krist, Inhaber von Open Mind Tattoos, muss mich enttäuschen. Mein Motiv, ein kleiner feiner Ring um meinen Oberarm, eignet sich nicht. Stattdessen macht mir der Tätowierer einen Vorschlag, der für mich genauso schmerzhaft endet wie ein normales Tattoo.
Im Studio gucken mich verschiedene Zeichnungen von allen Wänden an. Neben besonderen Tattoomotiven hängen auch Fotos seiner beiden Hunde in einem Bilderrahmen. Der mittlerweile 14 Jahre alte Nemo sei sein Leben lang nicht alleine gewesen. Nachdem Sascha Krists Border Collie gestorben war, hat er damit begonnen, Nemo mit zur Arbeit zu nehmen. „Jetzt ist er ein Studiohund, das macht er ganz gut“, sagt er und guckt auf den Hund, der durch den Laden tapst.
Im vorderen Bereich werden an einer Theke mit Barhockern die Kunden betreut und Zeichnungen angefertigt, im hinteren Teil wird gestochen. „Ein Ring um deinen Oberarm sieht immer unsymmetrisch aus“, erklärt mir Tätowierer Sascha Krist. Dadurch, dass der Arm und die Haut an der Stelle immer in Bewegung sind, sieht so ein Ring nie kreisrund aus. Schnell habe ich mich von meinem Wunschtattoo verabschiedet. Ein anderes Motiv fällt mir aber auch nicht ein. „Wenn es Dir mehr darum geht, tätowiert zu werden, statt eine Tätowierung zu haben, dann können wir das Ganze auch einfach ohne Tinte machen“, sagt Krist. Wir machen einen Termin aus.
Jeder Tätowierer besitzt sein Spezialgebiet
Seit fast genau fünf Jahren gibt es Open Mind Tattoos jetzt in der Stadt. Alleine hat Sascha Krist damit begonnen, den Laden Stück für Stück aufzubauen, sagt er. Durch die Stammkundschaft, die sich ziemlich schnell etabliert hatte, konnte er seine Mannschaft vergrößern. Nach und nach seien Mitarbeiter und Tätowierer hinzugekommen. „Jeder bringt ein anderes Spezialgebiet mit. Der eine kann gut realistische Bilder stechen, der andere macht gerne Aquarelltattoos.“ Da sei das Studio mittlerweile gut aufgestellt.
Ich interessiere mich für die Tattoos allgemein. Gibt es viele, die eines ihrer Tattoos bereuen? Ja, sagt Krist. Er hat immer wieder Kunden, die zu ihm kommen und ein altes Tattoo gecovert haben möchten. Also ein altes Motiv in ein neues einarbeiten oder es mit einem anderen Tattoo überdecken lassen. Ein Privatsender strahlt eine Serie aus. „Horror Tattoos“ heißt das Reality-TV-Format. Dort können sich Menschen ihre alten Tattoos überdecken oder umarbeiten lassen.
Dass Schloß Holte-Stukenbrock eine Kleinstadt ist, das stört nicht. „Es kommen natürlich Kunden aus der Stadt an sich, aber viele haben auch eine weite Anreise, kommen aus Essen oder sogar aus Österreich“, erklärt mir Krist. Bei Tätowierern sei es oft so, dass die Kunden den Künstlern nachreisen. Weil er mittlerweile fünf Angestellte hat, die alle etwas anders spezialisiert sind, bringt auch jeder Tätowierer so seine Stammkunden mit, sagt er.
Ich begebe mich erneut zum Tattoostudio. Heute steht eine Harley-Davidson vor der Tür. Das passt ja zu dem Motorradhelm aus Stahl, der als Aschenbecher neben der Eingangstür steht, denke ich. Heute bin ich etwas aufgeregter als bei dem Vorgespräch. Krist klärt mich auf. Tätowiert man ohne Tinte, dann wird die Haut aufgerissen wie bei einem normalen Tattoo. Es gibt eine Strukturveränderung in der Haut, die Sascha Krist mit einer Schürfwunde vergleicht. Bis zu einem Jahr könne man ganz feine Linien erkennen. Aber wenn man die Kruste im Heilungsprozess nicht abkratzt, dann bleibt auch keine Narbe zurück und es entsteht nur ein Tattoo auf Zeit.
Der Tätowierer bittet mich auf einen mit einer Plastikplane ausgelegten Stuhl. Ich komme mir vor wie beim Zahnarzt, sage ich. „Es ist ja auch ein alter Zahnarztstuhl“, sagt Krist und lacht. Der alte, ausrangierte und orange-grüne Zahnarztstuhl fügt sich in das Gesamtbild des Studios ein. Die bunten Graffiti an der Wand sind nach und nach entstanden. „Wenn Gasttätowierer hier sind und wir dann nach Ladenschluss mal Bock haben, noch was zu machen, dann nehmen wir uns Farben und lassen uns aus“, sagt Krist.
Es entsteht Körperschmuck auf Zeit
Er baut das Arbeitsgerät auf. Alles muss steril sein. Handschuhe, Desinfektionsmittel, Plastiktüten, die um Kabel und Flaschen gelegt sind, damit sie für jeden Kunden einfach gewechselt werden können. Krist bespannt die Maschine. Er zeigt mir die Nadeln. Sieben feine Spitzen sind zu einer größeren Nadel zusammengelötet. Die Materialien sind alle schwarz. Handschuhe, Unterlagen, Plastikabdeckungen. Wären die Handschuhe weiß wie bei einem Arzt, dann sehen sie zu schnell dreckig aus. „Und natürlich hat es auch mehr Style“, sagt Krist lachend.
Jetzt wird es also ernst. Statt Tinte nimmt er gereinigtes Wasser, damit nicht ganz trocken tätowiert wird. Das würden noch mehr schmerzen. Ob ich aufgeregt bin, fragt Krist. „Es geht noch“, antworte ich ihm. Er schaltet die Maschine an. Sie ist laut. Lauter als ich gedacht habe. Sie klingt schon fast eher wie ein Hochdruckreiniger. Der niedrigfrequente Ton der summenden Maschine lässt den Puls dann doch steigen, obwohl ich weiß, dass es kein Tattoo für die Ewigkeit ist. Eines lässt sich Sascha Krist nicht nehmen. „Ich tätowiere dir jetzt das Logo unseres Studios.“ Eigentlich komme das Symbol aus dem Buddhismus und stehe für den Lebensweg: von der Geburt über verschiedene verschlungene Lebenswege bis hin zur Erleuchtung.
Krist setzt an. Das Tattoo kommt auf die Innenseite meines Oberarms. Mit einer Frequenz von 80 Hertz dringt die Nadel unter die Haut. Immer wieder. Es fühlt sich an wie beim Blutabnehmen. Nur dass die Nadel immer und immer wieder in den Arm sticht. So als würde beim Blutabnehmen nicht die richtige Vene getroffen werden. Nach einigen Sekunden habe ich mich an den Schmerz gewöhnt. Er ist unangenehm und es zwickt, aber es ist auszuhalten. Ich kann mir aber trotzdem nur schwer vorstellen, wie ich den Schmerz bei großen Tattoos stundenlang aushalten sollte. Im Vergleich zum Blutabnehmen kann ich aber gut zur Tattoonadel schauen, während Krist sie auf meinen Innenarm stechen lässt. Nach zwei bis drei Minuten ist er fertig. Hätte er Tinte genutzt, dann hätte es etwas länger gedauert.
Und tatsächlich, es bleibt eine Art Schürfwunde zurück. Damit diese heilen kann, so wie ich es mir gewünscht habe, gibt mir der Tätowierer noch eine „Tattoo-Butter“ mit. „Morgens und abends auftragen“, ist seine Anweisung.
Die Tattoonadel zum ersten Mal in der eigenen Hand
Als die Maschine wieder abgestellt und das wenige Blut von der Stelle meines Arms gewischt ist, darf ich noch etwas testen. Krist hat Moosgummi besorgt. Wenn ich mit dem Finger über das Material fahre, erinnert es mich an dünne Gummidichtungen. Es soll am ehesten einer menschlichen Haut nachempfunden sein. Damit kann ich ausprobieren, wie sich eine Tattoomaschine anfühlt und wie es ist, zu tätowieren. Er zeigt mir, wie meine Handstellung aussehen sollte. Mit dem Mittelfinger führen, Ringfinger und kleiner Finger als Stütze auf dem Moosgummi.

Ich versuche es. Die Maschine vibriert in der Hand. Es ist schwierig, die Hand so ruhig zu halten, dass sie nicht anfängt zu zittern. Ich soll erst meinen Namen schreiben. Krakelig, aber ich tätowiere ihn auf das Moosgummi. Dann macht es mir Sascha Krist noch einmal vor. Er sticht auf das Moosgummi erneut das Logo des Studios, das in den nächsten Monaten auch meinen Arm ziert. Danach bin ich dran und ich versuche mein Bestes, die vorgezeichneten Linien mit der pulsierenden Tattoonadel nach zu fahren. In den Kurven des Logos merke ich, wie die Nadel mehr Kontrolle über mich hat, als ich über die Nadel. Ich rutsche von der vorgezeichneten Linie ab. Die Hand, mit der ich mich auf dem Moosgummi abstütze, stockt etwas auf dem Material. Und das sehe ich auch beim Ergebnis. Krists Tattoo sieht neben meinem sehr elegant aus. „Wenn man keinen Unterschied sehen würde, dann würde ich ja auch irgendetwas falsch machen“, sagt Krist mit einem Grinsen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ich nicht die ruhige Hand habe, die ein Tätowierer braucht. Ich gebe Krist die Tätowiermaschine zurück, merke aber noch einige Zeit später stärker als gedacht die Vibration in meiner Hand. Noch ein bisschen länger merke ich das Zwicken und eine Wärme in der Wunde in meinem Oberarm.