Gütersloher Tönnies-Konzern reicht 4.000 Klagen beim Verwaltungsgericht ein

Kreis Gütersloh/Minden. Dem Verwaltungsgericht Minden steht nach der noch nicht abgearbeiteten Asylverfahrenswelle eine neue Klageflut ins Haus. Auf rund 4.000 bezifferte die 16. Kammer auf Nachfrage die Zahl der aus der Rhedaer Firmengruppe Tönnies eingereichten Klagen gegen das Land Nordrhein-Westfalen auf Entschädigungen für Lohnfortzahlung. Grund ist die coronabedingte Schließung des Betriebes und Geländes im Sommer 2020. Mit drei Verhandlungen am Donnerstag wurde der Berg nur unwesentlich kleiner. Stets geht es in den Verfahren um angesichts der öffentlichen Pandemiekosten und der Umsatzzahlen von rund 6,2 Milliarden Euro des Fleisch-Imperiums geringe Beträge. Geklagt wird auf staatlichen Ersatz für Lohnfortzahlungen nach der verfügten Schließung des Betriebes An der Mark in Rheda einen Tag nach dem am 16. Juni festgestelltem massenhaften Corona-Ausbruch mit 730 positiven Tests auf das Virus. Löhne mussten von Tönnies weitergezahlt werden Daraufhin wurde die Belegschaft bis auf einen Notdienst in häusliche Quarantäne für mindestens 14 Tage geschickt. Die Löhne mussten aber weitergezahlt werden. Es geht in den bisher verhandelten Einzelfällen meist jeweils um Nettolöhne zwischen 300 und 2.000 Euro. Dazu fordert Tönnies die Beiträge zu den Sozialversicherungen sowie weitere Lohnnebenkosten und Zinsen vom Land, das durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe vor Gericht vertreten wird. Der LWL hatte nämlich die Zahlungen abgelehnt. Seine Begründung: das Unternehmen trage zumindest eine Mitschuld, weil die Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend gewesen seien. Außerdem hätten die Firmen, allesamt aus der Tönnies-Gruppe, die Arbeitnehmer nach negativem Test auch anderswo einsetzen können, zum Beispiel in der Logistik auch in Ladbergen oder Weißenfels. Schließlich sei der Arbeitgeber laut Bürgerlichem Gesetzbuch verpflichtet, längerdienenden Beschäftigten auch ohne andere Schuld den Lohn fortzuzahlen. Die Gerichte setzen vielfach dafür einen Anspruch für 14 Tage fest – so lange, wie meist die Quarantäneabsonderungen verfügt wurden. Gerichtsverhandlung dauert fast vier Stunden Am Mittwoch in Minden ging es zunächst um einen Arbeiter aus der Lagerhaltung, die im Nordosten des großen Tönnies-Geländes in Rheda angesiedelt ist, umringt von und unter sich Betriebshallen des Fleischproduzenten Tillmanns. Im zweiten Fall sagte ein für die Elektrik und Elektronik an den Bändern und Maschinen zuständiger Schichtleiter aus. Er ist bei einem für die Betriebstechnik zuständigen Unternehmen aus dem verzweigten Konzerngeflecht zuständig. Alle Firmen sind miteinander verwandt oder verschwägert, um in der Gerichtssprache zu bleiben. Schließlich ging es in den fast vier Stunden Gerichtsverhandlung um eine frühere Mitarbeiterin im Werksverkauf direkt am Eingangstor zum Gelände, aber mit separatem Eingang. Ihre Quarantäne war unterbrochen worden, weil der Verkauf für die Versorgung des Notdienstes offen gehalten wurde. Zeugenaussagen sind wenig ergiebig Wie waren die hygienischen Schutzmaßnahmen vor Ausbruch der Pandemie im März, vor ihrer Absonderung und nach ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz, wollte das Gericht unter Vorsitz von Amrei Stocksmeyer von den Zeugen wissen. Wie wurde das kontrolliert, von wem, wie oft? Wie wurden sie informiert? Wie wurden die Vorschriften zum Maskenpflicht und Abstand eingehalten? Wann wurden sie von wem getestet? Die Antworten der Zeugen am Mittwoch waren unterschiedlich und teils wenig ergiebig. Alle berichteten über umfangreiche Information durch Vorgesetzte und schriftliche Aushänge, ebenso über Desinfektionsmöglichkeiten. Schwierig wurde es bei Fragen, ob das auch alles so schon eventuell sogar weit vor dem großen Corona-Ausbruch so war oder was sie bei der Rückkehr als neu festgestellt hätten. Tönnies wohl für pauschale Einigung offen Mit großer Beharrlichkeit, Geduld und Verständnis für Lücken im Erinnerungsvermögen zweieinhalb Jahre später fragte das Gericht nach Einzelheiten, nutzte das per Beamer an die Wände des Gerichtssaals geworfene Luftbild vom gesamten Betriebsgelände. Dort dürften sich die Richterinnen und Richter, wenn die Tönnies/Corona-Klagewelle wirklich von beiden Seiten so beharrlich fortgeführt werden sollte, bestens auskennen und wissen, wo von welcher Tönnies- Firma welche Dienstleistung für die anderen Tochterunternehmen erbracht wird. Ein kleines Gespräch der Verfahrensbeteiligten nach Schluss der Sitzung ließ ein zartes Hoffnungspflänzchen in der offenbar auch politisch kalten Zeit ein wenig erblühen. Einer pauschalen Einigung wolle man nicht im Wege stehen, wurde von Tönnies angedeutet und auf entsprechende Signale verwiesen. Das müsste er wissen, aber die seien bei ihm noch nicht angekommen, sagte der Rechtsvertreter des LWL darauf. Wenn es nur daran liegen sollte, könnte das Mindener Verwaltungsgericht schon mal etwas durchatmen. Es sei ja gerade eine besinnliche Zeit, wurde das Gespräch abgeschlossen.

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