Ex-Pflegerin: Aktuelle Debatte über Impfpflicht kommt gar nicht gut an

Frau Koroch, als ehemalige Pflegefachkraft und Pflegedienstleiterin nehmen Sie an der Online-Debatte "Digitales Pflegeforum" der SPD teil. Sie weisen darauf hin, dass Sie von vielen Kolleginnen wissen, dass das Fass übergelaufen ist. Wo sind sie beschäftigt? Michaela Koroch: Sie arbeiten in allen Bereichen, stationär und ambulant, in Rheda-Wiedenbrück und im Kreis Gütersloh, in Tag- und in Nachtdiensten. Was hören Sie von den Pflegedienstfachkräften? Koroch: Dass alles zu viel wird, dass sie bis oben voll mit Arbeit sind, dass ihre Belastungsgrenze erreicht ist, dass gesetzliche Ruhezeiten nicht eingehalten werden können und dass sie Pausen nicht nehmen können. Was ist die Folge? Koroch: Die Kolleginnen haben zu viele Überstunden. Oft müssen sie nach einem Spätdienst einen Frühdienst machen - geplant und ungeplant. Wenn sie dann nach 20 Uhr von dem einen Dienst kommen und der nächste bereits wieder um 6 Uhr oder noch eher beginnt, dann haben sie keine Möglichkeit, zu entspannen beziehungsweise abzuschalten. Hat man frei, mag man schon gar nicht mehr ans Telefon gehen, weil man befürchtet, dass es der Arbeitgeber sein könnte und will, dass man für eine Kollegin einspringen muss. Hat sich die Lage durch die Corona-Pandemie noch verschärft? Koroch: Ja, eindeutig. Corona hat die Schwachstellen offen gelegt. Die Überlastung der Pflegefachkräfte war schon immer da, ist jetzt aber um ein vielfaches gestiegen. Es gibt immer mehr Fehlzeiten wegen kranker Kolleginnen und damit für die anderen viel mehr Überstunden. Auch andere Belastungen sind größer geworden wie beispielsweise das ständige Tragen von Schutzkleidung im stationären Bereich. Was wünschen sich Ihre Kolleginnen? Koroch: Sie hätten gerne Verlässlichkeit bei den Arbeitszeiten und längere Ruhezeiten. Viele wünschen sich Supervisionen mit externen Experten, um über ihre Probleme sprechen zu können. Dazu kommt der Wunsch, dass Arbeitgeber die Möglichkeit nutzen, den Mitarbeiterinnen 1.500 Euro steuerfrei auszuzahlen. Doch auch da gibt es das Problem, dass das nur die großen Unternehmen finanziell können, das also nicht für alle in Frage kommt. Man könnte aber eventuell über eine Auszahlung von Überstunden, die gerade in der Corona-Zeit anfallen, nachdenken, die dann steuerfrei sein sollte. Das wäre eine Anregung für die Bundesregierung, mal etwas im Sinne der Pflegefachkräfte zu ändern. Würde das die Stimmung bei den Pflegekräften heben? Koroch: Vielleicht ein bisschen, es gibt aber noch weitere Probleme. Welche sind das? Koroch: Die aktuelle Debatte über Impfpflicht, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder angestoßen hat, kommt gar nicht gut an. Viele Kolleginnen meinen, dass doch erst mal untersucht werden soll, ob sie vielleicht schon immun sind - bevor es an ein pauschales Durchimpfen geht. Dieser Vorschlag wird also eher als Angriff empfunden? Koroch: Meines Erachtens ist diese Debatte völlig kontraproduktiv. Denn womit soll den Pflegefachkräften gedroht werden, wenn sie sich nicht impfen lassen? Etwa mit Entlassung? Das ist ja wohl ausgeschlossen, weil es sowieso viel zu wenig Pflegefachkräfte gibt, die man nicht auch noch vergraulen sollte. Das war also eine populistische Forderung. Stattdessen wäre eine bessere Aufklärung wünschenswert. Und so weit ich es mitbekomme, ist die Impfbereitschaft bei den Kolleginnen gegeben. Das ist ein aktuelles Thema, welche Probleme gibt es schon länger? Koroch: Da gibt es zum einen große Verunsicherung, wegen der vielen gesetzlichen Bestimmungen, beispielsweise bei Bewohnern einer Einrichtung mit Weglauftendenzen. Da hat man oft das Gefühl, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Denn diese Menschen dürfen und sollen nicht fixiert werden. Wenn sie dann aber weglaufen, stellt sich die Frage, wen die Schuld trifft, auch die moralische. Zum anderen wird die Bürokratie in der Pflege beklagt. Wir möchten wieder unserer ursprünglichen Vorstellung von unserem Beruf nachkommen. Das heißt pflegen, begleiten, beraten und wichtige Dinge natürlich auch dokumentieren und die medizinische Grundversorgung sicherstellen. Von welchen Emotionen berichten Ihre Kolleginnen? Koroch: Sie sprechen über totale Erschöpfung, sie können sich über nichts mehr freuen, sie können auch nicht mehr lachen. Sie werden ja auch selbst mit vielen Gefühlen konfrontiert, wie beispielsweise eine Kollegin. Sie hörte von einem über Hundertjährigen zu Weihnachten, dass er im Zweiten Weltkrieg den Heiligen Abend in einem Schützengraben verleben musste. Aber da war er mit einem Kameraden wenigstens nicht allein, so wie jetzt wegen Corona. Über welche Konsequenzen denken Ihre Kolleginnen wegen der Überlastung nach? Koroch: Viele überlegen, wie sie so schnell wie möglich aus dem Pflegeberuf wegkommen. Denn die Arbeitszeiten zu reduzieren nützt oft nichts. Dann wird man eben häufiger zum Einspringen gebeten. Das nennt sich dann &bdquo;freiwillige Pflicht". Der Beruf muss einfach attraktiver werden. Wie denn beispielsweise? Koroch: Neben der Bewältigung der genannten Probleme sollte man auch die Ausbildungsumlage überdenken. Denn die können viele Betriebe nicht zahlen. Zudem greifen Krankenkassen und Medizinischer Dienst die ausgebildeten Fachkräfte ab, zahlen aber selbst keine Ausbildungsumlage. Zudem hat man oft man das Gefühl, nur für den Medizinischen Dienst und die Heimaufsicht zu arbeiten. Da heißt es oft: &bdquo;Haben Sie alles vorbereitet, dass der MD und die Heimaufsicht jederzeit kommen können?" Das klingt nach viel Unzufriedenheit. Koroch: Es gibt viel Frust, das stimmt. Aber das heißt ja nicht, dass es allen Pflegekräften immer schlecht geht. Grundsätzlich machen die meisten ihren Beruf gern. Meistens zumindest. Doch die Rahmenbedingungen müssen auch stimmen.

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