Einsam in der Corona-Krise: Sie ist 91 Jahre alt und näht jetzt Masken

Frau Dageroth, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Masken zu nähen? ANNELIESE DAGEROTH: Mein Sohn erzählte mir, dass einige Frauen vom RepairCafé Behelfsmasken für Arztpraxen im Kreis Gütersloh nähen. Er fragte mich, ob das nicht auch etwas für mich wäre, da ich ja regelmäßig an der Nähmaschine sitze. Erst war ich skeptisch und fragte nach einem Schnittmuster, das ich dann bekam. Die Stadt Essen hatte ein Schnittmuster und bebilderte Arbeitsanweisung herausgegeben, nach der ich meinen ersten Versuch fertigte und an mir testete. Wie einfach ist die Anleitung? DAGEROTH: Die Arbeitsanweisung ist sehr gut aufgebaut und verständlich. Danach könnte jeder, der etwas Erfahrung mit einer Nahmaschine hat, für sich und seine Mitmenschen diese Masken nähen. Den Draht für die Nase habe ich aber weggelassen, denn die Masken müssen ja für die Kochwäsche geeignet sein! Es macht mir viel Spaß, weil ich weiß, dass die Masken dringend gebraucht werden und etwas helfen können. Ist das ein Anlass, sich wieder an die Nähmaschine zu setzen? DAGEROTH: Nähen ist meine Passion! Ich nähe mit Begeisterung seit circa 70 Jahren und habe meine komplette Garderobe selbstzugeschnitten und zusammengenäht – natürlich bis auf die Unterwäsche, die kaufe ich. Dabei habe ich viel Geld gespart und konnte mir das nähen und leisten, was ich haben wollte. Da bin ich sehr stolz drauf. Wie viele Masken fertigen Sie? DAGEROTH: Die Schwierigkeit anfangs war die Materialknappheit. Mein Sohn hat mich dann mit Stoff und auch Schrägbändern versorgt, die überall ausverkauft waren. Nun bekomme Stoff- und Garnspenden. Wenn es gut läuft, schaffe ich so 20 bis 25 Masken am Tag – sie müssen ja auch akkurat werden. Und ich muss mich ja auch noch um meinen Haushalt und Garten kümmern. Zum Glück versorgen mich meine Kinder, denn ich darf ja zur Zeit nicht einkaufen oder in die Stadt gehen. Wie ist das für Sie? DAGEROTH: Das ist ein sehr komisches Gefühl, hier festzusitzen. Auch die Enkel und Urenkel dürfen mich gerade nicht besuchen – eine sehr traurige und auch belastende Situation. Welche Resonanz bekommen Sie von Beschenkten? DAGEROTH: Direkten Kontakt mit den Nutzern habe ich ja leider nicht. Mein Sohn beschreibt mir aber die zufriedenen und dankbaren Reaktionen der Nutzer in den Arztpraxen und auch im Umfeld. Ich würde gerne persönlich sehen, wie die Masken ankommen. Welche Kontakte haben Sie momentan auf welchem Weg? DAGEROTH: Da ich nicht aus dem Haus darf und die Kommunikation durch meine Schwerhörigkeit sehr eingeschränkt ist, sehe ich zur Zeit ab und zu meine Kinder, die sich mir nur mit Mundschutz nähern und mir Lebensmittel bringen und mich mit Nähmaterial versorgen. Telefonieren ist für mich nicht möglich – wir kommunizieren per Fax. Vor dem Haus sieht man jetzt auch keine Menschen mehr. Da fühlt man sich gerade jetzt manchmal sehr einsam. Ist es bei all der Einsamkeit gut, eine Beschäftigung zu haben, damit Ihnen nicht die Decke auf den Kopf fällt? DAGEROTH: Grundsätzlich habe ich nie Langeweile – es gibt immer etwas in Haus oder Garten zu tun, gerade jetzt im Frühling. Täglich mache ich circa zwei Stunden Gehirnjogging – das hält mich geistig fit. Zum Backen komme ich augenblicklich leider nicht. Es gibt ja kein Mehl – eine verrückte Zeit! Was gerade weltweit abläuft habe ich beziehungsweise wir alle seit dem Zweiten Weltkrieg nicht erlebt und das ist schrecklich! Arztpraxen ohne Schutzausrüstung gegen diesen Virus – das hätte ich mir nie träumen lassen und das ist Realität geworden, hier bei uns in Rheda-Wiedenbrück. Da muss ich doch helfen – oder? Und das macht mir Freude, auch noch in meinem Alter! Dabei könnten viele andere auch mitmachen und sich aufraffen, um Gutes zu tun. Was werden Sie nähen, wenn die Corona-Krise vorbei ist? DAGEROPTH: Für mich etwas Neues zu nähen, das wäre sehr schön. Aber wird es eine Zeit nach Corona geben? Wer kann das heute wissen? Sollte es so sein, dann möchte ich als Erstes meine Enkel und Urenkel wiedersehen und erleben, wie sie sich entwickelt haben. Sich ungezwungen und frei bewegen, das wäre genauso wichtig – eben wie das Leben vor Corona.

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