Rheda-Wiedenbrück. Der Morgen beginnt mit einer Entscheidung, die für die nächsten Stunden elementar sein wird: Sollte man vor einer Reportage aus dem Operationssaal frühstücken oder besser nicht? Sicherheitshalber bleibt es nur beim Kaffee – schließlich will man den OP-Schwestern nicht noch zusätzliche Arbeit machen und gleich beim ersten Skalpellschnitt umkippen. Vor Ort wird sich zeigen, dass diese Sorge unbegründet war, denn ein Besuch im OP ist so spannend, dass dem Magen gar keine Zeit bleibt, sich umzudrehen.
Im Sankt Vinzenz Hospital in Rheda-Wiedenbrück sind an diesem Tag 14 Eingriffe in den drei Operationssälen geplant. Klaus Küppers, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie, wird heute bei drei der Patienten Implantate einsetzen. Er ist mit seinem Team manchmal die Rettung für Menschen mit „kaputten" Knochen oder Gelenken – ob gebrochen oder morsch. Sein Spezialgebiet neben der Unfallchirurgie sind die Endoprothesen, also Implantate, die er in den meisten Fällen in Knie oder Hüften einsetzt.
Skalpell, Zangen, Klammern, Hammer und Meißel
Während der erste Patient um 7.30 Uhr im Vorbereitungsraum darauf wartet, dass es los geht, laufen im Hintergrund zahlreiche Prozesse zusammen. In der Zentralsterilisation werden die Siebe mit den Instrumenten gepackt, die OP-Schwestern bereiten den Saal vor und sorgen dafür, dass alles steril und an seinem Platz ist, was die Chirurgen für den Eingriff benötigen werden – eine Art Werkzeugkoffer, der vom Skalpell über Zangen, Klammern, Hammer und Meißel bis hin zu verschiedenen Sägen und einer Bohrmaschine an das Equipment eines Hobbykellers erinnert.
Als das Ärzteteam, Oberarzt Salam El-Mahmoud und Assistenzarzt Rahed Abo-Hussein, den Saal betritt, schlummert der Patient bereits friedlich auf dem OP-Tisch. Er bekommt heute ein neues Kniegelenk, denn das eigene ist nach 57 Lebensjahren und körperlicher Arbeit so abgenutzt, dass jede Bewegung schmerzt.

Schwere Schürzen sorgen für schweißtreibende Momente
Der Anästhesist hat seinen Stammplatz am Kopfende, die Werte auf den Überwachungsmonitoren signalisieren Stabilität. Schwester Sandra hilft den Ärzten in sterile Kleidung, unter der die Röntgenschürzen verschwinden, die hier alle während der gesamten OP tragen müssen. In Kombination mit dem hohen Kraftaufwand, mit dem die Chirurgen in der nächsten Stunde arbeiten werden, sorgen die schweren Schürzen für schweißtreibende Momente. Weil der richtige Sitz der Prothesen während der OP immer mit Röntgenbildern überprüft werden muss, lässt sich das aber nicht vermeiden.

Mit Chefarzt Klaus Küppers ist das Team vollständig. Neben dem Operateur gehören zwei weitere Chirurgen, ein Anästhesist und eine instrumentierende Schwester dazu. Eine Springerin übernimmt alle Wege zwischen dem sterilen und nicht sterilen Bereich. Heute ist Schwester Sandra die Brücke, während Schwester Gabi am Tisch mit den Instrumenten steht.
"Ein OP-Team kann man trainieren wie eine Fußballmannschaft"
Sie weiß genau, was die Operateure brauchen und vor allem: wann. Alle Abläufe sind perfekt aufeinander abgestimmt und folgen einer standardisierten Choreografie, um bestmögliche Qualität für den Patienten zu garantieren. „Ein OP-Team kann man trainieren wie eine Fußballmannschaft.", sagt Küppers, der seit mehr als 20 Jahren am Operationstisch steht und sich jetzt zunächst darauf konzentriert, im Knie den Platz zu schaffen, den das neue Gelenk für eine gute Funktion braucht.
„Je weniger ich wegschneiden muss, um so besser. Ab ist eben ab", beschreibt der Chefarzt den Augenblick, ab dem es kein Zurück mehr gibt. Das Besondere am Knie sei, dass es für eine gute Funktion beweglich und stabil bleiben müsse, beim Strecken wie beim Beugen.
Durch Haut, Muskeln und Knochen
Die Implantate gibt es in bis zu zehn verschiedenen Größen, Springerin Sandra hält mehrere bereit, falls die Operateure während des Eingriffs noch Abweichungen von der geplanten Implantatgröße feststellen. Bis die Kartons mit den steril verpackten Teilen geöffnet und sie schließlich eingesetzt werden können, ist es aber noch ein langer Weg – durch Haut, Muskeln und Knochen.
Halbzeit: Mit der Entfernung des Meniskus – oder besser gesagt dem Drittel, das noch von ihm übrig war – und dem Abmeißeln von überschüssigen Knochenbrücken ist das Knie für die Implantation vorbereitet. Klaus Küppers vergleicht den Verschleiß mit einem Auto, bei dem die Reifen abgefahren sind.
Lokale Betäubung ums Kniegelenk
Die Prothese selbst besteht aus drei Teilen, die millimetergenau angepasst und eingebaut werden. Zwischen Bohren und Sägen ist jetzt immer wieder Feinarbeit und höchste Präzision gefragt. Denn im besten Fall wird der Mann das künstliche Gelenk für den Rest seines Lebens gar nicht merken. Früher hätte er damit leben müssen, dass sein Knie steif wird.
Bevor die Wunde Schicht für Schicht genäht wird, kommt eine lokale Betäubung um das Kniegelenk zur Anwendung, damit die Schmerzen nach dem Aufwachen gering bleiben. Denn dann beginnt Phase zwei: die Rehabilitation.
Zusammenspiel von Mensch und Technik
„Wir verfolgen in Sankt Vinzenz mit unserer Patientenschule einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Aufklärung und aktive Einbindung des Patienten in den Behandlungsprozess von zentraler Bedeutung sind", erklärt Küppers. So hat der Frischoperierte bereits am Nachmittag seine erste Verabredung mit dem Physiotherapeuten und kann unmittelbar mit der Reha beginnen.
Um diese Rekordzeiten zu erreichen, braucht es das Zusammenspiel von Mensch und Technik. Wichtigstes Verbindungsinstrument ist hier die Aufklärung und Information des Betroffenen in der Patientenschule, die Klaus Küppers ins Leben gerufen hat. „Die Biologie der Einheilung beim Menschen hat sich nicht verändert", sagt der Chefarzt, „aber wir haben gelernt, weniger einzugreifen, so dass Körper und Seele soweit wie möglich geschont werden".