Geschwister im Kreis Gütersloh finden sich nach 80 Jahren wieder

Harsewinkel/Gütersloh. Ob ein Drehbuchautor, der eine solch unglaubliche Story zu Papier bringt, seinen Job verlieren würde, muss an dieser Stelle offen bleiben. Doch diese zu Herzen gehende Geschichte hat sich tatsächlich so zugetragen. Drei Geschwister aus dem Kreis Gütersloh haben sich kürzlich nach fast 80 Jahren kennengelernt – und das, obwohl sie über Jahrzehnte nur wenige Kilometer voneinander entfernt gelebt haben. Teils wusste der eine noch nicht einmal vom anderen. Doch Anfang des Jahres konnten sich der Harsewinkeler Hermann Metz (87), sein Halbbruder Reinhard Runde (78) aus Gütersloh-Avenwedde und seine Halbschwester Sigrid Busche (79) aus Verl endlich in die Arme schließen – viele Tränen inklusive. &bdquo;Als plötzlich vier Leute vor meiner Tür standen, wusste ich sofort, um was es geht“, erzählt Hermann Metz. Denn die leise Ahnung, dass es noch mehr Familienmitglieder geben könnte, hatten alle drei. Ein (Wieder-)Sehen, für das fast acht Jahrzehnte ins Land gehen müssen – zu erklären ist das nur durch die Wirren nach dem Zweiten Weltkrieg. &bdquo;Unsere 1907 geborene Mutter lebte mit ihrer Familie in Rheda“, erzählt Hermann Metz. Mit ihrem ersten Mann bekam Anna-Maria Metz drei Kinder: Irmgard, Hermann und Wolfgang, von denen nur noch der Harsewinkeler lebt. Der Vater wurde im Januar 1943 bei Stalingrad als vermisst gemeldet. Seine Frau freundete sich später mit einem Mann aus Berlin an, den alle nur Onkel Karl nannten. Besondere Familienkonstellation war Tabu-Thema Die Mutter und Onkel Karl bekamen zwei weitere Kinder: 1945 Sigrid und 1946 Reinhard. &bdquo;Sigrid war noch eineinhalb Jahre bei mir, dann bin ich aus Rheda weggegangen. Von Reinhard wusste ich nichts“, berichtet der &bdquo;große Bruder“ Hermann. Und: &bdquo;Unsere Mutter hat nur Mindestrente bekommen. Sie konnte uns nicht ernähren.“ Deshalb sei er zu seiner Patentante nach Kaub im Rheingau nahe der Loreley gezogen und dort auch zur Schule gegangen. &bdquo;Hier habe ich es sehr gut gehabt“, sagt der 87-Jährige. Während Irmgard und Wolfgang bei der Mutter in Rheda blieben und Hermann in den Ferien zu Besuch kam, wurden Sigrid und Reinhard als Kleinkinder adoptiert – sie in Verl, er in Halle/Westfalen. Ihr Vater (Onkel Karl) ging indes zurück nach Berlin, wo er unauffindbar blieb. Über die besondere Konstellation wurde in den Familien nicht gesprochen. &bdquo;Meine Mutter hat geschwiegen. Das war für sie ein Tabu-Thema“, berichtet Hermann Metz, der für seine Ausbildung als Maler nach Rheda zurückkehrte und durch seine spätere Tätigkeit als Postbeamter in Harsewinkel sesshaft wurde. Lesen Sie auch: Sohn von jungem Mordopfer aus Gütersloh nach jahrelanger Suche gefunden Nachforschungen scheiterten an Behörden Reinhard Runde erfuhr erst mit 14 Jahren von seinen Zieheltern, dass er ein angenommenes Kind ist, als für seine Konfirmation eine Taufbescheinigung brauchte. &bdquo;Vorher hatte ich mich immer gewundert, dass in meinem Pass Rheda als Geburtsort steht, obwohl ich zu Rheda keinerlei Beziehung hatte“, sagt der 78-Jährige. Sigrid Busche war sogar schon verheiratet, als sie durch Zufall auf ihre Herkunft stieß: &bdquo;Als meine Mutter Demenz bekam und zum Pflegefall wurde, habe ich mal gesagt: ’Jetzt wäre es schön, Geschwister zu haben.’ Plötzlich antwortete sie: ’Geschwister hast du genug.’“ Im Laufe der Jahre stellten die drei Geschwister immer mal wieder Nachforschungen an. Eines Tages bekam Runde seine Geburtsurkunde in die Hände und kannte nun den Namen seiner Mutter. Als er für seine Hochzeit 1993 im Alten Rathaus in Wiedenbrück eine beglaubigte Kopie der Geburtsurkunde abholen wollte, fragte er nach der Adresse seiner Mutter. &bdquo;Aber die Beamtin wollte mir nichts sagen.“ Auch bei Behörden, der Kirche oder dem Statistischen Landesamt kam er nicht weiter. &bdquo;Überall wurde der Datenschutz als Grund angegeben. Das war sehr deprimierend und irgendwann habe ich es aufgegeben“, so der Avenwedder. Ähnliche Erfahrungen machte auch Sigrid Busche: &bdquo;Es sollte einfach nicht sein.“ Lesen Sie auch: Tragische Liebesgeschichte: Ex-Soldat sucht seine Jugendliebe in Gütersloh Plötzlich entdeckt er eine Todesanzeige in der Zeitung Später beteiligten sich auch Reinhard Rundes Söhne Udo und Marco an der Suche. Spätestens als Udo auf die Todesanzeige von Wolfgang Metz, dem Bruder von Hermann, stieß, war die Verbindung nach Harsewinkel hergestellt. Nach weiteren Recherchen fuhr Marco am 4. Januar in die Mähdrescherstadt und klingelte bei Metz – Volltreffer. &bdquo;Ich habe Hermann sofort angerufen und noch am gleichen Tag ist er zu mir gekommen“, so Reinhard Runde, der erst an diesem Tag erfuhr, dass er noch eine leibliche Schwester hat, von der aber jede Spur fehlte. Nach einer Internetrecherche und dem Ausräumen eines Missverständnisses zwischen &bdquo;Werl“ und &bdquo;Verl“ stieß Runde schließlich auf den Namen Sigrid Busche – und am 6. Januar waren auch Brüder und Schwester verbunden mit dem einen oder anderen Tränchen vereint. &bdquo;Ich dachte, ich werde veräppelt, als Reinhard anrief“, sagt Sigrid Busche – doch es war die pure Realität: Drei Geschwister haben sich nach 80 Jahren wiedergefunden. Seitdem ruft Reinhard jeden Morgen bei seinen neuen alten Geschwistern für einen kleinen Schnack an. &bdquo;Wir wollen alles, was wir in 80 Jahren verpasst haben, nachholen“, sagt er und lacht. Auch seine Augen sind verdächtig feucht.

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