Angst um Sicherheit im Kreis Gütersloh: "Diskussion hat nichts mit Realität zu tun"

Ludger Ströker, ist Harsewinkel ein &bdquo;Hotspot“ in Sachen Kriminalität, wie die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit derzeit zu suggerieren scheint? LUDGER STRÖKER: Wir stecken aktuell in einer Situation, wie wir sie schon vor Jahren erlebt haben. Die verschiedenen Gewaltaktionen, die in jüngster Zeit im Stadtpark passiert sind, lösen schnell Diskussionen um mehr Sicherheit aus. Alle paar Jahre kommt das Thema Sicherheit aufs Tapet. Auch diesmal festgemacht an verschiedenen Straftaten, die zunächst vereinzelt dastehen, dann in einen Zusammenhang gebracht werden, der sich mir nicht erschließt – und so zum allgemeinen Problem hochstilisiert werden. Aber die Ereignisse der jüngsten Zeit lassen sich doch nicht wegdiskutieren. Darum geht es mir auch nicht. Aber man sollte Dinge nicht vermengen, die nichts miteinander zu tun haben. Wie eine Beziehungstat mit häuslicher Gewalt am vergangenen Wochenende mit einer Bedrohung im Stadtpark. Das werfen Sie auch der &bdquo;NW“ mit ihrer Berichterstattung vor? Nein, aber wenn sich ein älterer Mensch in einem offenen Brief an die Bürgermeisterin und an die Zeitung wendet und festgestellt haben will, dass sich Harsewinkel in Sachen Sicherheit im Laufe von 20 Jahren und mehr verändert habe, geht es um eine sauber getrennte Darstellung. Geht es konkreter? Er berichtet dazu über einen Einbruch in die Wohnung seiner Tochter und nennt in einem Atemzug eine gewalttätige Aktion vor ein paar Wochen im Stadtpark. Beides Dinge, die er nicht persönlich wahrgenommen haben kann. Als nicht ausgebildeter Kriminologe hat er jedoch Lösungsvorschläge parat, die nicht praktikabel sind und an den rechtlich korrekten Handlungsmöglichkeiten von Polizei oder Ordnungsamt vorbeigehen. Diese Diskussion haben Sie in auch Ihrer aktiven Zeit im Harsewinkeler Rathaus erlebt? Es hat auch schon früher diese Einzelfälle im Stadtpark gegeben. Aus diesen ist eine öffentliche Debatte entstanden. Und die scheint aktuell aus dem Ruder zu laufen. Woran machen Sie das fest? Ich komme noch mal auf den offenen Brief zurück. Schon vor mehr als 20 Jahren, als es seinerzeit die berüchtigte &bdquo;Jugendgang“ im Jugendzentrum &bdquo;Die Villa“ gab, wurden solche Forderungen laut. Daraus entstanden parteipolitische Debatten, die in eine völlig falsche Richtung liefen. Genau das droht uns jetzt wieder. Was sind die Parallelen? Die Parteien haben sich damals wie heute darin überboten, die Sicherheitslage in den düstersten Schattierungen zu beschreiben und Gegenmaßnahmen zu fordern. Es folgten öffentliche Versammlungen, bei denen die Polizei und die Ordnungsbehörde um Stellungnahme gebeten wurden. Mit welchem Ergebnis? Die haben keinen Deut dazu beigetragen, eine genaue Beschreibung der Situation und ihrer Ursachen herzustellen. Zu emotional geführte öffentliche Debatten zu einer &bdquo;subjektiven Sicherheitslage“ laufen immer aus dem Ruder – egal, ob man die lokal oder bundesweit führt, wie wir gerade wieder erleben. Jetzt wird wie damals von der Polizei verlangt, neue Sicherheitskonzepte aufzulegen. Die hatten und haben mit der Realität in Harsewinkel nichts zu tun. Damals wie heute befürchten viele, dass Harsewinkel einen negativen Stempel aufgedrückt bekommt. So etwas passiert, wenn plötzlich so neudeutsche Vokabeln wie &bdquo;No-Go-Zone“ Moddenbachtal hineingeraten. Dadurch wurde eine Gefahrenlage hochstilisiert, die so gar nicht bestand. Da besteht für mich eine Parallele zu heute. Die parteipolitische Debatte löst sich von der polizeilichen Sicht ab. Die Kriminalstatistik sagt etwas anderes. Das führte und führt wieder zu einer Diskussion, die nichts mehr mit der Realität zu tun hatte. Fürchten Sie um den Ruf der Stadt? Damals nahm das Image Harsewinkels schweren Schaden. Die Stadt galt bis vor ein paar Jahren als &bdquo;unsicher“. Ich sehe die Gefahr, dass sich ähnliches wiederholt. Dass durch eine zusammenhanglose Debatte eine ähnliche Situation entsteht. Das gilt es zu vermeiden. Aber eine subjektive Angst ist doch da. Die Situationen, die die Opfer erlebt haben, lassen sich ja auch mit Argumenten nicht einfach in Luft auflösen. Für diejenigen, die überfallen, beraubt oder geschlagen wurden, klingt das jetzt sicherlich zu theoretisch. Kein Mensch möchte in solche Situationen geraten. Die Frage muss daher doch sein, wie diese künftig zu vermeiden sind, was uns leider nie zu 100 Prozent gelingen wird. Die Bürgermeisterin wäre gut beraten, mit den Fraktionsspitzen und Polizeivertretern eine Analyse der Vorfälle und der Sicherheitslage vorzunehmen. Und zwar intern. Die Entscheidungsträger sollten auf fachlicher Ebene miteinander sprechen und praktikable Lösungen erarbeiten. Müsste es in der Stadt mehr Kriminalprävention geben? Dazu ein bisschen kommunale Zeitgeschichte: Vor gut 20 Jahren kam der Begriff &bdquo;Kriminalprävention“ landesweit sehr in Mode. Die Initiative des NRW-Innenministers durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Polizei und Ordnungsbehörde Straftaten im öffentlichen Raum reduzieren zu können, wirkte zumindest theoretisch grandios. In Harsewinkel zudem nicht ohne Grund: Eine kleine Bande von Jugendlichen wurde für eine Serie von Wohnungseinbrüchen verantwortlich gemacht. Die wurden etwas später aber dingfest gemacht, durch übliche Verfahren von Polizei und Staatsanwaltschaft. Da war die Diskussion aber schon längst entbrannt? Diejenigen, die damals die Sicherheitslage lautstark so sehr in Zweifel zogen und intensivere Maßnahmen forderten, ohne sagen zu können wie, müssten im Rückblick zugeben, dass Skandalisierung oder sprachliche Eskalation nicht weitergeholfen haben. Im Gegenteil. Lieber die Gespräche versachlichen und beschreiben, was Ordnungsamt und Polizei überhaupt zu leisten in der Lage sind – und was nicht. Eine Polizei kann in den seltensten Fällen Straftaten verhindern. Eine Stadtwacht auch nicht. Jetzt wird gefordert, dass die mehr unterwegs sein sollen. Was personell weder für Stadtwacht noch die Polizei zu bewerkstelligen wäre. Die Bürgermeisterin berichtete darüber, dass die Kriminalstatistik des Kreises keine besonderen Auffälligkeiten in Harsewinkel ausweise. Eine derartige Aussage hat mittelbare Auswirkungen auf die Polizeipräsenz vor Ort. Das ist dann also eine Frage an den Landrat? Sven-Georg Adenauer muss wie alle anderen Landräte und Oberbürgermeister in NRW mit einem sehr eng gestrickten Stellenplan auskommen. Dieser Plan ist nicht frei verhandelbar und richtet sich nach ganz bestimmten Parametern wie Bevölkerungszahl, tatsächliche Straftaten oder auch die Aufklärungsquote. Also ist keine Personal-Verstärkung für Harsewinkel in Sicht? Der Landrat bekäme ein ziemliches Problem, wenn er einer bestimmten Kommune zusätzliches Personal zuweisen würde, ohne hierfür einen plausiblen Grund zu haben. Darum belässt er es bei allgemeinen Aussagen, alles zu tun, um die Sicherheit der Menschen im Kreis zu gewährleisten. Und das mit vorhandenem Personal. Wobei viele notwendige Beamtenstellen nicht besetzt sind. Wie an den Schulen, wo es an Lehrerkräften mangelt. Auch eine rund um die Uhr besetzte Polizeiwache steht wieder auf der Tagesordnung... ...was gar nicht leistbar wäre, weil die Stellen nicht da sind. Genau am Personalschlüssel hängt alles. Eine Wache kann nicht gleichzeitig im Hühnermoor und in der Greffener Mark präsent sein. Eine zum Tatort gerufene Polizeistreife dokumentiert lediglich eine Straftat und nimmt nicht, wie in jedem Krimi suggeriert wird, sofort die Täterverfolgung auf. Sie haben selbst Verantwortung übernommen und die Stadtwacht ins Leben gerufen. Wie beurteilen Sie das im Rückblick? Als damaliger Leiter des Fachbereichs stieß ich zufällig auf ein Konzept &bdquo;Stadtwache“ der Stadt Iserlohn, das diese aus den Niederlanden kopiert hatte. Mit Vertretern aller Fraktionen sowie Kollegen der Kreispolizei fuhren wir dorthin und haben es später einvernehmlich zum Handlungsmuster &bdquo;Stadtwacht“ für die städtischen Ordnungsbehörde entwickelt. Es gilt noch heute und zeigt vor allem, was sie im vorbeugenden Bereich kann: An bekannten Locations im Ort Präsenz zu zeigen und akzeptierter Gesprächspartner sein. Und was es nicht kann: Straftaten verhindern. Die Stadtwacht ist mit ihren acht Stellen eine gute Sache, obwohl die Effektivität natürlich tatsächlich nicht messbar ist. Bleibt die Sorge der Eltern und Großeltern. Ich finde es wenig glaubwürdig und somit unanständig zu behaupten, dass ein Kind nicht zum Sport gehen kann, weil es sich auf dem Weg durch das Moddenbachtal einer potenziellen Gefahr ausgesetzt fühle. Die Realität ist eine andere: Täglich sind Tausende von Kindern unterwegs zur Schule oder zu Freizeitaktivitäten, Freibad oder Musikschule. Wer sich allein nicht sicher fühlt, fährt zu zweit oder in Kleingruppen oder lässt sich von Angehörigen oder Bekannten mit dem Auto bringen. Das ist die Regel und nicht die Ausnahme. Sie kritisieren also auch die Rundum-Sorglos-Mentalität, bei der zu viel auf die öffentlichen Organe abgewälzt wird? Das erleben wir doch auch in vielen anderen Bereichen. In der öffentlichen Debatte werden vom Staat immer wieder Dinge erwartet, die er tatsächlich nicht leisten kann. Dabei wird das Thema &bdquo;subjektives Sicherheitsempfinden“ sowie die angebliche &bdquo;Ohnmacht des Staates“ von Akteuren in den sozialen Netzwerken auf eine Art und Weise bedient, die äußerst gefährlich ist. Von der Boulevard-Presse bis hin zur AfD, die die Abschaffung des Rechtsstaates zum Ziel hat.

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