Vergewaltigung einer 14-Jährigen: Prozess beginnt mit Hindernissen

Harsewinkel/Bielefeld. Für die Verlesung der Anklageschrift braucht die Vertreterin der Staatsanwaltschaft einen langen Atem und der Zuhörer starke Nerven. Denn was sich in der Nacht des 3. November 2017 in einem Partykeller in Harsewinkel zugetragen haben soll, stößt an Grenzen des Unsagbaren. Insgesamt neun jungen Männern, die heute zwischen 16 und 21 Jahre alt sind, wird vorgeworfen, ein damals 14-jähriges Mädchen unter dem falschen Vorwand einer Geburtstagsfeier in das elterliche Wohnhaus von einem der Angeklagten gelockt, das stark alkoholisierte Mädchen später mehrfach in verschiedener Weise vergewaltigt und dabei gefilmt zu haben. Ein Angeklagter hat den Termin offenbar vergessen und ist zur Schule gefahren Der Prozess vor der IV. Strafkammer des Bielefelder Landgerichts begann mit sechsstündiger Verspätung, weil einer der Beschuldigten mittlerweile in Wuppertal wohnt und nicht erschienen war. Ein anderer hatte den Termin offenbar vergessen und war stattdessen zur Schule gefahren. "Das geht so nicht. Wir werden das nicht noch einmal so hinnehmen", sagte die Vorsitzende Richterin Beate Schlingmann, nachdem der Angeklagte nachmittags den Weg aus dem Ruhrgebiet in den Gerichtssaal gefunden hatte - mit Unterstützung der Polizei. Es ist schwer einzuschätzen, was in den Köpfen der Angeklagten vor sich geht. Vier von ihnen sind Syrer, die anderen fünf wurden in Deutschland geboren und haben einen Migrationshintergrund. Der Jüngste war zur Tatzeit erst 14 Jahre alt und schilderte als erster, was in jener Nacht geschah. Er habe das Mädchen gemeinsam mit zwei weiteren Beschuldigten auf der Kirmes in Gütersloh kennengelernt und Handynummern ausgetauscht. Eine Woche später habe er die 14-Jährige dann unter dem Vorwand einer angeblichen Geburtstagsparty per Whatsapp zu sich nach Hause gelockt. "Wir haben es alle zusammen getan" "Aber wir haben das alle zusammen getan, dass wir das Mädchen geholt haben", sagte der Angeklagte A. aus. Zuerst sei man zu dritt gewesen, die anderen auf der Anklagebank, die er namentlich benennt, seien dann später dazu gekommen. Wegen der vermeintlichen Geburtstagsparty habe die Jugendliche Wodka mitgebracht. "Wir haben gechillt und Shisha geraucht und irgendwann war sie betrunken." Laut Anklage sollen die Täter das Mädchen entkleidet und gemeinschaftlich schwer missbraucht haben. Weil nicht alle mitgemacht, sondern einige "nur" zugesehen oder später die Filmaufnahmen der Tat versendet haben sollen, wird vier der Beschuldigten keine Vergewaltigung, sondern unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen. Richterin Schlingmann unterbricht den 16-Jährigen immer wieder, um nachzubohren. Wer hatte wann die Idee, das spätere Opfer einzuladen? Hat sich im Verlauf des Abends wirklich eine Eigendynamik entwickelt, wie es der Anwalt eines Beschuldigten formuliert, oder war die Gruppenvergewaltigung von Anfang an geplant? Beate Schlingmann stößt mit ihren Fragen in die schwarzen Löcher der Erzählung - und davon gibt es viele. Wenn man bedenkt, dass noch acht weitere Aussagen und vermutlich ebenso viele Versionen folgen, wird die Suche nach der Wahrheit zu einem ebenso unschönen wie schonungslosen Kraftakt. Denn die Aussagen und Einlassungen durch die Verteidiger sind nur eine Sache - die Filmaufnahmen, auf die sich die Anklage stützt, sind eine ganz andere. Sie zeigen offenbar nicht nur sehr genau, wer an den Vergewaltigungen beteiligt war, sondern dass das Opfer auch immer wieder deutlich gemacht hat, dass es mit den Handlungen nicht einverstanden war. "Wo bin ich hier eigentlich gelandet? Hört auf", habe das Mädchen in den Filmaufnahmen gesagt. Eltern der Angeklagten scheinen beschämt Dass mittlerweile zwei Jahre bis zur Anklageerhebung vergangen sind, wird die Sache für die Kammer nicht einfacher machen. Ausschlaggebend hierfür waren offenbar vor allem die zahlreichen Übersetzungen der Dokumente. Damit die Beschuldigten und ihre Eltern dem Prozess lückenlos folgen können, werden mehrere Dolmetscher bei den insgesamt 13 angesetzten Verhandlungstagen anwesend sein. Wie die Mütter und Väter der Angeklagten sich fühlen müssen, kann man in ihren Gesichtern lesen: Sie sind beschämt und können wahrscheinlich immer noch nicht glauben, was ihre Söhne in jener Novembernacht getan haben sollen. Die Öffentlichkeit ist ihnen peinlich. Aus Angst vor Ärger mit seinen Eltern habe er dann darauf gedrängt, das Mädchen wieder anzuziehen und "wegzubringen", sagte A. Gefunden wurde das Opfer schließlich auf einer Parkbank liegend. Einer von ihnen hätte noch einen Krankenwagen gerufen, sagte A. Aber auch darüber gibt es unterschiedliche Versionen.

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