Mutige 21-Jährige im Kreis Gütersloh sagt sicheren Job ab – und macht sich selbstständig

Halle. Es ist ein interessantes Dreiergespann, das man im Tattoostudio &bdquo;Simple Life Tattoo“ an der Künsebecker Hauptstraße antrifft. Mitten im Dorf, wo man ein solches Studio nicht als erstes vermutet. Ein Ehepaar um die 40 und seine junge Schülerin. Wobei das schon Geschichte ist, denn der Lehrprozess der 21-jährigen Thyra Wilke ist im Grunde abgeschlossen, zumal es eine offizielle Ausbildung im Beruf des Tätowierens nicht gibt. Mittlerweile hat sie sich als Selbstständige bei Alicja und Steffen Neuber eingemietet. Dabei hätte sie zunächst fast einen anderen Weg eingeschlagen, so wie es ihre Mentoren getan hatten. Steffen Neuber ist gelernter Tischler und hat ein Studium in Ökotrophologie abgeschlossen, seine Frau Alicja war Lehrerin. &bdquo;Nach dem Abi hatte ich erst vor, eine Ausbildung als Industriekauffrau zu beginnen“, erinnert sich Thyra Wilke, während sie den Arm eines jungen Mannes bearbeitet. Und obwohl sie sich so darauf konzentriert, rekapituliert sie dabei auf aufgeräumte Weise ihre jüngere Vergangenheit. &bdquo;Ich war dann im Urlaub und habe gemerkt, dass ich diese Art von Arbeit nicht werde machen können“, fährt sie fort. Sie sei danach bei Alicja Neuber - ihrer jetzigen Kollegin - gewesen, um sich tätowieren zu lassen, und habe ihr von ihren Zweifeln erzählt. &bdquo;Als Tätowiererin ist man immer auch ein bisschen Therapeutin“, weiß Alicja Neuber. Passend zum Thema: Leisten sich Menschen noch Tattoos? Organisator von Messe in Gütersloh gibt Einblick Junge Frau lernt in im Kreis Gütersloh das Tätowieren Gemeinsam entwickelten sie die Idee, Wilke könne es doch mit dem Tätowieren versuchen. &bdquo;Eine Woche vor Ausbildungsbeginn habe ich bei der Firma abgesagt“, erzählt Wilke. &bdquo;Die Frau am Telefon war geschockt.“ Sie habe Wilke gewarnt, ihr Leben nicht so leichtfertig wegzuwerfen, doch die junge Frau ließ sich nicht beirren. Alicja Neuber hat diese Skepsis auch erlebt. &bdquo;Mittlerweile ist meine Mutter mein größter Fan“, sagt die 41-Jährige. Damals aber habe sie den Schritt aus dem Klassenzimmer ins Tattoostudio nicht gutheißen können. &bdquo;Vom Lehramt in die Gosse“, sagt ihr Mann Steffen und beschreibt damit die Angst vieler Menschen, deren Angehörige sich für den unsicheren Berufsweg eines Tätowierers entscheiden. Dieses Klischee vom sozialen Absturz gebe es nach wie vor, sagt er. Vor Wilkes Entscheidung, sich in so jungen Jahren, selbstständig zu machen, habe er daher &bdquo;enormen Respekt“. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von thyra (@thyratatts) Die Neubers vereint, dass sie sich nach persönlichen Schicksalsschlägen umorientierten. Ihre Väter starben, kurz nachdem die beiden mit ihren jeweiligen Berufsausbildungen fertig waren. Mit 29 hatte Alicja Neuber ein Jahr als Grundschullehrerin hinter sich, als sie einen Burn-out erlitt und in eine schwere Lebensphase schlitterte. &bdquo;Ich hatte echte Existenzängste“, sagt Alicja Neuber, für die eine Rückkehr ins Lehrerinnen-Dasein nicht denkbar gewesen sei. &bdquo;Meine Therapeutin hat gesagt: Du stehst vor dem Nichts. Das heißt: Du bist frei.“ Tätowiererin hat bereits Kundenstamm im Kreis Gütersloh So habe sie sich in ihrer Heimatstadt Berlin nach Nebenjobs umgeschaut und sei dann an der Rezeption eines Tattoostudios als Urlaubsvertretung eingestellt worden. &bdquo;Ich habe mich dort zum ersten Mal gefühlt, wie ich selbst“, sagt Alicja Neuber. Schließlich habe sie gefragt, ob sie in besagtem Studio das Tätowieren lernen könnte. Da das Tätowieren in Deutschland keinen Ausbildungsberuf darstellt, müssen Anwärter in den Studios zunächst auch Dinge verrichten, die nicht unmittelbar etwas mit der eigentlichen Dienstleistung zu tun haben, berichten die Neubers. Und es sei auch nicht unüblich, dass Lehrlinge die Studioinhaber für ihre Unterweisung bezahlen. &bdquo;Das war hier zum Glück nicht so“, betont Thyra Wilke. Sie habe den Neubers eine Zeit lang über die Schulter geschaut, auf Silikonhaut geübt und schließlich zunächst Familie und Freunde tätowiert, bevor sie sich an andere Kunden getraut hat. Mittlerweile hat sie einen Kundenstamm, zu dem auch der junge Mann gehört, den sie an diesem Tag tätowieren soll. &bdquo;Hier herrscht Wohlfühlatmosphäre. Das ist wichtig, weil man beim Tätowieren einen intimen Moment zulässt“, erklärt er dem Reporter. Dazu tragen vor allem die hölzernen Einrichtungselemente, wie ein von Steffen Neuber selbst gezimmertes Regal, oder der selbst gebaute Empfangstresen bei. An dem empfängt das Team seine Kunden nach Terminvereinbarung per WhatsApp sowie donnerstags spontan von 12 bis 16.30 Uhr. Freitags ist zudem eine Piercerin im Haus. Trio steht für Familien-Werte und Zusammenhalt Doch warum Künsebeck? Schließlich gibt es in einer Großstadt mehr Laufkundschaft. &bdquo;Es war mir wichtig, dass wir etwas zwischen Osnabrück und Bielefeld finden, damit die Stammkunden von Alicja (Bielefeld) und mir (Osnabrück) die Möglichkeit haben, weiterhin zu uns zu kommen“, erklärt Steffen Neuber, der seine Frau in Hamburg kenngelernt und einen vierjährigen Sohn mit ihr hat. Lesen Sie auch: Neues Geschäft im Kreis Gütersloh: Mutige Schwestern eröffnen Studio für Beauty und Co. &bdquo;Uns ist eine familiäre Atmosphäre und Verbindung zu unseren Kunden wichtig“, sagt Alicja Neuber. Sie stünden nicht für Luxus, sondern für Werte wie Familie und Zusammenhalt. Sie und ihr Mann machen das vor, wenn sie sich mit Kinderbetreuung und Studioarbeit abwechseln. Und das kommt an. &bdquo;Wir haben ganze Familien, die zu uns kommen“, sagt Steffen Neuber. Thyra Wilke ist zur Freude der Neubers immer vor Ort und zudem auf dem Boden geblieben. &bdquo;Durch Social Media haben viele junge Menschen ein verzerrtes Bild vom Beruf“, erklärt Steffen Neuber. Eines, das Reichtum und Berühmtheit verspricht. Reich würden die meisten aber nicht. &bdquo;Uns geht es gut, wir können in den Urlaub fahren“, sagt Steffen Neuber. Er, seine Frau und Nachwuchskünstlerin Thyra Wilke seien glücklich mit dem, was sie haben. Ihrem &bdquo;Simple Life“.

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