
Gütersloh. Auf dem Fenstersims in seinem Büro steht ein Porträt des berühmten Großvaters. Zuhause bewahrt Güterslohs Landrat Sven-Georg Adenauer noch weitere Erinnerungstücke an den ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer auf. Darunter von ihm kommentierte Kriminalromane, eine Krawatte und auch ein Paar Socken. Zum 50. Todestag des berühmten Altkanzlers sprach die NW mit seinem Enkel über Eigenheiten, Ähnlichkeiten und ungeliebte Vergleiche mit dem Opa.
Was haben Sie von Ihrem Großvater geerbt - außer dem gemeinsamen Interesse an der Politik?
Sven-Georg Adenauer: Mein Großvater wird ja immer als der ernste Staatsmann dargestellt. Dabei hatte er auch Sinn für Humor, die Fähigkeit, sich nicht immer ganz so ernst zu nehmen. Ich finde da ähneln wir uns. Dazu kommt ein gewisses Gottvertrauen. Er war sehr gläubig, das bin ich auch. Diese Eigenschaften haben wir schon gemeinsam. Ansonsten lege ich immer Wert darauf, dass ich nicht mein Großvater bin.
Vergessen das manche Menschen?
Adenauer: Ja, es gibt Leute - auch gerade ältere Generationen - die immer wieder versuchen, Parallelen zum Großvater aufzustellen. Das war ganz extrem, als ich 1999 in den Kreis Gütersloh kam. Da hatte die CDU - gut gemeint - in der Geschäftsstelle, in der ich ein kleines Büro bezog, die Wände mit meinem Großvater um mich herum regelrecht plakatiert. Der saß mir also richtig im Nacken. Da habe ich gesagt: "Liebe Leute, das ist ja nett - aber ein Bild reicht mir vollkommen. Nehmt bitte alle anderen ab." Das hat man dann auch gemacht. Insofern versuche ich, meine eigenen Duftmarken zu setzen - und nicht auf meinen Großvater anzuspielen.
Würden Sie sagen, der Name bringt Ihnen Vorteile?
Adenauer: Der Name öffnet sicherlich die eine oder andere Tür, aber wenn man ein Zimmer betreten hat, muss man eigene Leistungen zeigen. Allerdings gab es auch schon Situationen in meinem Leben, in denen der Name eher ein Nachteil war. Ich habe bei einem meiner juristischen Staatsexamen einen Prüfer gehabt, der erkennbar einer anderen politischen Couleur angehörte - und das hat er mich in der Prüfung so richtig spüren lassen. Da sagte er zum Beispiel gleich zu Beginn: "Sie sind doch heute morgen hier sicher in einem dicken Mercedes vorgefahren worden. Mit der Straßenbahn, wie Ihre Kommilitonen, mussten Sie doch sicher nicht anreisen, oder?" Das war natürlich überhaupt kein schöner Einstieg in die mündliche Prüfung. Ich habe die Prüfung aber dennoch bestanden.
Sie sind ja eines von 24 Enkelkindern von Konrad Adenauer. Konnte er bei der Vielzahl überhaupt zu allen eine Beziehung aufbauen?
Adenauer: Nein, das war natürlich unmöglich. Weil die Enkelkinder ja auch weit verstreut lebten. Ich aber hatte den Vorteil, dass mein Großvater - der ja auch mein Patenonkel war - nur 50 Meter Luftlinie von unserem Wohnhaus entfernt wohnte. So haben wir täglich bei ihm im Garten gespielt und waren auch jeden Sonntag bei ihm zum Mittagessen eingeladen. Wir Kinder durften allerdings nie mit am Tisch sitzen, sondern mussten in der Küche speisen. Ich habe ja noch zwei Brüder, das war für den Großvater eine unruhige Angelegenheit. Und wenn die Erwachsenen fertig waren, dann drückte der Großvater auf eine Klingel unterhalb des Kronleuchters, es schellte in der Küche - und wir Kinder durften reinkommen, dann hat er auch mit uns gespielt.
In der aktuellen ZDF-Dokumentation "Mensch Adenauer" berichtet ein Cousin von Ihnen von der letzten Begegnung mit dem Großvater am Totenbett. Wie haben sie den Tod von Konrad Adenauer erlebt?
Adenauer: Damals war ich sieben Jahre alt und zu jung, um selbst ans Totenbett zu kommen. Aber meine Eltern waren dabei und haben mir davon erzählt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mein Vater uns Kindern die traurige Nachricht überbrachte. Und auch die Trauerfeier im Kölner Dom ist mir noch sehr präsent. Die vielen Blumen, die Staatsgäste. Das war ja für damalige Verhältnisse ein Megaereignis, das bundesweit im Fernsehen übertragen wurde.
Gibt es eine Lieblingserinnerung an Ihren Großvater?
Adenauer: Mein Großvater war ja ein sehr strenger Mensch. Und wenn er dann mal lachte, war es etwas ganz Besonderes. Zu einem Weihnachtsfest gab es eine solche Situation. Dann bekam sein Hund Brando als Weihnachtsgeschenk einen Riesenkranz mit Blutwurst. Großvater hielt diesen Kranz in die Höhe, und Brando sprang immer wieder hoch, um nach der Wurst zu schnappen. Das bereitete meinem Großvater Freude.
Dabei war das Weihnachtsfest für die Enkelkinder ja auch mit Unannehmlichkeiten verbunden . . .
Adenauer: Zumindest auch für mich. Wir haben Weihnachten damals immer mit rund 70 Personen im Hause meines Großvaters in Rhöndorf gefeiert. Und die Enkelkinder mussten etwas aufführen - zum Beispiel ein Musikinstrument spielen oder ein Gedicht aufsagen. Das musste alles sitzen. Es wurde wochenlang vorher geübt. Da kam man schon ins Schwitzen und hoffte, dass alles gut ging. Denn sonst gab es auch eine kritische Bemerkung des Großvaters.
Apropos kritisch: Der Spiegel hat ja kürzlich enthüllt, dass ihr Großvater seine Kontrahenten ausspioniert haben soll, vor allem Willy Brandt. Wie haben Sie das aufgenommen?
Adenauer: Meine Frau bezieht den Spiegel. Ich fand diese Informationen nicht besonders überraschend. Ich habe die Ausgabe aus dem Briefkasten geholt und mich darüber gefreut, dass es mein Großvater nach vielen Jahren mal wieder auf den Titel geschafft hat. Und das war ja nicht das erste Mal, dass sich der Spiegel kritisch mit Konrad Adenauer auseinandergesetzt hat. Mein Großvater hat früher ja die eine oder andere Auseinandersetzung gehabt - auch mit Rudolf Augstein selbst.
Konrad Adenauer konnte am Ende - trotz hohen Alters - nicht von seinem Amt loslassen. Mit seinem Nachfolger Ludwig Erhard war er gar nicht einverstanden . . .
Adenauer: Ja, das ist so. Er hat den gleichen Fehler gemacht wie Helmut Kohl. Er hat keinen Nachfolger aufgebaut und wohl geglaubt, dass es ohne ihn nicht gehen würde. Je älter er wurde, desto stärker wurde dieses Gefühl. Es gibt dazu eine schöne Anekdote. Demnach soll er einen meiner Cousins gefragt haben: "Was möchtest Du mal werden?" Und als das Enkelkind dann sagte, es wolle einmal Bundeskanzler sein, soll mein Großvater gesagt haben: "Aber das geht doch nicht. Das bin ja ich schon!" Also er konnte nicht so recht loslassen, das hat auf sein politisches Ende einen kleinen Schatten geworfen.
Wobei der Name Konrad Adenauer heute natürlich vor allem für Aufbau, Grundgesetz, Aussöhnung mit Frankreich und die Rückkehr der letzten 10.000 Kriegsgefangenen steht . . .
Adenauer: Besonders beim Thema Kriegsgefangene bekomme ich heute noch Gänsehaut, wenn ich die Bilder sehe. Ich habe einmal vor vielen Jahren in der Kantine der Gütersloher Kreisverwaltung einen älteren Herrn getroffen, der hier regelmäßig zu Mittag aß - und mich eines Tages ansprach. Mit großer Dankbarkeit erzählte er, dass er von meinem Großvater aus Russland zurückgeholt worden sei. In solchen Momenten ist man schon sehr stolz auf seinen Opa.
Sie sind jetzt seit 1999 Landrat im Kreis Gütersloh. Wie sehen denn Ihre Zukunftspläne aus? Werden Sie Ihr Amt loslassen können?
Adenauer: Ich werde definitiv zur nächsten Kommunalwahl 2019 noch einmal antreten. Für meinen Job gibt es ja keine Altersgrenze - und mein Großvater hat ja mit 73 erst so richtig angefangen (lacht).
INFORMATION
Konrad Adenauer zu Gast in Rietberg
- Mit Stolz zeigte der Sohn des ehemaligen Wirtsehepaars vom Hotel Druffelsmeyer im Rietberger Stadtteil Neuenkirchen vor einigen Jahren ein altes Gästebuch hervor.
- Damals berichtete Sven-Georg Adenauer während des Kaminabends im Rietberger Heimathaus vor gespannten Zuhörern über seinen Großvater.
- In dem schweren Buch hatte sich 1947 auch Konrad Adenauer eingetragen, der damals noch kein Bundeskanzler (die Bundesrepublik Deutschland war noch nicht gegründet), sondern Vorsitzender des Zonenauschusses der CDU war.
- In der ostwestfälischen Provinz – eben dort, wo die Zerstörungen des Krieges noch Raum für Konferenzen gelassen hatten – stellte der Zonenausschuss der CDU für die britische Zone in den Jahren des Interregnums von 1946 bis 1949 in der Provinz die politischen Weichen für die Zukunft. Das geht aus einem Artikel der Wochenzeitung Die Zeit hervor.
- Die CDU-Gruppe reiste demnach zu diesem Zweck unter anderem nach Herford, Neheim-Hüsten, Neuenkirchen im Kreis Wiedenbrück, Vechta, Lippstadt, Eutin, Lünen, Minden und Königswinter. Dort fand man Unterkunft in kleinen Hotels – eben wie bei Druffelsmeyer.