Gütersloh

Viktor Staudt berichtet über seinen gescheiterten Selbstmordversuch und die Rückkehr ins Leben

Er war zu einer Lesung in der Gütersloher Stadtbibliothek zu Gast

Neues Leben: Nach einem Suizidversuch hat Viktor Staudt sein zweites Leben im Rollstuhl angepackt, auch wenn ihm nicht immer zum Lachen zumute ist. | © Rolf Birkholz

15.10.2016 | 15.10.2016, 04:00

Gütersloh . Die wichtigste Erkenntnis von Viktor Staudt vorweg: "Ich wollte nicht meinem Leben ein Ende setzen, sondern meinen Problemen." Die lassen sich aber besser lebend angehen. Und sei es im Rollstuhl. Das macht Staudt seit seinem gescheiterten Suizidversuch, und er will seine Einsicht auch anderen vermitteln. In der vom Gütersloher Bündnis gegen Depression veranstalteten "Woche der seelischen Gesundheit" sprach der Niederländer jetzt in der Stadtbibliothek.

Seine Erfahrungen hat Staudt in dem Buch "Die Geschichte meines Selbstmordes und wie ich das Leben wieder fand" (Droemer-Knaur) aufgeschrieben. Aber im Lesecafé des Bücherhauses sprach er überwiegend frei und offen, wechselte immer mal wieder den Standort seines Rollstuhls. Denn als er sich am 12. November 1999 nahe Amsterdam vor einen Intercity fallen ließ, hat er dabei nicht wie erwartet sein Leben, aber seine Beine verloren.

Der 1969 geborene Sohn einer holländischen Mutter und eines deutschen Vaters schilderte den Zuhörern, wie sich schon in der Kindheit und Jugend eine seelische Störung bemerkbar machte. Er konnte in der Grundschule vor Versagensangst nicht lachen, begann vorm Abitur zu stottern, sonderte sich von Gleichaltrigen ab, erlitt Panik-Attacken. Im Rückblick erkennt er darin Anzeichen einer Depression im Zuge einer Borderline-Störung.

"Diese Angst ist ein unsichtbarer Feind", so Staudt, eine "Angst vor der Angst-Explosion". Er sah eine "Mauer zwischen mir und meiner Umgebung", eine Nebelwand. Zwar habe er sich "nicht aufgeben" gesagt, doch sei seine Verzweiflung immer schlimmer geworden. Auch Sport half nicht. Der sportliche Typ konnte der Angst weder weglaufen noch wegschwimmen.

Erst fünf Jahre nach dem Selbstmordversuch sei die richtige Diagnose gestellt, das passende Medikament verschrieben worden, berichtete der heute in Italien lebende studierte Jurist und ehemalige Angestellte einer Fluggesellschaft. Noch in der Rehabilitation in Deutschland hat er bei Ärzten mangelnde Sensibilität erlebt. Manchmal habe er als Ursache für den Verlust seiner Beine lieber einen Motorradunfall angegeben: Das klinge "cooler" und sei für viele verständlicher.

Menschen, die ähnlich verzweifelt sind wie er damals, kann Viktor Staudt nur raten, darüber zu sprechen. Dazu brauche es aber auch Leute, die einfach nur zuhören, ohne zu (ver-)urteilen oder mit einem "Das wird schon wieder" zu reagieren. Durch seine eigene Geschichte will er Suizidgefährdete von ihrem Vorhaben abhalten, indem er ihnen eine "attraktive Alternative" aufzeige. Denn wie er nun weiß, ist es ja möglich: "Ich kann die Depression kontrollieren, statt dass sie mich kontrolliert."