Schock-Diagnose für Gütersloher Zahnärztin: „Die Ärzte hatten jedes Organ in der Hand“

Gütersloh. Verstünde man das Leben als ein Spiel, wäre Krebs ein schrecklicher Spielverderber – und manchmal unsagbar hinterhältig. Dann, wenn das Leben ziemlich gut zu laufen scheint – in einer großen Familie, mit einer erfüllenden Arbeit und natürlich gesund. Scheinbar. Denn der Krebs hat seine unkontrollierte Vervielfältigung längst unbemerkt begonnen. Tumore, Karzinome und Metastasen – Worte, die niemand in seiner Diagnose lesen oder hören will. Und die umso mehr schockieren, je weniger Symptome böse Vorahnungen nähren. Keine Schmerzen, keine eminenten Veränderungen: So ist die Diagnose aus dem Nichts wie ein Halt auf freier Strecke. &bdquo;Es war, als sei ich im vollen Lauf gegen eine Wand gerannt“, wählt Insa Carola Kirsch ein anderes Bild für jenen Tag im Februar dieses Jahres, als bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert wurde. Lesen Sie auch: Bekannter Pilz-Imbiss im Kreis Gütersloh: Gastronomin spricht offen über Schicksalsschlag Aber so oder so – das Leben der 53-Jährigen stoppte abrupt und gänzlich überraschend, da die Diagnose als ziemliche Unwahrscheinlichkeit aus dem Hinterhalt hervortrat. &bdquo;Ich habe vier Söhne, alle gestillt. Es wurde kein Gendefekt wie eine BRCA-Mutation bei mir festgestellt, und ich gehöre auch hinsichtlich meines Alters eigentlich nicht zur Risikogruppe“, sagt die Gütersloherin. Sie wisse nicht, warum es sie &bdquo;erwischt“ habe – &bdquo;aber jetzt ist es auch mühsam, viel darüber nachzudenken.“ Gütersloherin hat weitere Etappe auf Genesungsweg geschafft Insa Kirsch sitzt zusammen mit ihrem Mann Sven Oliver an einem großen, quadratischen Esstisch im offenen Wohnraum ihres Hauses in Isselhorst. Ihre Unterarme liegen, während sie über das vergangene Jahr berichtet, meistens ruhig auf der dicken Eichenplatte. Ihr lebhafter Redefluss wird nicht selten von einem herzlichen Lachen begleitet. Die Spätsommersonne strahlt durch die großen Fenster auf den Tisch, der häufig das Zentrum des Familienlebens ist. Ihr präzises und mit feinen Linien geschminktes Gesicht lässt die vierfache Mutter und selbstständige promovierte Zahnärztin in diesem Moment nahezu blühend wirken. Lediglich die im satten Blau gehaltene Tuchmütze wirkt wie ein Hinweis darauf, dass sich das Leben der Gütersloherin in diesem Jahr nicht nur schlagartig, sondern auch radikal verändert hat. &bdquo;Chemotherapie“, bestätigt Insa Kirsch den Zweck des modischen Accessoires, zuckt kurz mit den Schultern und sagt: &bdquo;Am Anfang trug ich eine Perücke. Das hat mir auch geholfen, doch irgendwie passte es nicht zu mir.“ Mehr zum Thema: Gütersloher Arzt appelliert: Daran erkennen Sie Prostatakrebs rechtzeitig Die letzte Chemotherapiesitzung liegt rund einen Monat zurück. Insa Kirsch hat eine weitere &bdquo;Etappe auf ihrem Genesungsweg“, wie sie es nennt, geschafft. Seit zwei Tagen nimmt die 53-Jährige, betreut vom Klinikum Gütersloh, sogenannte PARP-Hemmer in Tablettenform – jeden Abend, die kommenden drei Jahre lang. Sie sollen noch mögliche Tumorzellen destabilisieren und deren Tod auslösen. Nebenwirkungen? &bdquo;Etwas Kopfschmerzen“, gesteht sie, &bdquo;aber ansonsten geht es mir wirklich gut im Moment.“ Das nimmt man ihr ab, schließlich hat sie mittlerweile fast den Gipfel des Mount Everest erreicht. So nennt Insa Kirsch ihren Genesungsweg: die Besteigung des höchsten Berges der Erde. Gütersloherin spricht auf Instagram über ihre Krankheit Diese Metapher gebraucht sie auch in einem Video vom 11. April auf dem Instagram-Account ihrer Praxis. Dort erklärt die Zahnärztin ihren Patienten ihre lange Abwesenheit (&bdquo;Krebs darf kein Tabu sein; man sollte offen damit umgehen“) und schließt ihr 17-köpfiges Team regelrecht ins Herz. Zwei große Bauchoperationen liegen da bereits hinter ihr. Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Zahnarztpraxis Dr. Insa Carola Kirsch (@zahnarztpraxis_drkirsch) Wenn Insa Kirsch Monate später von dem Frühjahr berichtet, als der Krebs ihr normales Leben für immer beendet hat, versteht man die Erschöpfung in den Instagram-Minuten von damals. Zunächst der vollkommene Schock im Februar: &bdquo;Ich hatte mich gerade über das negative Mammographie-Ergebnis gefreut. Dann das!“, sagt die 53-Jährige. Okay, sie habe – besonders bei Stress – immer schon Probleme mit der Verdauung und dem Darmtrakt gehabt, &bdquo;aber das wirkte wirklich nicht besorgniserregend“. Glaubte sie. Bis sie eines Tages im Liegen ein faustgroßes Etwas in ihrem linken Unterbauch ertastete. Bei einer Darmspiegelung wurden ihr deshalb Gewebeproben entnommen. Das Ergebnis bestätigte die schlimmste Sorge: Krebs. Genauer: ein hochgradiger Verdacht auf den eher selten auftretenden Eierstockkrebs, der – ähnlich wie Bauchspeicheldrüsenkrebs – oft lange unbemerkt sein zerstörerisches Werk verrichtet. Insa Kirsch sagt: &bdquo;Deswegen sind die Prognosen nicht gut. Wenn er entdeckt wird, hat er nicht selten bereits metastasiert, und man befindet sich plötzlich im schlechtesten Stadium IV.“ MRT wurde wegen Schießerei am Landgericht Bielefeld abgesagt So war es bei der Gütersloherin. Nach einem kurzen Intermezzo im Bielefelder Krankenhaus Mitte, das sie auf eigenen Wunsch unbehandelt beendete, wurde Insa Kirsch in einem passenden Kompetenzzentrum in Essen operiert. &bdquo;In Bielefeld gab es Differenzen zwischen Gynäkologie und Chirurgie. Außerdem wurde ein MRT wegen der Schießerei am Landgericht abgesagt, und ich sollte ohne diese Diagnostik operiert werden. Das wollte ich nicht“, erklärt sie ihre damalige Entscheidung - die in Bielefeld nicht gut aufgenommen wurde: &bdquo;Es könne zu Hause zu einem Darmverschluss kommen. Ich würde sterben, wurde mir gesagt“, berichtet Insa Kirsch und kritisiert, dass solcher Druck auf eine mündige Patientin &bdquo;nicht fair“ sei. Auch interessant: Gütersloherin besiegt Krebs-Erkrankung - Schock-Diagnose kurz nach Geburt ihrer Tochter Deshalb erzählt sie ihre Geschichte. Aus ihren guten und unguten Erfahrungen destilliert sie diverse Appelle. Bei gynäkologischen Untersuchungen sollten auch gesundheitliche Probleme, wie Blähungen oder Verdauungsbeschwerden, die eigentlich andere medizinische Disziplinen betreffen, berücksichtigt werden, fordert sie. Ebenso wie mehr Empathie im Umgang mit Patienten; drastische Aussagen seien vielleicht zuweilen notwendig, aber Ärzte sollten dennoch vorsichtig damit umgehen. &bdquo;Und mehr Netzwerke schaffen, sodass man möglichst schnell an hochspezialisierte Kliniken und Behandlungen kommt oder wenigstens eine zweite Meinung einholen kann“, sagt Insa Kirsch. Sie habe mit ihrer eigenen Recherche Glück gehabt und in Essen den exakt richtigen Behandlungsort gefunden, &bdquo;eine passende Empfehlung oder Überweisung müsste doch ein Standardverfahren sein.“ OP in Essen dauerte mehr als acht Stunden Achteinhalb Stunden dauerte allein die erste OP in Essen. Gebärmutter, Eierstöcke, die bereits befallene Milz und Teile des Darms wurden entfernt. Die Ärzte hätten quasi jedes Organ in die Hand genommen und &bdquo;bis auf Null“ kontrolliert. Insa Kirsch überrascht angesichts solcher plastischen Details: &bdquo;Ich wusste, was passieren würde, aber ich hatte wegen der sehr umfangreichen und einfühlsamen Aufklärung keine große Angst davor.“ Wenige Tage nach dem Eingriff habe ein Pfleger sie zu einem &bdquo;kleinen Tänzchen“ aufgefordert. Die Erinnerung an den Moment verleiht ihr tatsächlich ein strahlendes Lächeln. Eine zweite OP, um ein zwischenzeitliches Stoma wieder zu entfernen, eine 18-wöchige Chemotherapie im Klinikum Gütersloh und parallel bereits die regelmäßige onkologische Trainingstherapie bei &bdquo;mobilo“ folgten. Insa Kirsch erzählt: &bdquo;Vor der ersten Chemo sind wir einmal mit der ganzen Familie nach Dänemark gefahren. Diese Normalität mit den Kindern war extrem wichtig. Und beim Sport empfehle ich jedem Betroffenen, dranzubleiben.“ Sie sei früher auch kein Fitnesstyp gewesen, bekennt Insa Kirsch, lacht wieder und sagt: &bdquo;Die Trainingstherapie mache ich immer noch und werde das sicher in Zukunft fortführen.“ Laut Onkologie ist dieser Baustein in der Krebsbehandlung genauso wichtig wie Chemotherapie. Gütersloher Zahnärztin will im Oktober wieder in der Praxis sein Ihr Leben hat sich seit der Diagnose extrem verändert. Aber wenn die 53-Jährige den Gipfel des Everest erreicht hat, will sie nicht wieder zurück zu dem Davor: &bdquo;Ich will nicht ins alte Basiscamp, sondern ich will bewusster leben und jeden Moment schätzen. Das Wenn-Dann zählt nicht mehr. Stattdessen ist es das Jetzt.“ Kein Aufschieben mehr: &bdquo;Man weiß ja nicht, wie lange man hat.“ Dann hält sie kurz inne und ergänzt: &bdquo;Aber wer weiß das schon?“ Lesen Sie auch: Schnelle OP nach Schock-Diagnose in Gütersloh – 54-jähriger Krebs-Patient gerettet Was die Zahnärztin indes sicher weiß, ist, dass sie Mitte Oktober wieder in ihrer Praxis, die sie vor 25 Jahren gegründet hat, stehen will – &bdquo;zunächst nur stundenweise, je nachdem, wie es mir geht.“ Kein Druck. Doch die Wand des Februars einzureißen, um wieder in Bewegung zu kommen – das ist ihr Plan. Und dabei den Everest endgültig zu erklimmen, um gelassen und bewusst auf das veränderte Leben zu blicken – gleich, wie lang es sein wird. Aber wer weiß das schon?

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