Erschütternde Einblicke: Gütersloher Sanitäter bespuckt, bedroht und attackiert

Gütersloh. Retten und Helfen ist für Marvin Wende nicht nur einfach ein Beruf, sondern eine Leidenschaft. Nach einem Schlüsselerlebnis brach der gelernte Koch von jetzt auf gleich seinen Job in der Küche ab und schulte um zum Rettungssanitäter. Hauptberuflich arbeitet er als Angestellter bei einer Feuerwehr in Ostwestfalen und ehrenamtlich für das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Gütersloh. Seit vier Jahren ist der 24-Jährige auf den Straßen und Plätzen in der Region im Einsatz, um Menschen zu helfen. Doch immer wieder geraten der Retter und seine Kollegen dabei selbst in Not. &bdquo;Wir werden geschubst, beschimpft und angespuckt. Immer öfter kommt es zu körperlichen Angriffen. Das ist leider eine traurige Tatsache.“ Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Übergriffe gegen Polizisten, Rettungs- und Feuerwehrkräfte bundesweit. Auch Post- und Paketdienste beklagen immer häufiger Vorfälle mit ihren Zustellern. Kurz vor Silvester, an dem sich Attacken gegen Einsatzkräfte besonders häufig ereignen, berichtet Sanitäter Marvin Wende im Gespräch mit der &bdquo;Neuen Westfälischen“ von seiner Arbeit, die zunehmend geprägt ist von Angst, Frust und Gewalt. Lesen Sie auch: &bdquo;Ton wird deutlich rauer“: Gewalt an Krankenhäusern in Gütersloh nimmt zu Silvester als Gefahr für Rettungskräfte aus OWL Unvergessen bleiben die Bilder der Zwischenfälle zur Jahreswende aus Berlin, Köln und anderen deutschen Großstädten. Auch in OWL müssen sich Rettungskräfte an Silvester in acht nehmen. &bdquo;Es werden Böller geworfen, Raketen gezielt auf das Fahrzeug gerichtet oder Flaschen unter die Reifen des Rettungswagens gelegt“, berichtet Wende von schockierenden persönlichen Erlebnissen. Doch nicht nur an Feiertagen kommt es zu Zwischenfällen, sondern immer wieder auch im beruflichen Alltag. Beschimpfungen wie &bdquo;Fettsack“ oder &bdquo;Hurensohn“ an Einsatzorten seien für ihn längst an der Tagesordnung. &bdquo;Die dummen Kommentare kommen bei jedem Dienst vor“, erzählt der Rettungssanitäter. Doch leider würden sich auch die körperlichen Angriffe häufen. Allein im Jahr 2024 hat Marvin Wende mehr als zehn Strafanzeigen von Amtswegen gestellt. Alle wegen Widerstands und tätlichen Angriffs auf Personen, die Vollstreckungsbeamten gleich stehen, wie es im Juristendeutsch heißt. &bdquo;Ein Jahr davor war es nur ein Verfahren und ich bin bei Weitem kein Einzelfall. Ein Kollege hat fast doppelt so viele“, erzählt der Sanitäter. Gütersloher Sanitäter fürchtet um eigene Gesundheit Er berichtet von einem Rettungsassistenten, der in Lippe bei einem SEK-Einsatz mit einem Cuttermesser attackiert wurde und von einem Kollegen, der in Herford gewürgt wurde, &bdquo;weil er einen Gaffer vom Filmen abhalten wollte“. Oder von der Sanitäterin, die von Jugendlichen mit Schlägen und Tritten so malträtiert wurde, dass sie selbst in der Klinik landete. Rückt der Rettungswagen aus, machen sich viele Retter mittlerweile Gedanken darüber, was ihnen am Einsatzort widerfahren könnte. Auch Marvin Wende fürchtet mitunter um seine eigene körperliche Unversehrtheit. &bdquo;Du kommst zum Patienten und guckst als Erstes, ob irgendwo ein Messer oder eine Waffe herumliegt und nach den besten Fluchtmöglichkeiten. Das ist traurig und macht mich wirklich wütend.“ Zwar gebe es einen Panikknopf in Rettungswagen, doch die dann alarmierte Polizei müsse entsprechende Kapazitäten haben und auch schnell genug vor Ort sein. Der Gütersloher DRK-Sanitäter weiß um die Gefahr, auch mal zwischen die Fronten geraten zu können. Doch weil sich Retter generell immer öfter Übergriffen ausgesetzt sehen, hat er sich entschieden, etwas zu ändern. Gütersloher Sanitäter besorgt sich Sicherheitsweste Er besorgte sich eine stichsichere und schusshemmende Weste für rund 500 Euro – auf eigene Kosten. Nach Informationen der &bdquo;Neuen Westfälischen“ sollen bereits Feuerwehren in OWL solche Westen testen, damit ihre Einsatzkräfte sicherer unterwegs und besser vor Gewalt geschützt sind. &bdquo;In 95 Prozent der Fälle sind es die Patienten selbst, die gewalttätig werden“, berichtet Marvin Wende, &bdquo;ansonsten aggressive Angehörige.“ Oft würden die Angreifer unter Drogen- oder Alkoholeinfluss stehen. Manche würden schlichtweg nicht begreifen, dass es sich um Sanitäter handelt, die ihnen helfen wollen. Er selbst wurde bei einem Gütersloher Volksfest Mitte September von einer damals 49 Jahre alten Frau angegriffen, als er ihr im Ehrenamtsdienst für das DRK Gütersloh helfen wollten. &bdquo;Passanten hatten uns über eine Patientin alarmiert, die offenbar stark angetrunken war und am Boden lag. Sie hat mir dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen.“ Es sind Vorfälle wie dieser, die Marvin Wende zweifeln lassen. Dabei rettet der in Bielefeld lebende 24-Jährige doch für sein Leben gern – im Job wie in seiner Freizeit. &bdquo;Geplant war das nicht“, verrät er, &bdquo;denn eigentlich habe ich Koch gelernt und bei einem Restaurant in Herford gearbeitet.“ Statt Kochen: Gütersloher will Leben retten Bis vor fünf Jahren, als er beim Zerteilen eines Wildschweins aus der Küche gerufen wurde, da sich im Gastraum ein Notfall ereignet hatte. &bdquo;Eine Frau war zusammengebrochen und später gestorben“, erzählt Wende: &bdquo;Als es passierte, war keiner da, der ihr helfen konnte – auch ich nicht.“ Sein Schlüsselmoment war 2019. Damals steht für den jungen Mann fest: &bdquo;Ich will mehr hören als ’Das Schnitzel war gut’. Ich möchte lernen, Leben zu retten.“ Er informiert sich über das Ehrenamt, will aber noch mehr und startet eine High-Standard-Ausbildung als Rettungssanitäter mit staatlicher Prüfung in Kiel. &bdquo;Dort sind die gesetzlichen Regelungen so, dass man nach der Ausbildung auch Zugänge legen oder Medikamente wie Adrenalin geben darf“, schildert Wende. Seit zwei Jahren arbeitet er nun hauptberuflich im Rettungsdienst einer Feuerwehr in Ostwestfalen im 24-Stunden-Schichbetrieb. &bdquo;Wir arbeiten von 7 bis um 7 Uhr am nächsten Tag“, erläutert Marvin Wende, &bdquo;danach gibt es zwei freie Tage.“ Doch das Helfer-Gen lässt ihn auch nach Feierabend nicht los. Als Teilnehmer des Programms &bdquo;Mobile Retter“ kann er als Privatperson über eine App jederzeit von einer Rettungsdienststelle zu einem Notfall in seiner Nähe beordert werden. Frau entschuldigt sich beim Gütersloher &bdquo;Da hatte ich allein in diesem Jahr 97 Einsätze, an einem Tag waren es mal vier“, bilanziert Wende. Vom System ist er begeistert: &bdquo;85 Prozent der Betroffenen profitieren von der schnellen Hilfe.“ Marvin Wende arbeitet zusätzlich als Dozent und Ausbilder und verrichtet seit einem Jahr auch noch seinen Dienst in der Johanniter-Motorradstaffel Minden-Ravensberg. Nicht zu vergessen sein Engagement als Rotkreuz-Sanitäter in Gütersloh, wo er seit diesem Frühjahr Veranstaltungen wie Stadt- und Kirchenfeste oder Fußballspiele überwacht. &bdquo;Die Frau, die mich damals geschlagen hat, hat sich in einem Brief entschuldigt“, erzählt der 24-Jährige. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft laufe hingegen noch. Lesen Sie auch: Es muss hingeschaut werden: Gewalt gegen Frauen auch im Kreis Gütersloh allgegenwärtig Große Chancen auf Gerechtigkeit rechnet sich der Sanitäter aber nicht aus. Die Sache werde vermutlich im Sande verlaufen, wie schon so viele Ermittlungsverfahren zuvor. &bdquo;Die Verfahren werden leider in der Regel eingestellt. Wir haben zwar Rechtssicherheit, aber niemand der Staatsanwälte hat den Mut, es durchzusetzen“, sagt Marvin Wende. Gütersloher Sanitäter fordert härtere Konsequenzen Er fühle sich hilf- und schutzlos und fordert eine konsequentere Strafverfolgung von Gewalttaten gegen Rettungskräfte, eine bessere Dokumentation und deren Weiterleitung an die Verfolgungsbehörden. &bdquo;Es ist nicht Sache der Polizei, sondern der Politik. Die Politik muss zusätzliche Arbeitsplätze in diesem Bereich schaffen, um solchen Fällen besser nachgehen zu können.“ Für die bevorstehende Silvesterparty hat Marvin Wende die Hoffnung, &bdquo;dass es für alle Retter und Helfer ohne große Zwischenfälle verläuft.“ Er und seine Kollegen vom Rettungsdienst seien am 31. Dezember oft mit einem hohen Aggressionspotenzial konfrontiert. Die generelle Botschaft des Sanitäters lautet daher für die Zukunft und das Jahr 2025: &bdquo;Ich würde mir ein deutlich friedlicheres Miteinander wünschen, Verständnis für unsere Arbeit und auch den entsprechenden Raum dafür.“

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