Finden Sie die Gütersloher undankbar, Herr Schäfer? Ehrliche Worte vom Chef des Theaters

Lieber Herr Schäfer, neulich hat einer der vier Bürgermeisterkandidaten den Vorschlag geäußert, man sollte das Gütersloher Theater doch einfach zurückgeben. An Liz Mohn zum Beispiel. Ich gebe zu, der Gedanke ist so absurd, dass er mich zum Lachen bringt. Aber tatsächlich hatten wir gerade einen Bürgermeister, der das Theater abgelehnt hat und nur unter Protest betreten hat. Der neue Bürgermeister will den Kulturdezernenten einsparen. Und ich frage mich, ob Sie wohl manchmal auf die leere Bühne gehen und Ihre Wut rausbrüllen. Einfach so, weil Sie die Gütersloher kulturlos finden, oder undankbar - oder beides. Oder haben Sie gar keine Wut? Christian Schäfer, Mittwoch, 11.12.2024, 12:11 Uhr: Es ist ein Trugschluss und sicher keine Alternative für Deutschland, wenn man meint, ein Stadttheater einfach in privatwirtschaftliche Hände geben zu können. Weder Groß- noch Kleinspender, welche die Stadt beim Neubau unterstützt haben, beanspruchen es alleine für sich. Es gehört der Allgemeinheit – in erster Linie den Bürgerinnen und Bürgern von Gütersloh. Wenn bei vielen ausverkauften Vorstellungen ein jubelndes Gütersloher Publikum zu beobachten ist oder fast täglich Kinder die Stockwerke bei Workshops und Erkundungstouren bevölkern, dann empfinde ich nicht im Geringsten, dass man in Gütersloh undankbar ist. Negative Gefühle erhält man eher beim Lesen bestimmter Chats in den sozialen Medien, wo sich aber auch häufig dieselben Menschen begegnen, oder? Lesen Sie auch: Viel Investitionsbedarf: Theaterbesuch und Veranstaltungen in Gütersloh werden teurer Ich neige sowieso nicht zum Wutbürgertum und unsere Bühne ist selten leer, sodass wenig Zeit bliebe, um ungestört zu brüllen. Die Überlegung des neuen Bürgermeisters den Beigeordneten-Posten mit zu übernehmen, finde ich insofern sympathisch, als dass ich tatsächlich glaube, dass er Lust auf eine enge Zusammenarbeit mit den Kulturschaffenden und ein Eintreten für die Belange der Kultur in Gütersloh hat. Ich habe ihn jedenfalls als kulturaffinen Menschen und engagierten Theatergänger kennengelernt. Angesichts der enormen Herausforderungen, die ihn erwarten, wäre es allerdings nicht verwunderlich, wenn er in der Zeit, in der Andreas Kimpel noch an Bord ist, feststellen würde, dass die Tage von Montag bis Sonntag auch ohne zusätzlichen Job bereits ausgefüllt sind. So wie bei Ihnen und mir, oder? Bleibt Ihnen überhaupt Zeit, Kulturveranstaltungen zu besuchen? Jeanette Salzmann, Donnerstag, 12.12.2024, 18.17 Uhr: Sicherlich ist mein Terminkalender voll – oder mein Akku leer – sodass die Kulturbesuche nicht so üppig sind, wie ich mir das wünsche. Ich fürchte, ich habe viel verpasst. Nehmen wir das Beispiel Jamie Cullum. Nur weil ein Ticket spontan frei wurde, saß ich abends vor der Bühne. Die Leute sind vor Begeisterung ausgeflippt und standen auf den hübschen roten Theatersitzen, weil sie nicht mehr wussten wohin mit sich. So habe ich die Gütersloher noch nie erlebt und bei der Erinnerung muss ich heute noch schmuzeln. Ich bräuchte also ein Abo, um sicherzugehen, dass solch bewegende Momente nicht an mir vorbeigehen. Neulich habe ich ein Zitat von Dorothea Gregor gelesen. Sie ist Kulturexpertin der Liz Mohn Stiftung und meinte: &bdquo;Wenn ich ins Theater gehe, ist das die schönste Art, meine Steuergelder wiederzusehen.“ Wie finden Sie den Satz? Christian Schäfer, Donnerstag, 12.12.2024, 20.11 Uhr: Falls nur der Akku leer ist: Theaterschlaf soll sehr gesund sein! Ich saß schon einmal in Berlin in der Nähe der damaligen Staatsministerin für Kultur, welche die ganze erste Hälfte des Abends schlief, um dann gut erholt in die Pause zu gehen! Tatsächlich haben Sie mit Jamie Cullum ein Konzert erlebt, auf das ich einige Jahre hingearbeitet hatte, um dann, als es endlich stattfand, mit Corona zu Hause zu sitzen. Nicht ganz so verrückt wie die eigene Premiere, die ich aufgrund der Geburt meiner Tochter verpasst habe, aber auch unfassbar. Manchmal kommt das Leben einfach dazwischen. Ich bin aber sehr glücklich darüber, dass es zum erwarteten Happening ausartete. Und wohlgefühlt hat sich Jamie auch – unser Kollege vom Licht bekam sogar eine persönliche Dankesnachricht für seine tolle Arbeit von ihm. Lesen Sie auch: Bühnencomeback nach 20 Jahren: Comedy-Trio tritt zum Mega-Geburtstag in Gütersloh auf Dorothea Gregor neigt zu richtigen Beobachtungen! Natürlich könnten Nicht-Theatergänger sagen: &bdquo;Und was ist mit uns? Wir sehen diese Gelder nicht wieder!“ Ihnen würden wir wiederum zurufen, dass wir uns jederzeit über Ersttäter freuen und tatsächlich immer wieder solche begrüßen dürfen! Wir bemühen uns um positive Erlebnisse, können das aber natürlich nie garantieren. Schon weil die Geschmäcker verschieden sind. Sind Sie schon einmal richtig verärgert aus einem Theaterabend herausgekommen? Jeanette Salzmann, Freitag, 13.12.2024, 10:19 Uhr: Jetzt haben Sie einen hübschen, eleganten Haken geschlagen und locken mich mit Ihrer Frage vom Weg ab. Also schiebe ich Sie jetzt zurück auf die Bühne und stelle Ihnen noch einmal Dorothea Gregor an die Seite. Angesichts der wirtschaftlichen und finanziellen Lage sieht die Kulturexpertin die deutsche Theater- und Kulturlandschaft vor einem riesigen Strukturwandel. Dennoch erwarteten viele Theater &bdquo;zu selbstverständlich, dass Gelder weiter fließen wie bisher“. Künstlerische Leitungen dächten zu wenig darüber nach: &bdquo;Wie kann ich mein Haus effizienter führen und trotzdem weiterhin Top Qualität abliefern?“ Da sei unternehmerisches Denken gefragt, auch um neue Finanzierungsmöglichkeiten aufzutun. Das Gespräch hat Gregor neulich mit der Deutschen Welle geführt. Herr Schäfer, jetzt bin ich aber gespannt auf ihre Finanzierungsideen. Christian Schäfer, Samstag, 14.12.2024, 00:50 Uhr: Es mag mancherorts verkrustete Strukturen geben, aber wie viele Kolleginnen und Kollegen halte ich gar nichts für selbstverständlich. Im modern, effizient und schlank aufgestellten Theater Gütersloh müssen wir immer in Bewegung bleiben. Zumal mir vollkommen klar ist, dass sich ein Kulturbetrieb niemals ausruhen darf – weder auf Lorbeeren noch auf Zuschüssen. Was das Programm angeht, so buhlt jedes Gastspiel und jede Eigenproduktion immer wieder neu um die Gunst des Publikums. Jeder neue Haushalt muss im Rat Zustimmung finden. Im &bdquo;Relevanzmonitor Kultur“, den Dorothea Gregor für die Liz Mohn Stiftung erarbeitet hat, werden die Erwartungen der Befragten an heutige Kulturbetriebe benannt. Positiv lässt sich erkennen, dass wir uns mit unserem Gütersloher Ansatz in vielen Punkten auf dem richtigen Weg zu befinden scheinen – vom breit aufgestellten, möglichst qualitätvollen Programm-Angebot über die Einbindung lokaler Gruppen, Kooperationen mit anderen Institutionen, Theatern und Festivals, dem immer wichtiger werdenden theaterpädagogischen Bereich, den Feedback- und Vermittlungsangeboten, bis zu stetig zu verbessernden digitalen Informations- und Vertriebswegen – um nur ein paar Beispiele zu nennen. In Puncto neue Finanzierungsideen sind wir allerdings schon zur Kreativität gezwungen gewesen, seit klar war, dass die eine Million Programmetat, die beim Theaterbau beschlossen wurde, nicht kommen würde. Unsere zahlreichen Partner bilden eine außergewöhnlich starke Allianz von Drittmittelgebern, die in Zeiten der Finanzkrise besonders wichtig ist, jedoch kaum ausbaubar sein dürfte. Und Fördergeber möchten auch keine Löcher stopfen, sondern ein Plus an Kultur ermöglichen. Tatsächlich tun sich im Dialog mit unseren Partnern immer wieder neue spannende Projekte auf, aktuell zum Beispiel im Bezug auf das Stadtjubiläum. Eintrittspreissteigerungen nehmen wir vor, wobei es, mit Blick auf umliegende Häuser gilt, konkurrenzfähig zu bleiben und niederschwelligen Zugang weiter zu ermöglichen. Lesen Sie auch: Hauptdarsteller krank: Premiere von neuem Gütersloher Weihnachtsstück auf der Kippe Letzteres wurde übrigens im besagten &bdquo;Relevanzmonitor“ von knapp 90 Prozent der Befragten befürwortet. Wie heftig die Krise werden wird, lässt sich noch nicht ermessen. Wir versuchen, uns mit unserem Portfolio bestmöglich zu behaupten. Hat die Finanzsituation der Kommunen eigentlich auch direkte Auswirkungen auf den Zeitungsmarkt und die &bdquo;NW“? Jeanette Salzmann, Sonntag, 15.12.2024, 12:59: Nun, wir haben eine Gemeinsamkeit: Theater und &bdquo;NW“ erhöhen die Preise um exakt denselben Wert. Wir beide wissen, dass das nicht aus Lust am Verdienst geschieht, sondern aus der Notwendigkeit, um weiter bestehen zu können. Aber wir sind ja nicht nur in leitender Funktion, sondern auch Bürger. Und als solches werden Sie vermutlich das Gefühl teilen, dass einen die Vielzahl der Preiserhöhungen und schlechten Nachrichten schwindelig macht, oder? Eigentlich würde ich gerne ganz wegschauen, Nachrichten aus, fertig. Das funktioniert in meinem Beruf nicht und wäre wohl auch Vogel-Strauß-Mentalität. Aber ich behaupte, dass ganz viele Menschen diesen Reflex haben. Vielleicht ist es auch ein Instinkt, den wir begrüßen sollten, weil er uns hilft. Egal ob Theater oder Medien, wir müssen viel guten Inhalt produzieren, um zu überzeugen und zu überleben. &bdquo;Aus einem verzagten Arsch kommt kein fröhlicher Furz“ – den Spruch traue ich mich jetzt nur öffentlich zu zitieren, weil er angeblich von Martin Luther stammt. Wie gelingt es Ihnen denn, bei all der Problemlage zuversichtlich und kreativ zu bleiben? Christian Schäfer, Sonntag, 15.12.2024, 20:35 Uhr: Ja, es kann einem in diesen Zeiten aus vielerlei Gründen schwindelig werden. Was die Preise im Theater angeht, so sind sie schlicht Teil der notwendigen Konsolidierungsmaßnahmen der Stadt – kein Fachbereich möchte in die Haushaltssicherung geraten und damit fremdbestimmt werden. Uns ist es allerdings weiterhin besonders wichtig, die Einstiegspreise nicht zu hoch werden zu lassen. Deswegen erhöhen wir beim Kinder- und Jugendtheater generell weniger und im Erwachsenentheater haben wir eine dritte Preiskategorie eingeführt. In unserem Verständnis ist Theater keine elitäre Angelegenheit, wie es in den Vorurteilen der Gegner des Neubaus oft verschrien wurde und von manchen Berliner Lokalpolitikern gerade sogar propagiert wird. Unser je nach Darbietung durchaus diverses Publikum – von klein bis groß – beweist uns, dass dem nicht so ist. Das Publikum ist es auch, was uns als Theatermacher ermutigt und nicht verzagen lässt. Seine Resonanzen geben uns das Gefühl, dass unsere Arbeit Sinn ergibt. Gerade in schwierigen Zeiten. Wir bieten die Möglichkeit, das Weltgeschehen spielerisch zu reflektieren und das Gemeinschaftserlebnis Theater kann dabei helfen, sich diesem Geschehen nach dem Besuch wieder aussetzen zu müssen. Je nach Spielart werden wir aber auch zur richtigen Eskapismus-Bude! Jeanette Salzmann, Montag, 16.12.2024, 11:32 Uhr: 2025 feiert Gütersloh Stadtfest und Sie sind gewiss besser informiert über all die Pläne und Projekte als ich. Würden Sie für mich ein bisschen spoilern? Verraten Sie, wann das Theater im nächsten Jahr zum besten Zufluchtsort der Stadt wird? Christian Schäfer, Montag, 16.12.2024, 23:22 Uhr: Oh ja, das Jubiläum wirft seine Schatten voraus! &bdquo;200 Jahre Gütersloh – und wie lange müssen wir noch?“, fragen VOX Rindvieh, die ihre Reunion-Show bei uns rausbringen werden, worüber wir sehr happy sind. Ein bisschen stolz darf Gütersloh darüber sein, dass der internationale Kabarettpreis &bdquo;Salzburger Stier“, samt hochklassigem Festival erstmals bei uns stattfindet. Das ist schon ein Blumenstrauß zum Geburtstag, wie man ihn in der Größe nicht erwarten konnte. Die Geburtstagstorte in entsprechender Dimension wird gerade bei Bertelsmann gebacken. Wenn Sie es nicht weitersagen, erzähle ich Ihnen noch, dass wir uns im Zuge der Langennachtderkunst, kurz nach der Walpurgisnacht, mittels eines musikalischen Live-Hörspiels, der Gütersloher Hexenmär &bdquo;Görken Ginken“ widmen werden und verrate Ihnen zudem, dass Joachim Zelter ein grandioses Stück über den Gründervater des Deutschen Posaunenchorwesens, Johannes Kuhlo für uns geschrieben hat. Mit diesem werden wir die Spielzeit 25/26 eröffnen. Jener Kuhlo, der sowohl den Posaunenchor am ESG gründete, als auch über Jahrzehnte bei Bodelschwingh in Bethel tätig war, um schließlich &bdquo;Reichsposaunenführer“ zu werden und für Hitler auf dem Obersalzberg aufzuspielen. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren Projekte und auf das Jahr an sich. Wenn wir das in Gütersloh gemeinsam rocken, wird es die Risse, die zuletzt in der Stadtgesellschaft größer geworden sind, hoffentlich kitten und die monetären Sorgen, vor denen auch das Jubiläum nicht verschont geblieben ist, in den Hintergrund treten lassen. Immer vorausgesetzt, dass die globale Lage die lokale Feierei überhaupt legitim erscheinen lässt.

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