Unternehmen verschwindet aus Gütersloh – kluger Schachzug des Rathauses

Gütersloh. Seit Juli 2019 sind E-Scooter in Deutschland zugelassen. Im selben Jahr fuhren bereits über 50.000 elektrisch angetriebene E-Roller verschiedener Anbieter in den großen Städten Deutschlands. Sie haben das Land flott erobert. Sie haben auch Gütersloh erobert. Seit Oktober 2019 fahren die türkisfarbenen Roller in unseren Straßen. Inzwischen sind sie fester Bestandteil im Gütersloher Stadtbild. Doch über wenig wird so leidenschaftlich diskutiert wie über E-Scooter. Für viele, besonders junge Leute, sind sie eine echte Erleichterung, da sie kürzere Strecken ohne Abhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem eigenen Auto bewältigen können. Für die anderen sind sie Elektroschrott, der auf den Gehwegen herumsteht. Viele Städte suchen händeringend nach Auswegen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Barcelona hat die Nutzung auf Gehwegen und Parks verboten. Paris hat die Scooter vollständig verboten. Kopenhagen hat die Nutzung der E-Scooter mit strikten Regeln und Einschränkungen wieder erlaubt. Unternehmen fühlen sich nicht für Folgeschäden zuständig Auch Berlin hat Maßnahmen ergriffen, um das Chaos zu reduzieren. Fast 30.000 E-Scooter sollen in der Hauptstadt gegenwärtig registriert sein. Dagegen wirken die 250 E-Scooter der Firma Dott (vormals Tier), die in Gütersloh unterwegs sein sollen, fast niedlich. Die Probleme sind im Kleinen wie im Großen jedoch die gleichen: Anbieter wie Bolt, Tier, Lime, Voi und Bird platzieren ihre elektrischen Roller in den Innenstädten und kassieren ab. Da das Geschäftsmodell mit Leih-E-Scootern ausschließlich auf öffentlichen Flächen stattfindet und explizit keine angemieteten Ladenlokale oder ähnliches nötig sind, ist der wirtschaftliche Nutzen beachtlich. Für die Folgeschäden fühlen sie sich nicht zuständig. Lesen Sie auch: &bdquo;Ich habe Angst“: Ärger über rücksichtslose E-Scooter- und Radfahrer im Kreis Gütersloh Die Spree ist im Stadtzentrum von Berlin voller E-Scooter, wie Aufräumaktionen immer wieder eindrucksvoll belegten. Schlagzeilen machten die mehr als 500 E-Scooter, die von Randalierern auf den Grund des Rheins in Köln geworfen worden sein sollen. Die Akkus sind hochgiftig und belasten die Gewässer. Reaktion von Dott auf die Gebührenerhöhung war erwartbar Schon vor drei Jahren gab es reichlich Unmut in Gütersloh über die achtlos abgestellten E-Scooter im Innenstadtbereich. Tier versprach Besserung. Das sogenannte Free-Floating-Prinzip wurde angepriesen als eine optimale Lösung. &bdquo;Unser Wunsch ist es daher, dass in Gütersloh zeitnah solche Abstellflächen geschaffen werden und dafür Pkw-Parkplätze in Stellflächen für E-Scooter, Fahrräder und Lastenräder umgewandelt werden“, erklärte Tier. Ein schöner Gedanke – der allein durch Forderung gekennzeichnet ist. Denn wenn öffentliche Pkw-Stellfläche gewandelt wird, muss diese bezahlt werden. Ein Scooter braucht ein Quadratmeter Platz, macht 25 Euro Gebühr pro Monat, macht 300 Euro pro Roller und Jahr. So die korrekte Rechnung der Stadt Gütersloh für die Firma Dott, zu zahlen ab Januar 2025. Bei seiner derzeitigen Flottenstärke in Gütersloh müsste Dott somit pro Jahr 75.000 Euro jährlich an die Stadt zahlen. &bdquo;Das ist astronomisch und untragbar“ – die Reaktion war erwartbar. &bdquo;Mit der Sondernutzungsgebühr von 300 Euro pro Jahr ist Gütersloh alleiniger Rekordhalter in Deutschland. Das ist so viel Geld, das kann man mit einem Roller nicht einfach wieder rein holen.“ Hohe Gebühr ist sicherster Weg, weil Dott freiwillig geht Auch dieser Satz vom Dott-Sprecher war erwartbar. Und gewünscht. Gütersloh will, dass die Dinger verschwinden. Die hohe Gebühr ist der sicherste Weg – weil Dott freiwillig geht. Diese Reaktion haben die Verleiher durch ihr konsequentes Nicht-Handeln selbst heraufbeschworen. Gelsenkirchen hatte auch die Nase voll. Die Stadt verbietet seit April E-Scooter, weil die beiden Anbieter Bolt und Tier neue Vorgaben nicht erfüllen wollen – das ist ein bislang einmaliger Vorgang in Deutschland, für den die Stadt Gelsenkirchen aktuell bundesweit in die Schlagzeilen gerät. Lesen Sie auch: Unfall im Kreis Gütersloh: E-Scooter-Fahrerin schwer verletzt - Hubschrauber gelandet Stadt und Verleiher streiten seither vor dem Verwaltungsgericht. Das Ergebnis steht noch aus. Gelsenkirchen will mit den neuen Vorgaben den Missbrauch der Geräte reduzieren. Die Anbieter – wie zu erwarten – sperren sich. Umweltbilanz geteilter Scooter ist laut Studien meist schlecht Der Gütersloher Rat hat in der Sitzung vor Weihnachten das letzte Wort. Die Entscheidung aber ist längst gefallen. Wer den Verlust beklagt, sollte einen Blick auf die Fakten werfen: Ein Forschungsteam der ETH-Zürich hat Daten zu E-Bike und E-Scooter-Fahrten von Sharing-Anbietern ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis, dass diese dem Klima mehr schaden als nützen. Die Umweltbilanz von geteilten E-Scootern fällt meist schlecht aus. Die Akkus sollen eine Lebensdauer von knapp zwei Jahren haben. Realistisch ist das nicht: Immer wieder werden E-Scooter zerstört, landen in Flüssen oder Straßengräben. Eine Analyse frei verfügbarer Daten zur Startflotte von Bird in Louisville, Kentucky, die das Magazin &bdquo;Quartz“ durchführte, kam zu dem Schluss, dass die Scooter im Schnitt nur 28,8 Tage halten. Forscher an der North Carolina State University haben ein &bdquo;Life-Cycle Assessment“ der E-Scooter durchgeführt, bei dem alle Emissionen einberechnet werden, die bei Herstellung, Transport, Laden, Einsammeln und Entsorgung der Fahrzeuge entsteht. Abschaffen der Leih-E-Scooter scheint fällig Die Studie kommt insgesamt zu dem Ergebnis, dass E-Scooter, die man überall abstellen kann, mehr Treibhausgasemissionen pro zurückgelegter US-Meile erzeugen als ein normaler Dieselbus mit hohem Auslastungsgrad. Kurzum: Das Abschaffen der Leih-E-Scooter scheint fällig und der Schachzug des Gütersloher Rathauses klug. Den Rest entscheiden ohnehin die Gerichte.

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