Verletzungen und Personalmangel: Gütersloher Eltern äußern heftige Kritik an Kita

Gütersloh. Die Abholung des eigenen Kindes aus dem Kindergarten sollte ein unbeschwertes Ereignis am Ende eines jeden Tages sein. Doch für einige Eltern des Matthäus Kindergartens in Gütersloh sieht die Realität anders aus. Sie berichten von einer einzelnen, sichtlich gestressten Erzieherin, die sich allein um mehr als 20 Kinder kümmern muss. An anderen Tagen kehren ihre Kinder mit Kratzern und blauen Flecken nach Hause zurück, ohne dass das Kindergartenpersonal davon Kenntnis hat – trotz genauer Schilderungen der Geschehnisse durch die Kinder selbst. Diese und ähnliche Erfahrungen teilen mehrere Eltern, deren Kinder im Matthäus Kindergarten betreut werden, der unter der Verwaltung der Trägergemeinschaft TfK des evangelischen Kirchenkreises Gütersloh steht. Die Eltern richten schwere Vorwürfe gegen den Träger. Ihrer Meinung nach vernachlässigt dieser seine Fürsorgepflicht, stellt zu wenig Personal ein und belastet damit das vorhandene Team über Gebühr. Kritik richtet sich gegen Träger, nicht gegen Erzieher Die &bdquo;Neue Westfälische“ hat Gespräche mit zwei Müttern und einem Vater geführt, die aus Sorge vor negativen Konsequenzen für ihre Kinder anonym bleiben möchten. Die Namen sind von der Redaktion geändert worden. Alle drei bekräftigen im Gespräch mehrfach, dass sich ihre Kritik ausschließlich gegen den Träger richtet und nicht gegen die Erzieherinnen und Erzieher vor Ort. Diese würden sich nach Aussage der Eltern &bdquo;die Beine ausreißen“, um die schwierige Situation so gut es geht zu meistern. &bdquo;Wir haben zurzeit im Matthäus Kindergarten 62 Kinder. Das Personal besteht aus neun Erziehern, einer Leitung und einer Auszubildenden“, berichtet Sophia Müller. &bdquo;Rechnet man jetzt die Anzahl der Kinder durch die Anzahl der Kinder, kommt man auf einen Betreuungsschlüssel von 6,8 Kindern pro Erzieher“, fügt sie hinzu. Das bedeute, dass selbst bei Vollbesetzung der vorgegebene Betreuungsschlüssel von sechs zu eins nicht erfüllt werde, sagt die besorgte Mutter. Lesen Sie auch: Gütersloher Kita-Eltern gewähren ehrliche Einblicke Einige Eltern bereits vom Arbeitgeber abgemahnt Hinzu komme, dass donnerstags und freitags jeweils eine Fachkraft ausfalle. Generell seien die meisten Fachkräfte in Teilzeit beschäftigt. &bdquo;Wenn dann noch ein Erzieher krank wird, landen wir direkt in der Notbetreuung“, sagt Müller. Notbetreuung heißt im Matthäus Kindergarten, dass Eltern angeschrieben werden und gebeten werden, die Kinder komplett zu Hause zu betreuen. &bdquo;Manchmal kommt es vor, dass wir erst Stunden nachdem wir das Kind in der Kita abgegeben haben, benachrichtigt werden“, sagt Lara Schmidt. Am Arbeitsplatz sorge das für Spannungen. &bdquo;Ich habe zum Glück die Möglichkeit ins Homeoffice zu gehen und mein Chef ist da auch sehr kulant, aber auch bei mir ist langsam der Bogen überspannt“, berichtet sie. Andere Eltern seien bereits von ihrem Arbeitgeber deswegen abgemahnt worden. Laut den beiden greife das System der Notbetreuung seit der Sommerpause fast wöchentlich. Kinder laufen unbemerkt davon Diese Personalsituation führe dazu, dass Kinder zeitweise unbeaufsichtigt seien, sagt Maximilian Bauer. Im Gespräch folgt nun eine ganze Reihe an Erfahrungsberichten. So sei es beispielsweise vorgekommen, dass Kinder unbemerkt aus dem Kindergarten laufen und nur zufällig von ankommenden Eltern wieder eingefangen werden konnten, so Bauer. Schmidt berichtet von unzureichender Pflege, wie das Nichtwechseln von Windeln über mehrere Stunden, was zu gesundheitlichen Problemen bei ihrem Kind geführt habe. Müller erzählt von den eingangs genannten Verletzungen, die in der Kita nicht bemerkt und nicht, wie es eigentlich vorgegeben ist, bei den Eltern gemeldet werden. Lesen Sie auch: Kita-Berater wird handgreiflich gegen Erzieherin in Gütersloh: Stadt reagiert umgehend &bdquo;Die Erzieher sind häufig überlastet“ Diese Gemengelage belastet nicht nur die Kinder und Eltern, sondern auch das Personal. &bdquo;Die Erzieher sind häufig überlastet, was zu einer hohen Fluktuation führt“, sagt Müller. Es sei schon vorgekommen, dass innerhalb eines Jahres 15 verschiedene Erzieher in der Kita tätig waren. &bdquo;Viele Erzieher kündigen aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen, was die Kontinuität und Qualität der Betreuung beeinträchtigt“, ergänzt Bauer. Gleichzeitig werde das Personal, was bleiben möchte, nur mit befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet. &bdquo;Es gibt einen Erzieher, dessen Vertrag auf zwei Jahren befristet war. Jetzt wurde ihm im Anschluss ein Einjahresvertrag angeboten“, sagt Schmidt. Verbesserung der Umstände ist nicht in Sicht Das Fass zum Überlaufen brachte ein Elternschreiben der Kitaleitung, welches der &bdquo;NW“ vorliegt. Demnach sollen die Eltern, aufgrund des Personalmangels, in einer Tabelle auf einer Skala von 1 bis 5 angeben, an welchen Wochentagen ihr Betreuungsbedarf am größten ausfällt. Dabei steht der Wert 1 für dringenden Betreuungsbedarf. Wichtig dabei: Jeder Wert darf nur einmal in der Tabelle eingetragen werden. Sollte man die Tabelle nicht ausfüllen, werde die Kitaleitung im Falle einer Notfallbetreuung entscheiden, &bdquo;welche/wie viele Familien ihre Kinder an welchen Tagen anderweitig betreuen müssen“, heißt es in dem Schreiben. &bdquo;Das ist schon harter Tobak“, sagt Schmidt. Sie sei sich nicht mal sicher, ob dieses Vorgehen überhaupt rechtens sei. &bdquo;Seit Jahren ertragen wir die Mängel und haben versucht, intern Lösungen zu finden. Doch der Träger spielt die Probleme nur herunter oder betont wie knapp die Trägergemeinschaft bei Kasse ist“, sagt Müller. Eine Verbesserung der Umstände sei nicht in Sicht. Träger bezieht Stellung Die Trägergemeinschaft &bdquo;TfK“ des evangelischen Kirchenkreises Gütersloh räumt auf &bdquo;NW“-Anfrage ein, dass die Personalsituation im Matthäus Kindergarten angespannt ist. In einer schriftlichen Stellungnahme des Trägers heißt es: &bdquo;Aufgrund von krankheitsbedingten Ausfällen im Team im Matthäus-Kindergarten ist es aktuell nicht möglich, den laut KiBiz (Kinderbildungsgesetz) vorgeschriebenen Personalschlüssel in der Einrichtung vorzuhalten.“ Dies habe zur Folge, dass pädagogische Angebote ausfallen und Betreuungszeiten eingeschränkt werden müssen, um die Aufsichtspflicht zu gewährleisten. Laut der Trägergemeinschaft sei man durchgehend auf der Suche nach neuem Personal. Dies gestalte sich derzeit allerdings aufgrund des Fachkräftemangels in der Branche schwierig. Bislang habe man eine Fachkraft über eine aus einer Personalagentur einstellen können. Vorfälle werden weder bestätigt noch dementiert Die von den Eltern beschriebenen Vorfälle werden in der Stellungnahme des Trägers weder bestätigt noch dementiert. &bdquo;Die beschriebenen Vorfälle werden mit dem Team reflektiert und aufgearbeitet, damit weiterhin die sichere Betreuung der Kinder gewährleistet werden kann“, so die Trägergemeinschaft. Des Weiteren schätze man das große Engagement und die fachliche Qualifikation der eigenen Mitarbeiter sehr. Das Schreiben, in dem die Eltern aufgefordert werden, ihren Betreuungsbedarf zu priorisieren, sei eine Möglichkeit, um die personellen Ressourcen gezielt auf die Betreuung der Kinder verteilen. &bdquo;Wir entsprechen damit auch den Vorgaben des Landesjugendamtes, dass alle Kinder ein Recht auf Betreuung haben, unabhängig von der jeweiligen Berufstätigkeit der Eltern“, heißt es weiter. Wie viele andere Träger stehe man vor der Situation, dass die finanziellen Mittel langfristig nicht ausreichen. &bdquo;Bei einer auskömmlichen KiBiz-Finanzierung könnten wir von einem höheren Personalschlüssel ausgehen“, betont die Trägergemeinschaft abschließend.

Meistgelesen