„Es ist viel“: Gütersloher Politiker gibt ehrlichen Einblick über die Arbeit im Rathaus

Gütersloh. Sascha Priebe öffnet seinen Terminkalender und sagt: &bdquo;Für jemanden, der Familie hat, wäre ein solcher Kalender ein Scheidungsgrund.“ Von den zehn Mai-Tagen ging Priebe an acht dem nach, was ihm wichtig ist: Er machte Politik. Unentwegt. Selbst an den beiden Feiertagen und dem Brückentag. Manchmal mehrere Termine hintereinander. Priebe (53) ist Ehrenamtler. Sein politisches Pensum entspricht jedoch einem Halbtagsjob. Weil er einer kleinen Partei angehört, der FDP, und weil es nur wenige Schultern sind, auf die er die politischen Themen verteilen kann, rödelt Priebe beinah Tag für Tag. Er nimmt an Sitzungen teil, liest Unterlagen, nimmt Repräsentationstermine wahr. &bdquo;Es ist viel“, sagt er. Nun kommen noch einige Termine hinzu. Der Rat, dem 56 Mitglieder und sechs Fraktionen angehören, hat beschlossen, weitere fünf Arbeitskreise zu bilden. Es werden dann 15 sein. 15 Arbeitskreise, die zwei- bis viermal im Jahr tagen, die es zusätzlich zu den Ratsgremien gibt, zusätzlich zu den Fachausschüssen und Beiräten, zusätzlich zu den partei-internen Gremien. Wie soll Priebe das bloß bewältigen? Wie soll einer Mini-Fraktion wie der FDP gelingen, all diese Organe politischer Willensbildung kompetent zu besetzen? Stundenlohn von fünf Euro Nicht nur die Liberalen mit zwei Ratssitzen stellen sich diese Frage. Auch die AfD (drei Sitze), die BfGT (sieben Sitze) und sogar die großen Fraktionen stoßen manchmal ans Limit. Die personellen Ressourcen sind begrenzt. Viele Kommunalpolitiker stöhnen über ihre zeitliche Belastung. Dass während einer Wahlperiode Ratsmitglieder wie Claudia Zünkeler (CDU) oder Christiane Ziegele (BfGT) ihre Mandate abgeben, hat viel damit zu tun. Vor allem die inzwischen dreieinhalb Jahre als Co-Fraktionsvorsitzende würden kosten viel Zeit und Kraft, sagt Ziegele. Die Ratsmitglieder bekommen Sitzungsgeld, Verdienstausfall, auch Erstattung für Kinderbetreuungs- und Pflegekosten. Den sachkundigen Bürgern steht das ebenfalls zu. In welcher Höhe, legt die städtische Hauptsatzung fest. Sascha Priebe hat vor einiger Zeit mal ausgerechnet, wie hoch sein Stundenlohn ist: fünf Euro. Wobei all die Stunden für das Lesen der Sitzungsvorlagen, die Telefonate, die Zoom-Meetings darin nicht enthalten seien. Was ihm wichtig ist: Priebe will niemanden von politischer Mitwirkung abschrecken. &bdquo;Was wir tun, ist wichtig. Es ist erfüllend, es lohnt sich. Es wäre wünschenswert, wenn mehr Menschen den Weg in die aktive Kommunalpolitik fänden. Genau darum sollten wir bestrebt sein, die Belastung in Grenzen zu halten, nicht nur für die kleinen Fraktionen.“ Im September ist nahezu jeder Werktag belegt Einige seiner Termine kann er abgeben. Zwölf sachkundige Bürger hat die FDP-Fraktion inzwischen in ihren Reihen, fünf mehr als zu Beginn der Wahlperiode. &bdquo;Es sind einige junge Leute zu uns gekommen, das freut mich besonders.“ Dennoch ist Priebes Kalender voll. Freitag, 3. Mai: Gespräch bei Miele, abends Ratssitzung. Montag, 6. Mai: Arbeitskreis Feuerwehr, abends Festakt 40 Jahre Stadtbibliothek. Dienstag, 7. Mai: Klimabeirat. Mittwoch, 8. Mai: Fraktionssitzung. Donnerstag, 9. Mai: Diensteinsatz für den Schützenverein Pavenstädt beim Kuhfladen-Roulette. &bdquo;Gut“, sagt Priebe, &bdquo;letzter Termin ist optional. Aber ich mag die Veranstaltung und treffe dort eine Menge Leute.“ Kontakt zum Volk. Die anderen Monate sehen in seinem Kalender ähnlich aus: März und April waren randvoll, wegen der Haushaltsberatungen, etc.. Im Juni stehen etliche Ausschusssitzungen an, auch das wird anstrengend. Dann, nach der Sommerpause, der September: Schon jetzt enthält sein Kalender an 18 der 21 Werktage mindestens einen politischen Termin. &bdquo;Im Schnitt komme ich jeden Tag auf zwei Stunden“, schätzt er. Fraktionsvorsitzende bekämen alles auf den Tisch, jeden Vorgang. Unmöglich, das alles zu lesen oder gar zu besprechen. Auch bei den großen Fraktionen gelinge das nicht. Dass Priebe sein Ehrenamts-Pensum in diesem Umfang durchhält, liegt daran, dass er derzeit arbeitslos ist. Sein Arbeitgeber, ein Hersteller von Geschenkartikeln und Spielwaren, hat ihm gekündigt, nach 28 Jahren. Priebe war Handelsreisender, Vertreter, betreute Länder und Regionen. Dann entschied sich seine Firma, das Vertriebskonzept zu ändern. Es traf nicht nur ihn. Es ist ja nicht nur der Rat: Darunter sind etliche weitere Gremien angesiedelt. Was er unnötig findet, sind all die zusätzlichen Gremien, die dem Rat zuarbeiten, ihn entlasten sollen. &bdquo;Mein Eindruck ist: Wirklich viel bringt das nicht.“ In Schwerin, wo er bis 2018 lebte und zehn Jahre für die FDP im Stadtrat mitwirkte, habe es keinen einzigen Arbeitskreis gegeben. Schwerin ist so groß wie Gütersloh, knapp 100.000 Einwohner. &bdquo;Trotzdem hat der Rat gut funktioniert.“ Von den 15 Arbeitskreisen in Gütersloh gehört Priebe neun an: dem für die Konsolidierung der städtischen Finanzen, dem für Konversion (Mansergh-Quartier), denen für Stadtmuseum/Weberei, ZOB, Klinikum, Feuerwehr, Stadtwerke, Arbeiten 4.0, Personal. In den anderen sechs Arbeitskreisen lässt er sich vertreten: In denen geht es um Sportstätten, um Kunst im öffentlichen Raum, um Digitalisierung, Schulentwicklungsplanung, Qualitätsentwicklung Ganztag, Sportentwicklungsplan. Kommunalpolitiker, man sieht es, befassen sich mit vielen Themen. Und anders als Abgeordnete in Bundes- oder Landtagen, haben sie kaum Leute, die ihnen zuarbeiten. &bdquo;Wir müssen uns alles selbst aneignen“, sagt Priebe. Für ihn sei Kommunalpolitik daher die Königsdisziplin. Problem: Wo bleibt die Transparenz? Für die zusätzlichen fünf Arbeitskreise gebe es Bedarf, schreibt die Stadtverwaltung. Die Mehrheit der Ratsfraktionen schloss sich dieser Ansicht an, stimmte zu. Priebe hingegen, der als einziger im Rat das Wort ergriff, hält dagegen. &bdquo;Arbeitskreise haben zwei Nachteile: Sie kosten Zeit und führen zu Intransparenz.“ Argument eins, die Zeit: Vieles, so Priebe, höre er mehrfach: im Arbeitskreis, in der Runde der planungspolitischen Sprecher, im Fachausschuss und wenn er Pech habe, noch mal im Rat. &bdquo;Es würde reichen, das im Fachausschuss zu besprechen, dafür sind sie da. Klar dauern die dann länger, dennoch wäre es effizienter.“ Was ihn mürbe mache, sei überdies das Diskussionsverhalten mancher Ratskollegen, nach dem Motto: Es ist zwar alles gesagt, aber nicht von mir. Argument zwei, die Intransparenz: Er finde es bedenklich, dass Presse zu den Arbeitskreisen nicht zugelassen ist, die Themen hinter geschlossenen Türen besprochen werden. Oft gehe es um bedeutende Projekte: die Entwicklung des Mansergh-Quartiers beispielsweise, den Umbau des Klinikums, die Steuerung der Stadtwerke, den ZOB. Teilweise werde über hohe Beträge gesprochen, über das Geld des Steuerzahlers. &bdquo;Und dann soll der Bürger nicht erfahren dürfen, was mit seinem Geld passiert?“ Sollte es um Vertragsinhalte gehen, um Namen, schützenswerte Interessen, sei stets möglich, diese Aspekte in den nichtöffentlichen Teil zu verlagern. Teilweise geschehe das ja auch jetzt schon. &bdquo;Wir sollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, wichtige Themen lieber unter uns aushandeln zu wollen. Je transparenter, desto besser.“ Zugute kommt ihm, dass er sich schnell Inhalte draufschaffen kann Priebe hat keine Familie, ist getrennt lebend. Politik ist seine Leidenschaft, das erleichtert ihm, sich in Themen einzufuchsen, außerdem ist er ein Schnellleser. Im Urlaub zieht er schon mal acht Bücher durch, Krimis vorzugsweise, selbst auf der Gangway zum Flugzeug liest er. Einmal die Woche fährt er nach Ummeln, um auf eine Taiko zu schlagen, eine japanische Trommel. Im Stadtrat sitzt Candida Kuroczik neben ihm, Anästhesistin am Krankenhaus Rheda. Gemeinsam bilden sie die zweiköpfige Mini-Fraktion. Kuroczik ist neu in der Kommunalpolitik, sie ist eingetreten, um etwas bewegen zu wollen, nun staunt sie über den Umfang und darüber, wie lange Entscheidungsprozesse brauchen. Zu schaffen macht ihnen, für ihren Einsatz auch noch beschimpft zu werden. Schon einige Male sei er bedroht worden, so Priebe. Nachts allein Plakate kleben, das mache er nicht mehr, zu heikel. Aber am allerschlimmsten finde er den Spruch, die im Rathaus machen eh’, was sie wollen. &bdquo;Das ist wirklich sehr ignorant.“

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