Irritation um Bauernproteste im Kreis Gütersloh: Wut trifft die Falschen

Gütersloh. Wenn Du drei Bauern unter einen Hut bringen willst, musst Du zwei davon erschlagen, lautet ein altdeutsches Sprichwort. Was in grauer Vorzeit noch richtig gewesen seien mag, wurde in den vergangenen Tagen im ganzen Land widerlegt. In vielen Landkreisen protestierten die Landwirte gegen die von der Bundesregierung anvisierten Sparmaßnahmen für den Agrarsektor. In Gütersloh gipfelte der Protest am Montag in einer Sternenfahrt mit mehr als 800 Traktoren und anderen Fahrzeugen über den Stadtring, die den Verkehr im gesamten Stadtbereich viele Stunden lang lahm legte. Die Wut und der Frust sind berechtigt. Man erwartet von den Landwirten, dass sie für den Weltmarkt produzieren. Zu Preisen, die sie selbst nicht festlegen können. Da die Preise und damit die Erlöse auf dem Weltmarkt schwanken, variiert das Einkommen der Bauern stark. Gleichzeitig soll die Landwirtschaft ökologischer werden. Aktuell bedeutet das: weniger Erträge und mehr Investitionen. Parallel steigen die bürokratischen Auflagen der Europäischen Union. In einer solchen Situation kurzfristig Geldmittel zu streichen, die seit den 50ern konstant gezahlt wurden, verschärft die Situation nur. Ihr Unmut, der sich aktuell entlädt, trifft allerdings die Falschen. Die meiste Kritik musste die Ampel-Regierung und vor allem die Partei die Grüne einstecken. Von kleinen Ampeln, die demonstrativ in Misthaufen gesteckt wurden, bis hin zu Parolen wie &bdquo;Gegen den grünen Öko-Sozialismus“ war alles dabei. Stein des Anstoßes waren die geplante Streichung der Subventionierung des Agrardiesels und die Kfz-Steuerbefreiung für forst- und landwirtschaftliche Fahrzeuge. Newsticker: Alle Informationen rund um die Bauernproteste im Kreis Gütersloh | Videos und Fotos Direkte Kritik an FDP und SPD fehlt Nach Angaben des Deutschen Bauernverbandes entlasten diese Maßnahmen die heimische Landwirtschaft bislang mit über 800 Millionen Euro jährlich. Letzteres wurde von der Ampel-Regierung bereits zurückgenommen. Diese Maßnahmen sind allerdings, wie Andreas Westermeyer vom Westfälisch-Lippischer Landwirtschaftsverband (WLV) betont, nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Umso erstaunlicher ist es, dass die Grünen so im Fokus der Kritik stehen. Die Sparmaßnahmen sind nur nötig, da die Bundesregierung verfassungswidrige Haushaltsmethoden angewandt haben. Für den Haushalt und die Kürzungen sind jedoch Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Kanzler Olaf Scholz (SPD) als Kopf der Regierung federführend verantwortlich. Von einer gezielten FDP- oder SPD-Kritik fehlte allerdings jede Spur. Noch irritierender war es, dass die Protestierenden kein Wort über die CDU verloren haben. Im Gegenteil: Auf einer Kundgebung vor dem Gütersloher Kreishaus versammelten sich neben 250 Besuchern mit unter anderem dem Bundestagsabgeordneten Ralph Brinkhaus, Landrat Sven-Georg Adenauer und Andreas Westermeyer jede Menge Christdemokraten. Diese nutzen auch gleich die Möglichkeit, in den Tenor der Proteste mit einzusteigen. So bezeichnete Brinkhaus die Politik der Ampel als &bdquo;unterirdisch und respektlos“ gegenüber den Landwirten. Auch Westermeyer ließ kein gutes Haar an dem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Mehr als 35.000 Höfe weniger Zwar räumte der Abgeordnete ein, dass vor der Ampel auch nicht alles rundgelaufen sei, vergisst dabei aber zu erwähnen, dass über die meiste Zeit der vergangenen Jahrzehnte CDU- und CSU-Politiker das Landwirtschaftsministerium innehatten. Das sprichwörtliche Fass, welches die Ampel überlaufen ließ, wurde stetig von den Klöckners, Aigners und Seehofers dieser Welt bis an den Rand gefüllt. Konkret bedeutet das, dass zwischen den Jahren 2010 und 2020 die Zahl der Höfe um 35.600 abgenommen hat. Das zeigen Daten des Statistischen Bundesamtes. Das Agrar-Fachmagazin &bdquo;Agrarheute“ meldet für den gleichen Zeitraum, dass sich die Zahl der Sauenhalter in Deutschland halbiert hat. Angesichts dieser Fakten könnte man generell infrage stellen, ob unter der Union innerhalb der Landwirtschaft überhaupt irgendetwas &bdquo;rundgelaufen“ ist. Dieses Höfesterben reiht sich nahtlos in den Strukturwandel der deutschen Landwirtschaft ein. Kleine Höfe verschwinden und die verbleibenden großen Betriebe übernehmen die frei werdenden Flächen. &bdquo;Wachsen oder Weichen“ als harte Lebensrealität. Da die Bauern mit der größten Fläche und den damit einhergehenden größeren Fuhrparks auch die meisten Subventionen einstreichen, wird sich dieser Trend immer weiter fortsetzen. Oder mit anderen Worten: Aktuell finanziert der Steuerzahler das Höfesterben. Auch an diesem Umstand fehlte jede Kritik. Mehr Meinungsvielfalt ist nötig So groß der Frust auch ist, so wichtig ist es auch seine Kritik an die richtige Adresse zu senden. Natürlich kann man immer wieder auf die Grünen einhauen oder die Abwahl der Ampel fordern. Ändern wird sich dadurch nichts. Auch eine CDU geführte Regierung würde jetzt vor den selben Problemen stehen. Die wichtigen Entscheidungen dazu werden in der EU getroffen. Das gesamte System der Subventionen muss erneuert werden. Dazu gilt es überparteiliche Allianzen zu schmieden. So hätte es zum Beispiel der Veranstaltung am Kreishaus gut getan, wenn ein breiteres Meinungsspektrum vertreten gewesen wäre.

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